4A_466/2012: Verhältnis zwingendes Recht / GAV (amtl. Publ.)

Im Entscheid 4A_466/2011 (ital.; zur amtl. Publ. vorge­se­hen) hat­te sich das Bun­des­gericht mit dem Ver­hält­nis zwis­chen zwin­gen­dem Recht und Bes­tim­mungen eines Gesam­tar­beitsver­trags (GAV) auseinanderzusetzen.

Hin­ter­grund war ein GAV für die Angestell­ten von Alter­sheimen im Kan­ton Tessin. Der GAV enthielt u.a. die Bes­tim­mung, dass Feiertagsentschädi­gun­gen im Falle von Krankheit, Unfall und Ferien nicht geschuldet seien.

Zwei Gew­erkschaften gelangten an die kan­tonale par­itätis­che Kom­mis­sion für Alter­sheime, damit diese über­prüfe, ob die Bes­tim­mung in Ein­klang mit BGE 132 III 172 bzw. Art. 329d Abs. 1 OR ste­he. Die par­itätis­che Kom­mis­sion entsch­ied im Grund­satz, der genan­nte BGE sei rück­wirk­end “anzuwen­den”.

Gegen den Entscheid der par­itätis­chen Kom­mis­sion gelangten vier Alter­sheime, die den GAV unterze­ich­net hat­ten, an die im GAV vorge­se­hene “Spezielle Rekurskom­mis­sion”. Diese ist in Form eines Schieds­gerichts kon­sti­tu­iert. Die Spezielle Rekurskom­mis­sion schützte den Entscheid der par­itätis­chen Kom­mis­sion im Wesentlichen und hielt fest, die fragliche Bes­tim­mung im GAV wider­spreche Art. 329d Abs. 1 OR und sei daher nichtig. 

Gegen diesen Entscheid gelangten die vier Alter­sheime ans Bun­des­gericht mit der Rüge, die genan­nten Kom­mis­sio­nen hät­ten nicht die Kom­pe­tenz, eine Bes­tim­mung des GAV zu annul­lieren bzw. zu ändern; dazu sei vielmehr die Unterze­ich­nung aller Parteien des GAV nötig.

Das Bun­des­gericht ver­weist zunächst auf die Artikel der ZPO bzw. des BGG, die auf die Anfech­tung eines inländis­chen Schiedsspruchs anwend­bar sind (vgl. Artt. 389 Abs. 1 ZPO, 393 ZPO, 77 BGG).

In der Sache selb­st hielt das Bun­des­gericht im Rah­men sein­er Willkür­prü­fung zunächst fest, bei Art. 329d Abs. 1 OR han­dle es sich gemäss Art. 362 OR um eine zulas­ten der Arbeit­nehmenden nicht abän­der­bare Norm. Weit­er ver­wies das Bun­des­gericht auf Art. 356c Abs. 1 OR, wonach der Abschluss sowie die Änderung und Aufhe­bung eines GAV der schriftlichen Form bedür­fen; daraus ergebe sich, dass die Kom­pe­tenz zur Abän­derung eines GAVs auss­chliesslich den Ver­tragsparteien zuste­he. Schliesslich bes­timme Art. 358 OR, dass das zwin­gende Recht des Bun­des und der Kan­tone den Bes­tim­mungen eines GAVs vorge­he; dies bedeute, dass eine zwin­gende Geset­zes­bes­tim­mung, die zu ein­er Bes­tim­mung in einem GAV in Wider­spruch ste­ht, direkt anwend­bar ist (E. 4.3., mit Ver­weis auf Kommentarstellen).

Ins­ge­samt kam das Bun­des­gericht zum Schluss, das Schieds­gericht, welch­es sich die Kom­pe­tenz ange­masst habe, den GAV abzuän­dern, habe einen im Ergeb­nis willkür­lichen Schiedsspruch gefällt und damit offen­sichtlich Art. 356c Abs. 1 OR verletzt.