4A_427/2011: Ergänzung eines lückenhaften Vermögensverwaltungsvertrags durch dispositives Recht (OR 394 III und 400 I)

Das BGer kassiert ein Urteil des OGer TG, das einen lück­en­haften Ver­mö­gensver­wal­tungsver­trag auf bun­desrechtswidrige Weise ergänzt hat­te. Der Ver­trag sah vor, dass eine Ein­lage von EUR 300’000 zusam­men mit Fremd­kap­i­tal in gle­ich­er Höhe in eine bes­timmte Anlage bei einem Ver­sicher­er (EUR 500k) und ander­er­seits in Aktien- und Oblig­a­tio­nen­fonds (EUR 100k) zu investieren war. Die durch den Abschluss des Ver­trags mit dem Ver­sicher­er gener­ierte Abschlusspro­vi­sion (eine Retrozes­sion) durfte die Ver­wal­terin als Ent­gelt für den Beratungs- und Abschlus­saufwand einge­hal­ten. Später wurde diese Anlage jedoch umgeschichtet, wodurch neue Retrozes­sio­nen entstanden.

Strit­tig war die Auszahlung dieser Retrozes­sio­nen. Das OGer TG hat­te die erwäh­nte Regelung (keine Auszahlung der Retrozes­sio­nen für die Erstan­lage) auch auf die Umschich­tung ange­wandt. Der Ver­trag sei insoweit lück­en­haft, und redliche Parteien hät­ten die für die Erstan­lage getrof­fene Regelung auch auf die Umschich­tung ange­wandt, hät­ten sie die Frage bedacht. Das BGer ver­wirft diesen Schluss:

Diese Lück­en­fül­lung kann nicht geschützt wer­den. Wie der Beschw­erde­führer zu Recht rügt, überge­ht sie das vorhan­dene dis­pos­i­tive Recht, gestützt auf das der Ver­trag ergänzt wer­den kann und das vor­liegend für die Ver­tragsergänzung nach dem hypo­thetis­chen Partei­willen keinen Raum lässt:

Richtiger­weise musste die Lück­en­fül­lung also von OR 394 III (“Eine Vergü­tung ist zu leis­ten, wenn sie verabre­det oder üblich ist”) und OR 400 I (Abliefer­ungspflicht) aus­ge­hen. Dass die Ein­be­hal­tung von Pro­vi­sio­nen der Ver­sicherungs­ge­sellschaften eine übliche Hon­o­rarabrede sei, stand vor­liegend aber nicht fest (für Retrozes­sio­nen im Rah­men von Ver­mö­gensver­wal­tungsverträ­gen ist dies in BGE 132 III 460 E. 4.3 verneint wor­den). Wird die Vergü­tung wed­er ver­traglich noch geset­zlich geregelt und fehlt auch eine Verkehrsübung, ist sie vom Gericht so festzuset­zen, dass sie den erbracht­en Leis­tun­gen objek­tiv angemessen ist. Die Vorin­stanz hätte also fra­gen müssen, welche Vergü­tung dem Beratungs- und Abschlus­saufwand der Beschw­erdegeg­ner­in angemessen ist.

Die Pro­vi­sion selb­st war nach OR 400 I her­auszugeben. Ob die Verzicht­sklausel mit Bezug auf die Retrozes­sion für die Erstan­lage über­haupt gültig war, kon­nte das BGer deshalb offen­lassen; es bezweifelt die Gültigkeit aber, weil nicht fest­gestellt wurde, dass über die Eck­dat­en der Höhe der Pro­vi­sion informiert wurde (BGE 132 III 460).

Die Widerk­lage der Ver­mö­gensver­wal­terin auf das Erfol­gshon­o­rar hat­te das OGer TG dage­gen zu Recht gut­ge­heis­sen. Bedin­gung für die Entste­hung des Erfol­gshon­o­rars war, dass das Anlageziel ein­er Ver­dop­pelung der angelegten Mit­tel in 10 Jahren erre­icht wurde. Der Ver­trag sah bei vorzeit­iger Beendi­gung eine Auszahlung vor, wenn die Voraus­set­zun­gen des Erfol­gshon­o­rars einge­treten sind. Das OGer TG hat­te diese Klausel zu Recht so aus­gelegt, dass bei vorzeit­iger Ver­trags­beendi­gung das zu erre­ichende Anlageziel im Ver­hält­nis zur Ver­trags­dauer her­abzuset­zen war:

Es wider­spricht aber auch nicht dem Wort­laut, wenn weit­er angenom­men wird, dass im Fall des vorzeit­i­gen Ver­tragsrück­tritts nicht nur das Ele­ment der Anlagedauer, son­dern entsprechend auch das­jenige des Anlagezieles her­abge­set­zt ist. Eine solche Ausle­gung ste­ht vielmehr im Ein­klang mit dem mut­masslichen Willen vernün­ftig han­del­nder Ver­tragsparteien. Wäre stets auf das für die vere­in­barte Anlagedauer von 10 Jahren prog­nos­tizierte Anlageziel von EUR 600’000.– abzustellen, hätte es der Auf­tragge­ber in der Hand, (bei gegebe­nen Umstän­den) kurz vor Erre­ichen dieses Zieles vorzeit­ig zu kündi­gen und so der Aus­rich­tung eines Erfol­gshon­o­rars zu entgehen.