2C_943/2011; 2C_127/2012: Verfahren vor der UBI; keine Gerichtsinstanz, kein Recht auf Stellungnahme, aber Recht auf Replik (amtl. Publ.)

Das Bun­des­gericht hat zwei öffentlich-rechtliche Beschw­er­den gegen Entschei­dun­gen der Unab­hängi­gen Beschw­erde­in­stanz für Radio und Fernse­hen (UBI) mit dem für die amtliche Samm­lung vorge­se­henen Urteil vom 12. April 2012 (vere­inigte Ver­fahren 2C_943/2011 und 2C_127/2012) abgewiesen.

Der Beschw­erde­führer hat­te bere­its vor der UBI erfol­g­los gel­tend gemacht, er müsse sich vor dem Entscheid der Behörde zu Stel­lung­nah­men der Schweiz­erischen Radio- und Fernse­hge­sellschaft (SRG) äussern kön­nen. Das Bun­des­gericht erkan­nte in dem Vorge­hen der UBI, nach Stel­lung­nahme der Gegen­partei keinen weit­eren Schriften­wech­sel anzuord­nen, keine Ver­weigerung des „Rechts auf Rep­lik“ und keine Ver­let­zung des rechtlichen Gehörs.

Ein zweit­er Schriften­wech­sel ist nach dem Wort­laut der ein­schlägi­gen Geset­ze (vgl. Art. 57 Abs. 1 und 2 VwVG sowie Art. 96 RTVG) nicht verpflich­t­end vorge­se­hen, son­dern unter­liegt als Recht auf Rep­lik grund­sät­zlich dem pflicht­gemässen Ermessen der Beschw­erde­in­stanz (E. 2.3.2).

Von diesem Rep­likrecht i.e.S. zu unter­schei­den ist in den Gerichtsver­fahren, welche Art. 6 Ziff. 1 EMRK unter­liegen, das vom EGMR entwick­elte Recht, zu jed­er Eingabe von Vorin­stanz oder Gegen­partei Stel­lung zu nehmen (E. 2.3.3).

Allerd­ings ist Art. 6 Ziff. 1 EMRK auf das Ver­fahren vor der UBI nicht anwend­bar. Deshalb kommt dem Charak­ter des Ver­fahrens vor der UBI entschei­dende Bedeu­tung zu, um zu klären, ob das Recht auf Stel­lung­nahme zu Eingaben der übri­gen Ver­fahrens­beteiligten in Ver­fahren ausser­halb des Gel­tungs­bere­ichs dieser Bes­tim­mung hier angerufen wer­den kann (E. 2.4–5).

Fraglich ist, ob die UBI als Gericht im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK zu qual­i­fizieren ist, d.h. als ein auf Gesetz beruhen­der, unab­hängiger Spruchkör­p­er, der auf der Grund­lage des Rechts in einem geset­zlich vorge­se­henen Ver­fahren über Recht­sansprüche bindend entschei­det. Diese Frage wurde von der Recht­sprechung bish­er offen­ge­lassen und nun­mehr vom Bun­des­gericht verneint:

2.7 Die UBI ist vom Bun­desrat gewählt (Art. 82 Abs. 2 RTVG), aber unab­hängig und an keine Weisun­gen von Bun­desver­samm­lung, Bun­desrat oder Bun­desver­wal­tung gebun­den (Art. 84 RTVG). Sie wurde deshalb in der Recht­sprechung als “assim­i­l­able à un tri­bunal” beze­ich­net (Urteil 2C_844/2009 vom 22. Novem­ber 2010 E. 3.2.2 […]). Weisung­sun­ab­hängigkeit genügt allerd­ings nicht, um ein Organ als Gericht zu beze­ich­nen. […] Wie die Wet­tbe­werbs- oder Kom­mu­nika­tion­skom­mis­sion ist auch die UBI eine Behör­denkom­mis­sion (Art. 85 Abs. 1 RTVG; Art. 8 Abs. 2, Art. 8a Abs. 3 und Anhang 2 Ziff. 2 RVOV). Ihre Auf­gabe beste­ht in der Auf­sicht über den Inhalt redak­tioneller Sendun­gen (vgl. auch den Titel des 2. Kapi­tels des 7. Titels des RTVG). Sie kann in diesem Rah­men fest­stellen, dass Sendun­gen Pro­gram­mvorschriften ver­let­zt haben, und vom Ver­anstal­ter ver­lan­gen, den Man­gel zu beheben (Art. 89 Abs. 1 und Art. 97 Abs. 2 und 3 RTVG). Ihre Auf­gabe gle­icht damit eher der­jeni­gen ein­er Auf­sichts­be­hörde. Dementsprechend ist auch eine Pro­grammbeschw­erde zuläs­sig von Per­so­n­en, die keine enge Beziehung zum Gegen­stand der bean­stande­ten Sendung haben, sofern sie min­destens 20 Unter­schriften beib­rin­gen (Art. 94 Abs. 2 RTVG). Diese Pop­u­larbeschw­erde dient nicht in erster Lin­ie dem Rechtss­chutz Pri­vater, son­dern dem all­ge­meinen Inter­esse und der staatlichen Auf­sicht über Radio und Fernse­hen (BGE 137 II 40 E. 2.2 S. 42 f. […]). Die Pop­u­larbeschw­erde­führer haben denn auch keine Parteis­tel­lung vor Bun­des­gericht, wenn der die Beschw­erde gutheis­sende Entscheid der UBI vom Ver­anstal­ter beim Bun­des­gericht ange­focht­en wird (Urteil 2C_880/2010 vom 18. Novem­ber 2011 E. 1.2; BGE 131 II 253 E. 1.2 S. 255 f.). Dies alles verdeut­licht, dass das Beschw­erde­v­er­fahren vor der UBI eher den Charak­ter ein­er beson­ders gelagerten Auf­sichts­beschw­erde als eines gerichtlichen Ver­fahrens hat. Ins­ge­samt ist somit die UBI jeden­falls im Rah­men der hier zur Diskus­sion ste­hen­den Pop­u­larbeschw­er­den (E. 1.2) nicht als gerichtliche Behörde im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK zu betrachten.

Faz­it: In den von der UBI geführten Ver­fahren beste­ht zwar kein Recht auf Ken­nt­nis­nahme von und Stel­lung­nahme zu Eingaben der übri­gen Ver­fahrens­beteiligten gemäss der Prax­is des EGMR, aber ein Recht auf Rep­lik, soweit die in der Eingabe vorge­bracht­en Noven prozes­su­al zuläs­sig und materiell geeignet sind, den Entscheid zu beeinflussen

Im vor­liegen­den Fall wäre die Beschw­erde selb­st dann abzuweisen gewe­sen, wenn für das Ver­fahren vor der UBI grund­sät­zlich ein Recht auf Stel­lung­nahme bejaht würde. Denn es ste­ht wie jedes Recht unter dem Vor­be­halt des Rechtsmiss­brauchs. Der Beschw­erde­führer behar­rte aber bloss auf ein­er leeren For­mal­ität und machte das Recht auf Stel­lung­nahme nur gel­tend, um missliebige Urteile aufheben. Ein solch­es Vorge­hen ver­di­ent keinen Rechtsschutz.

Zu den Beschw­er­den vor der UBI siehe auch den Beitrag von iuswanze über den UBI-Jahres­bericht 2011.