Das BGer hält im vorliegenden Urteil fest, dass die Zustellungsfiktion bei eingeschriebenen Sendungen (d.h. Fiktion der Zustellung am letzten Tag der Abholfrist) auch dann gilt, wenn der Postbeamte beim Abholen der avisierten Sendungen versehentlich nicht alle Sendungen aushändigt, denn der Anwalt oder seine Hilfsperson ist verpflichtet zu kontrollieren, ob die ausgehändigen Sendungen den avisierten Sendungen entsprechen:
Wie der Beschwerdeführer selber zugesteht, gehört es zu den anwaltlichen
Pflichten, eingeschriebene Sendungen während der Abholfrist
entgegenzunehmen. Dieser Pflicht ist der Volontär nicht ordnungsgemäss
nachgekommen. Er gab zwar die Abholungseinladung am Schalter ab,
kontrollierte jedoch nicht, ob er alle zur Abholung avisierten Sendungen
erhalten hat. Entgegen der Meinung des Beschwerdeführers war er zu
einer solchen Kontrolle verpflichtet.
Dabei hilft es dem Anwalt, der diese Kontrolle unterlässt, nichts, dass die Post Hilfsperson der Absenderin ist:
Es kann ihn nicht entlasten, dass auch der Postangestellte einen Fehler
machte, indem er ihm versehentlich nicht von sich aus alle drei
Sendungen übergab. Die Post als Hilfsperson des absendenden
Appellationsgerichts ist der Zustellungspflicht grundsätzlich
nachgekommen, indem sie die Abholungseinladung in das Postfach legte und
das Urteil zur Abholung avisierte. Wohl wird die Post darüber hinaus
dem Empfänger aufgrund der Vorweisung der Abholungseinladung
normalerweise alle darauf vermerkten Sendungen übergeben. Wenn sie dies
einmal versehentlich nicht tut, bedeutet dies aber nicht, dass die ins
Postfach gelegte Abholungseinladung mit der darauf vermerkten Abholfrist
unter Zustellungsaspekten einfach als inexistent zu betrachten wäre. Vielmehr darf jedenfalls von einem Rechtsanwalt erwartet werden, dass er
überprüft, ob er alle zur Abholung avisierten Sendungen erhalten hat.
Der Volontär hätte mithin prüfen müssen, ob ihm alle drei auf der
Abholungseinladung vermerkten Sendungen übergeben worden sind.