Im Entscheid äusserte sich das BGer im Rahmen einer Beschwerde wegen
interkantonaler Doppelbesteuerung zur Verwirkung des Besteuerungsanspruchs
durch eine Steuerbehörde. Das Institut der Verwirkung des Besteuerungsanspruchs dient dem Schutz der Behörde des anderen Kantons und kann nicht durch die steuerpflichtige Person geltend gemacht werden. Auch bei der Verwirkung ist nach der neuen Praxis die rechtzeitige erste nach aussen wirksame Handlung der Steuerbehörde fristwahrend.
(E3.2) Praxisgemäss verwirkt ein Kanton im interkantonalen Steuerverhältnis sein Besteuerungsrecht
gegenüber der steuerpflichtigen Person, wenn:
a) dieser Kanton die für die Steuerpflicht erheblichen Tatsachen kennt oder
zumindest kennen kann,
b) er dessen ungeachtet mit der Erhebung des Steueranspruchs ungebührlich lange
zuwartet,
c) aufgrund des Bezugs des ungebührlich spät geltend gemachten Anspruchs ein
anderer Kanton zur Rückerstattung von Steuern verpflichtet werden müsste, die
er formell korrekt, in guten Treuen und in Unkenntnis des kollidierenden
Steueranspruchs bezogen hat (BGE
137 I 273 E. 3.3.4 S. 279 f.; ).
Das Institut der Verwirkung des Besteuerungsrechts eines Kantons dient mithin dem
Schutz des oder der anderen Kantone (siehe schon BGE
91 I 467 E. 4 S. 475 ff.). Deshalb kann die Verwirkung auch nur durch den anderen Kanton und nicht durch die steuerpflichtige Person geltend gemacht werden (Urteil 2C_92/2012 vom 17. August 2012 E. 3.1 mit Hinweisen, in: StR
67/2012 S. 828).
“Ungebührlich
lange” ist gemäss Rechtsprechung ein Zuwarten des säumigen Kantons, wenn dieser bis zum Ende des Jahres, das der Veranlagungsperiode folgt. Fallen
Steuer- und Bemessungsperiode auf das Jahr n, läuft die Vernlagungsperiode
während des Jahres n+1. Das Besteuerungsrecht des untätigen Kantons verwirkt
also am Ende des Jahres n+2 (s. E.3.3).
Die doppelbesteuerungsrechtliche Verwirkung des Besteuerungsrechts und die harmonisierungsrechtliche Verjährung sind zu unterscheiden.
(E3.3) Nach den üblichen Regeln ist zur Wahrung des Rechts auf Vornahme der Veranlagung erforderlich, dass die Verfügung vor Ablauf der relativen fünfjährigen Verjährungsfrist ergeht (Art. 47 Abs. 1 StHG für die kantonalen und kommunalen Steuern, Art. 120 DBG für die direkte Bundessteuer). Zur Unterbrechung des Laufs der Veranlagungsverjährung genügt die schriftliche Mitteilung der Steuerbehörde, worin diese die spätere Veranlagung der periodischen Steuer in Aussicht stellt und womit sie einstweilen lediglich beabsichtigt, den Lauf der Verjährung zu unterbrechen (Art. 120 Abs. 3 lit. a DBG; BGE 137 I 273 E. 3.4.3 S. 282; BGE 133 II 366 zur Vollstreckung verjährter periodischer Steueransprüche).
Die genannten Formerfordernisse sind auch im Doppelbesteuerungsrecht relevant.
(E 3.4) So ist es hinsichtlich der Form der “Erhebung” des Steueranspruchs nach der neueren Praxis des Bundesgerichts ausreichend, wenn die Steuerbehörde (positiv) das Veranlagungsverfahren innerhalb der (Verwirkungs-)Frist einleitet [Zitate] und zudem hernach (negativ) den Abschluss der Veranlagungstätigkeit nicht ungebührlich lange verzögert, es sei denn, die Steuerbehörde vermöge sich hierzu auf hinreichende Gründe zu stützen.
Eingeleitet wird die Veranlagung periodischer Steuern mit der ersten, nach aussen wirksamen, d. h. in der Regel schriftlichen Handlung der Steuerbehörde, die auf die Veranlagung der steuerpflichtigen Person gerichtet ist. Zumeist besteht diese Einleitungshandlung in der Zustellung des Steuererklärungsformulars (BGE 112 Ib 88 E. 1 S. 90).
Fristwahrend wirken etwa auch die Mahnung zur Einreichung einer Steuererklärung, die Ankündigung und Vornahme einer Buchprüfung, die Eröffnung der definitiven oder bloss provisorischen Steuerveranlagung, die Aufforderung oder Mahnung zur Zahlung usw. [Zitate] Auch die Zustellung einer provisorischen Steuerrechnung aufgrund der Steuererklärung stellt eine solche Einforderungshandlung dar.
Die frühere Praxis, die noch innerhalb der Verwirkungsfrist den Erlass
eines anfechtbaren Entscheides verlangte, handle es sich um einen
Leistungs- (Veranlagungsverfügung) oder einen Feststellungsentscheid
(Domizilverfügung), ist insoweit überholt.
Das BGer äusserte sich in E. 3.6 ausserdem zu Fragen des interkantonalen Veranlagungsverfahrens, namentlich dass
- die Steuerbehörde des Wohnsitz- oder Sitzkantons den Steuerbehörden der anderen Kantone ihre Steuerveranlagung einschliesslich der interkantonalen Steuerausscheidung und allfälliger Abweichungen gegenüber der Steuererklärung kostenlos mitzuteilen habe, deshalb dem Hauptsteuerdomizil faktisch eine Führungsrolle zukäme und
- im heutigen, von elektronischer Datenverarbeitung und ebensolchen Kommunikationsmitteln geprägten Veranlagungsumfeld es für die Steuerbehörden gerade in einem Fall der ausserkantonalen selbständigen Erwerbstätigkeit angezeigt sei, schon vor Erlass der Veranlagungsverfügung den Kontakt zu suchen. Veranlage der Kanton des Nebensteuerdomizils, noch ehe das Hauptsteuerdomizil seine Veranlagungsverfügung erlassen hat, könne er dies praxisgemäss lediglich auf provisorischer Basis tun.