1B_205/2012: Offenlegung von Personendaten in Strafuntersuchungen (amtl. Publ.)

Muss die Polizei gegenüber der Staat­san­waltschaft die Per­son­alien der an einem Ein­satz beteiligten Polizis­ten bekan­nt geben, wenn im Anschluss daran eine Stra­fun­ter­suchung gegen einen Polizeibeamten ein­geleit­et wurde? Diese Frage bejaht das Bun­des­gericht in dem für die amtliche Samm­lung vorge­se­henen Urteil 1B_205/2012 vom 18. Juni 2012.

Im vor­liegen­den Fall hat ein Polizeibeamter bei einem polizeilichen Zugriff einen Schuss abgegeben. In der gegen den Schützen ein­geleit­eten Stra­fun­ter­suchung sicherte die Staat­san­waltschaft der beschuldigten Per­son sowie den Zeu­gen jew­eils Anonymität zu und unter­bre­it­ete dem Zwangs­mass­nah­men­gericht einen Antrag auf Genehmi­gung der zugesicherten Anonymität. Das Gericht trat jedoch nicht auf den Genehmi­gungsantrag ein. Der Beschw­erde­führer, der zuständi­ge Kom­man­dant der Kan­ton­spolizei, richtet sich gegen die ihm aufer­legte Ver­fü­gung, die Per­son­alien der am Ein­satz beteiligten Polizis­ten gegenüber der Staat­san­waltschaft schriftlich mitzuteilen.

Das Bun­des­gericht ver­weist auf ver­schiedene Bes­tim­mungen (vgl. Art. 15 Abs. 2, 307 Abs. 2, 3 und 4, 312 Abs. 1 StPO), woraus sich ergibt, dass die Polizei ihr bekan­nte Tat­sachen, die bei der Ermit­tlung von Straftat­en von Bedeu­tung sein kön­nen, der Staat­san­waltschaft grund­sät­zlich von sich aus mitzuteilen hat:

2.3 […] Ins­beson­dere hat die Polizei der Staat­san­waltschaft auch die Iden­tität der in eine Straftat involvierten Per­so­n­en bekan­nt zu geben, soweit ihr diese bekan­nt ist. Dies gilt grund­sät­zlich selb­st dann, wenn die Staat­san­waltschaft eine Stra­fun­ter­suchung gegen einen Polizeibeamten führt, wobei das kan­tonale Recht die Strafver­fol­gung der Mit­glieder ihrer Vol­lziehungs- und Gerichts­be­hör­den wegen im Amt began­gener Ver­brechen oder Verge­hen von der Ermäch­ti­gung ein­er Behörde abhängig machen kann (Art. 7 Abs. 2 lit. b StPO).

Fern­er hält das Bun­des­gericht fest, dass eine an einem Stra­fun­ter­suchungsver­fahren beteiligte Per­son gegenüber der Staat­san­waltschaft keine Anonymität beanspruchen darf:

3.2.1 Haben die Straf­be­hör­den der zu schützen­den Per­son Anonymität zugesichert, haben sie die geeigneten Mass­nah­men zu tre­f­fen, um Ver­wech­slun­gen oder Ver­tauschun­gen zu ver­hin­dern (Art. 149 Abs. 6 StPO), und zu prüfen, ob die Per­son, die sie vor sich haben, mit jen­er iden­tisch ist, die sich hin­ter der Anonymität ver­birgt (BGE 133 I 33 E. 3.1 S. 41 f. sowie E. 4.1 S. 43 mit Hin­weisen). Daraus fol­gt, dass sie die Ver­fahrens­beteiligten iden­ti­fizieren kön­nen müssen. […] Jeden­falls muss aber die Staat­san­waltschaft als bis zur Ein­stel­lung des Ver­fahrens oder zur Anklageer­he­bung ver­fahrenslei­t­ende und gegenüber der Polizei weisungs­befugte Behörde die Iden­tität der beschuldigten Per­son sowie der weit­eren Ver­fahrens­beteiligten per­sön­lich über­prüfen können.

Sinn und Zweck der Zusicherung der Anonymität (vgl. Art. 149 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 lit. a, 150 Abs. 1 StPO) ist, so das Bun­des­gericht weit­er, die Geheimhal­tung der Iden­tität der betrof­fe­nen Per­son auss­chliesslich gegenüber Per­so­n­en, die ihr Schaden zufü­gen könnten:

3.2.4 […] Das Recht auf Anonymität beste­ht nicht gegenüber den Behör­den wie etwa Staat­san­waltschaft und Gericht […], son­dern nur gegenüber den­jeni­gen Per­so­n­en, welche eine Gefährdung darstellen kön­nten. Die Iden­ti­fika­tion gegenüber den zuständi­gen Behör­den (bei Kol­le­gial­gericht­en zumin­d­est gegenüber dem Vor­sitzen­den) ist auch im Falle von Schutz­mass­nah­men unverzichtbar […].

Die hier vom Beschw­erde­führer ver­langten Infor­ma­tio­nen sind für die Ermit­tlun­gen zweifel­los von Bedeu­tung. Als Leit­er des Polizeiko­rps ist er somit grund­sät­zlich von Bun­desrechts wegen verpflichtet, der Staat­san­waltschaft die ver­langten, ihm bekan­nten Infor­ma­tio­nen her­auszugeben. Daran ändert sein Hin­weis auf die ihm nach kan­tonalem Per­son­al­recht obliegen­den Für­sorgepflicht­en nichts. Die Beschw­erde wird daher vom Bun­des­gericht abgewiesen.