Im vorliegenden Fall ging die Gläubigerin einer Gesellschaft nach deren Konkurs gegen den Bürgen für die Darlehensforderung vor, der gleichzeitig einziger VR der betroffenen Gesellschaft war. Der Bürge wandte ein, die Gläubigerin habe die schuldnerische Gesellschaft geschädigt, und brachte entsprechende Schadenersatzforderungen zur Verrechnung. Indessen hatte die Schuldnerin bei der Darlehensaufnahme mit Wissen des Bürgen Verrechnungsverzicht erklärt. Strittig war, ob sich der Bürge von der Gläubigerin diesen Verrechnungsverzicht entgegenhalten lassen musste.
Der Streit steht vor folgendem Hintergrund: Der Bürge ist zwar berechtigt, Einreden des Schuldners vorzubringen (OR 502 I und II). Er kann aber nicht Verrechnung der Forderung des Gläubigers mit einer Forderung der Hauptschuldnerin erklären (BGE 126 III 25 E. 3b). Er hat aber immerhin die Einrede von OR 121, d.h. ein Leistungsverweigerungsrecht, solange dem Hauptschuldner die Einrede der Verrechnung zusteht. Was gilt aber, wenn dieser auf die Verrechnungseinrede verzichtet hat?
Das BGer hält zunächst fest, dass OR 502 II auf die Verrechnung anwendbar ist, obwohl diese Bestimmung von Einreden – und nicht, wie beim Verrechnungsrecht, von Gestaltungsrechten – spricht.
Das BGer hält ferner fest, dass OR 502 II den Bürgen davor schützen soll, dass seine Stellung nachträglich durch eine Vereinbarung zwischen Hauptschuldner und Gläubiger verschlechtert wird und deshalb hier nicht anwendbar ist.
[OR 502 II] erfasst demnach nicht den hier zu beurteilenden Fall, dass der Hauptschuldner vor Abschluss der Bürgschaft und mit Zustimmung des Bürgen auf Einreden verzichtet hat.
Daraus folgt, dass sich der Bürge jedenfalls dann nicht auf Art. 502 Abs. 2 OR berufen kann, wenn er die Bürgschaft im Wissen darum eingegangen ist, dass der Hauptschuldner gegenüber dem Gläubiger auf die Verrechnung verzichtet hat.