6B_122/2014: Gültigkeit der Einsprache gegen einen Strafbefehl; Rechtswidrigkeit der urnerischen Verordnung über den Strassenverkehr (amtl. Publ.)

Eine kan­ton­al­rechtliche Bes­tim­mung in der urner­ischen Verord­nung über den Strassen­verkehr (VSV) erweist sich als bun­desrechtswidrig, wie das Bun­des­gericht fest­stellt.

Nach Art. 27 Abs. 1 VSV beurteilt die kan­tonale Sicher­heits­di­rek­tion bes­timmte leichte Fälle von Übertre­tun­gen im Strassen­verkehr. Die Sicher­heits­di­rek­tion ist damit Übertre­tungsstraf­be­hörde (vgl. Art. 17 Abs. 1 StPO). Ihr kom­men die Befug­nisse der Staat­san­waltschaft zu (vgl. Art. 357 Abs. 1 StPO); sie ist ins­beson­dere berechtigt, Straf­be­fehle zu erlassen (vgl. Art. 352 Abs. 1 StPO). Weit­er sieht Art. 27 Abs. 3 VSV vor, dass Strafver­fü­gun­gen der Sicher­heits­di­rek­tion innert zehn Tagen seit der Zustel­lung bei der Staat­san­waltschaft ange­focht­en wer­den können.

Auf­grund dieser Regelung ist die Urn­er Staat­san­waltschaft im vor­liegen­den Fall auf die Ein­sprache der Beschw­erde­führerin nicht einge­treten mit der Begrün­dung, diese sei for­mungültig und bei der falschen Behörde ein­gere­icht wor­den. Der in Deutsch­land beige­zo­gene Rechtsvertreter hat­te die Ein­sprache gegen den Straf­be­fehl per Email an die Sicher­heits­di­rek­tion ein­gelegt. Die gegen den Nichtein­tretensentscheid ein­gelegte Beschw­erde in Straf­sachen heisst das Bun­des­gericht gut.

Die urner­ische Bes­tim­mung in Art. 27 Abs. 3 VSV ver­stösst gegen das Bun­desrecht, da das Straf­be­fehlsver­fahren in Art. 354 ff. StPO abschliessend geregelt ist:

1.3. Das Ver­fahren vor den Übertre­tungsstraf­be­hör­den richtet sich sin­ngemäss nach den Vorschriften über das Straf­be­fehlsver­fahren (Art. 357 Abs. 2 StPO), für abwe­ichende oder ergänzende Ver­fahrens­bes­tim­mungen der Kan­tone verbleibt kein Raum.

Das Straf­be­fehlsver­fahren und die Ein­sprache vor kan­tonalen Übertre­tungsstraf­be­hör­den wer­den bun­desrechtlich in der StPO abschliessend geregelt:

1.3 […] Entschliesst sich die Übertre­tungsstraf­be­hörde, am Straf­be­fehl festzuhal­ten, über­weist sie die Akten dem erstin­stan­zlichen Gericht zur Durch­führung des Hauptver­fahrens (Art. 356 Abs. 1 StPO). Ist die Gültigkeit der Ein­sprache umstrit­ten, entschei­det darüber nicht die Staat­san­waltschaft bzw. die Übertre­tungsstraf­be­hörde, son­dern das erstin­stan­zliche Gericht (Art. 356 Abs. 2 StPO). Die Straf­prozes­sor­d­nung lässt gegen den Straf­be­fehl nur den Rechts­be­helf der Ein­sprache zu; eine “Anfech­tung” des von ein­er Übertre­tungsstraf­be­hörde erlasse­nen Straf­be­fehls bei der Staat­san­waltschaft ist nicht vorgesehen.

In casu war die Staat­san­waltschaft somit nicht zuständig, über die Gültigkeit der Ein­sprache zu entschei­den. Das Oberg­ericht des Kan­tons Uri muss als Vorin­stanz der Sicher­heits­di­rek­tion die Möglichkeit ein­räu­men, über das weit­ere Vorge­hen zu entschei­den. Hält diese am Straf­be­fehl fest, hat das erstin­stan­zliche Gericht über die Gültigkeit des Straf­be­fehls und der Ein­sprache zu entscheiden.