6B_509/2011: Versuch einer qualifizierten Widerhandlung gegen das BetmG (amtl. Publ.); Streitfrage vom BGer bejaht

Die Recht­sprechung zu der Frage, ob der men­gen­mäs­sig schwere Fall ein­er Wider­hand­lung gegen das Betäubungsmit­telge­setz (Bet­mG) als Ver­such began­gen wer­den kann, war bish­er unein­heitlich. In dem für die amtliche Samm­lung bes­timmten Urteil 6B_509/2011 vom 13. Feb­ru­ar 2012 hat sich das Bun­des­gericht erneut mit diesem The­ma auseinan­derge­set­zt und einen älteren Entscheid bestätigt, wonach bei qual­i­fizierten Delik­ten der straf­bare Ver­such nicht generell aus­geschlossen ist, son­dern nach den Umstän­den im jew­eili­gen Einzelfall geprüft wer­den muss.

Im vor­liegen­den Fall kam das alte Recht zur Anwen­dung: Wer unbefugt Anstal­ten zur Ein­fuhr von Betäubungsmit­teln trifft, wird bei vorsät­zlich­er Tat­bege­hung mit Frei­heitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geld­strafe bestraft (aArt. 19 Ziff. 1 Abs. 3 und Abs. 6 Bet­mG). Ein schw­er­er Fall liegt namentlich vor, wenn der Täter weiss oder annehmen muss, dass sich die Wider­hand­lung auf eine Menge von Betäubungsmit­teln bezieht, welche die Gesund­heit viel­er Men­schen in Gefahr brin­gen kann (aArt. 19 Ziff. 2 lit. a Bet­mG). Enthält das Kokaingemisch min­destens 18 Gramm reinen Wirk­stoff, ist die Gren­ze zu einem schw­eren Fall über­schrit­ten (BGE 120 IV 334 E. 2a S. 338 […]).

Das Urteil set­zt sich zunächst mit einem älteren BGE auseinander:

3.3 […] In sein­er pub­lizierten Recht­sprechung erwog das Bun­des­gericht, die Annahme eines men­gen­mäs­sig schw­eren Fall­es im Sinne von aArt. 19 Ziff. 2 lit. a Bet­mG sei an eine objek­tive und eine sub­jek­tive Voraus­set­zung geknüpft. Werde die Gren­ze von 18 Gramm Kokain unter­schrit­ten, fehle es an der objek­tiv­en Voraus­set­zung. Der Qual­i­fika­tion­s­grund nach Ziff. 2 lit. a schei­de aus, auch wenn der Täter irrtüm­licher­weise meine, das gehan­delte Kokain enthalte min­destens 18 Gramm reinen Wirk­stoff. Die sub­jek­tive Vorstel­lung des Täters könne die fehlende objek­tive Voraus­set­zung nicht erset­zen. Es beste­he insoweit eine Analo­gie zum Wah­n­de­likt (BGE 122 IV 360 E. 2a S. 362 ff. mit Hin­weisen). Bei aArt. 19 Ziff. 2 lit. a Bet­mG gehe es nicht um die Straf­barkeit, son­dern um die Strafzumes­sung. Diese Bes­tim­mung nenne nur Umstände, welche zur Anwen­dung des höheren Strafrah­mens führten, nicht aber Tatbe­standsmerk­male. Die Frage des Ver­suchs, welche sich gegebe­nen­falls bei der Tatbe­standsmäs­sigkeit stelle, könne in diesem Sta­di­um der Bew­er­tung nicht mehr aufge­wor­fen wer­den (BGE 122 IV 360 E. 2b S. 363 f. mit Hinweisen […]).

Daraufhin geht das Bun­des­gericht auf eine jün­gere Entschei­dung ein: 

3.3 […] Im Gegen­satz zu der in BGE 122 IV 360 pub­lizierten Recht­sprechung wertete das Bun­des­gericht in einem neueren Entscheid die Verurteilung wegen men­gen­mäs­sig qual­i­fiziertem Anstal­tentr­e­f­fen zum Betäubungsmit­tel­han­del als bun­desrecht­skon­form […] (Urteil 6B_96/2011 vom 7. Juni 2011 E. 3). Gegen­stand dieses Entschei­ds war allerd­ings nur, ob der Täter die Schwelle zum Anstal­tentr­e­f­fen über­schrit­ten hat­te und nicht die Frage nach der qual­i­fizierten Menge Drogen.

Schliesslich wer­den in der Urteils­be­grün­dung die in der Lehre vertrete­nen Mei­n­un­gen aufgeführt:

3.4 […] Einige Autoren betra­cht­en Zif­fer 2 als blosse Strafzumes­sungsregel, weil sie das­selbe Rechtsgut schütze wie Zif­fer 1. Deshalb falle der Ver­such nach aArt. 19 Ziff. 1 Abs. 6 auss­er Betracht […].
Andere Autoren sind der Auf­fas­sung, der Täter könne Anstal­ten zu einem men­gen­mäs­sig schw­eren Fall treffen […].

Nach der Analyse von Recht­sprechung und Lit­er­atur kommt das Bun­des­gericht zu fol­gen­dem Schluss:

3.5 Bei qual­i­fizierten Delik­ten ist der straf­bare Ver­such nicht generell aus­geschlossen, son­dern von Fall zu Fall zu prüfen (BGE 123 IV 128 E. 2b S. 131 mit Hin­weisen). [… Es] ist davon auszuge­hen, dass aus dem Fehlen der Dro­gen nicht geschlossen wer­den muss, es fehle an der objek­tiv­en Tatbe­standsvo­raus­set­zung. Es ist nach wie vor möglich, dass die bestell­ten Betäubungsmit­tel geliefert wer­den. Hin­sichtlich der Menge des reinen Dro­gen­wirk­stoffs beste­ht jedoch ein Beweis­prob­lem. Bei Vor­bere­itung­shand­lun­gen zum schw­eren Han­del kön­nen die Ermit­tlungs­be­hör­den in der Regel keine Betäubungsmit­tel sich­er­stellen und daher auch nicht den Rein­heits­grad zuver­läs­sig nach­weisen. Man darf aber vernün­ftiger­weise davon aus­ge­hen, dass die Dro­gen mit­tlerer Qual­ität seien, solange es keine Hin­weise auf eine beson­ders reine oder gestreck­te Sub­stanz gibt […]. Für eine solche Ausle­gung spricht sowohl die neuere Recht­sprechung (Urteil 6B_96/2011 vom 7. Juni 2011 E. 3) als auch ein Teil der Lehre (vgl. oben E. 3.4 […]).