6B_262/2014: Verletzung des Anklageprinzips durch Strafbefehl ohne Umschreibung des Lebenssachverhaltes (amtl. Publ.)

Ein Straf­be­fehl muss den konkreten Lebenssachver­halt enthal­ten. Die Sachver­halt­sum­schrei­bung hat dabei den formellen Anforderun­gen an eine Anklageschrift vol­lum­fänglich zu genü­gen. Das gilt nach einem aktuellen Urteil des Bun­des­gerichts ungeachtet der Frage, wie kom­plex sich der Sachver­halt erweist oder welche Art von Delik­ten zur Diskus­sion steht.

Der Beschw­erde­führer hat­te gegen einen Straf­be­fehl wegen ein­fach­er Ver­let­zung der Verkehrsregeln eine Ein­sprache erhoben. Vor Bun­des­gericht rügte er erfol­gre­ich eine Ver­let­zung des Anklageprinzips. Der Straf­be­fehl enthalte keinen Anklage­sachver­halt, son­dern beg­nüge sich mit der Aufzäh­lung der als ver­let­zt erachteten Verkehrsregeln. Die Vorin­stanz hat­te erwogen, der zu beurteilende Sachver­halt beziehe sich auf eine Übertre­tung und sei ein­fach gelagert, weshalb er kein­er so detail­lierten Umschrei­bung bedürfe, wie dies bei kom­plex­en und gravieren­den Delik­tsvor­wür­fen der Fall sei.

Nach dem Anklage­grund­satz (Art. 9 Abs. 1 StPO) bes­timmt die Anklageschrift den Gegen­stand des Gerichtsver­fahrens und dient der Infor­ma­tion der beschuldigten Per­son (Umgren­zungs- und Infor­ma­tions­funk­tion). Die Anklage hat dem Beschuldigten zur Last gelegten Delik­te im Sachver­halt so präzise zu umschreiben, dass die Vor­würfe in objek­tiv­er und sub­jek­tiv­er Hin­sicht genü­gend konkretisiert sind (BGE 133 IV 235 E. 6.2 f.). Dadurch muss der Gegen­stand der gerichtlichen Beurteilung abschliessend bes­timmt sein und der beschuldigten Per­son eine effek­tive Vertei­di­gung gewährleis­tet werden.

Der Inhalt eines Straf­be­fehls bes­timmt sich auf­grund sein­er Dop­pel­funk­tion als Anklageer­satz im Falle ein­er Ein­sprache (Art. 356 Abs. 1 Satz 2 StPO) und als recht­skräftiges Urteil beim Verzicht auf Ein­sprache (Art. 354 Abs. 3 StPO):

1.4 […] Nach Art. 353 Abs. 1 lit. c StPO enthält der Straf­be­fehl ins­beson­dere den Sachver­halt, welch­er der beschuldigten Per­son zur Last gelegt wird. Die Sachver­halt­sum­schrei­bung muss den Anforderun­gen an eine Anklage genü­gen. Das heisst, es bedarf ein­er konzisen, aber den­noch genauen Beschrei­bung des dem Beschuldigten vorge­wor­fe­nen Sachverhalts.

Aus der Dop­pel­funk­tion des Straf­be­fehls ergibt sich, dass die Sachver­halt­sum­schrei­bung im Straf­be­fehl den Anforderun­gen an eine Anklageschrift gän­zlich genü­gen muss, ungeachtet der Umstände:

1.5 […] Auch bei ein­fach gelagerten Übertre­tungsstraftatbestän­den muss aus dem Straf­be­fehl ersichtlich sein, welch­er konkrete Lebenssachver­halt zur Verurteilung geführt hat bzw. (im Fall der Ein­sprache) zur Anklage gebracht wird.

Der vor­liegend zu beurteilende Straf­be­fehl weist nicht den geset­zlich vorge­se­henen Inhalt auf. Die Staat­san­waltschaft beschränkt sich darauf, die ange­blich mis­sachteten Verkehrsregeln aufzuzählen und Anklage wegen ein­fach­er Ver­let­zung der Verkehrsregeln zu erheben. Es ergibt sich wed­er, welch­es Ver­hal­ten dem Beschw­erde­führer zur Last gelegt wer­den, noch welche Fol­gen sich daraus ergeben sollen. Die Anforderun­gen an eine Anklageschrift sind nicht erfüllt.