5A_378/2012: Kein Fristenstillstand im Rechtsmittelverfahren gegen Summarentscheid; anders aber bei versäumtem Hinweis darauf in der Rechtsmittelbelehrung (amtl. Publ.)

Die Regelung in Art. 145 Abs. 2 lit. b ZPO, wonach der Fris­ten­still­stand nicht für das sum­marische Ver­fahren gilt, ist nicht nur auf das erstin­stan­zliche Sum­mar­ver­fahren, son­dern auch auf das Rechtsmit­telver­fahren gegen im sum­marischen Ver­fahren ergan­gene Entschei­de anwend­bar. Die Fris­ten ste­hen aber dann nicht still, wenn das Gericht einen entsprechen­den Hin­weis in der Rechtsmit­tel­belehrung ver­säumt, weil die Hin­weispflicht gemäss Art. 145 Abs. 3 ZPO eine Gültigkeitsvorschrift darstellt. Zu diesen Schlüssen kommt das Bun­des­gericht in einem für die amtliche Samm­lung vorge­se­henen Urteil vom 6. Dezem­ber 2012. 

1. Kein Fris­ten­still­stand im Rechtsmit­telver­fahren gegen Summarentscheid

Der Wort­laut von Art. 145 Abs. 2 lit. b ZPO nen­nt einzig das “sum­marische Ver­fahren” (E. 4.4.1). Im Geset­zge­bungsver­fahren wurde das Prob­lem nicht the­ma­tisiert (E. 4.4.2). Die Bes­tim­mung find­et sich im 1. Teil der Zivil­prozes­sor­d­nung (“All­ge­meine Bes­tim­mungen”), der auch für Rechtsmit­tel gilt, und umfasst sowohl geset­zliche als auch richter­liche Fris­ten, also auch Rechtsmit­tel­fris­ten (E. 4.4.3). Das Ziel der Ver­fahrens­beschle­u­ni­gung im sum­marischen Ver­fahren soll nicht nur im erstin­stan­zlichen Ver­fahren gel­ten, son­dern auch im Rechtsmit­telver­fahren, weshalb eine verkürzte Rechtsmit­tel­frist gilt (Art. 314 Abs. 1 und Art. 321 Abs. 2 ZPO), und die Regeln über das sum­marische Ver­fahren gel­ten auch für das Beru­fungsver­fahren (E. 4.4.4).

Zudem argu­men­tiert das Bun­des­gericht wie folgt:

4.4.5 […] Im bun­des­gerichtlichen Ver­fahren gilt der Fris­ten­still­stand für die vor­sor­glichen Mass­nah­men nicht (Art. 46 Abs. 2 BGG […]). Würde man Art. 145 Abs. 2 lit. b ZPO einzig auf das erstin­stan­zliche Ver­fahren anwen­den, hätte dies zur Folge, dass diejeni­gen vor­sor­glichen Mass­nah­men nach Art. 98 BGG, die im Sum­mar­ver­fahren gemäss ZPO erge­hen, nur vor der ersten Instanz und vor dem Bun­des­gericht vom Fris­ten­still­stand ausgenom­men wären, nicht aber vor der zweit­en Instanz […]. 

2. Fris­ten­still­stand bei ver­säumtem Hin­weis in der Rechtsmittelbelehrung

Die Hin­weispflicht gilt nach dem Wort­laut von Art. 145 Abs. 2 lit. b ZPO für die “Parteien”, wobei – anders als bei der Aufk­lärungspflicht (vgl. Art. 97 ZPO) – nicht danach unter­schieden wird, ob diese anwaltlich vertreten sind oder nicht (E. 5.4.1). Die Vorschrift ver­fol­gt den Zweck, in Bezug auf den Fris­ten­still­stand Rechtssicher­heit zu schaf­fen, weshalb sich jede Partei für die Aus­nah­men vom Fris­ten­still­stand auf die Aus­führun­gen des Gerichts ver­lassen darf, jeden­falls wenn sie die Unrichtigkeit nicht erkan­nte oder hätte erken­nen kön­nen (vgl. Art. 52 ZPO) (E. 5.4.2). Der Bericht zum Voren­twurf der Expertenkom­mis­sion und die Botschaft zur ZPO sehen aus­drück­lich vor, dass es sich nicht lediglich um eine Ord­nungsvorschrift han­delt, und die Fris­ten still­ste­hen, wenn der entsprechende Hin­weis des Gerichts fehlt (E. 5.4.3).

Das Bun­des­gericht hält abschliessend fest:

5.4.3 […] Offen­sichtlich nimmt der Geset­zge­ber mit dieser Regelung in Kauf, dass die Hin­weispflicht gemäss Art. 145 Abs. 3 ZPO in gewis­sem Sinn abso­lut gilt.