5A_372/2012: Anforderungen an den guten Glauben bei Verdachtsmomenten in risikobehafteter Branche (Kunsthandel; gestohlener Malewitsch) (amtl. Publ.)

Wern­er Merzbach­er, ein bedeu­ten­der Samm­ler mod­ern­er Kun­st, hat­te 1989 über eine Gen­fer Galerie für rund USD 1 Mil­lion das Bild “Diener mit Samowar” von Male­witsch über Kom­mis­sion von einem unbekan­nten Verkäufer erwor­ben. Vor dem Kauf tätigte er diverse Abklärun­gen, u.a. über eine Exper­tin und über Interpol.

Male­witsch, Foot­man with Samowar

Später klagte A. am BGZ Meilen auf Her­aus­gabe. Sein Vater habe das Gemälde erwor­ben, das ihm später gestohlen wor­den sei. Als Alleinerbe ste­he ihm der Her­aus­gabeanspruch am Gemälde zu.

Die Klage stützte sich vor BGer nicht mehr auf Eigen­tum, son­dern auf den früheren Besitz (nicht Vin­dika­tion). Anwend­bar war nach IPRG 100 schweiz­erisches Recht. Die Besitzes­rechts- oder Fahrnisklage ver­jährt nach fünf Jahren; später kann sie nur erfol­gre­ich sein, wenn der Empfänger nicht gut­gläu­big war. Da sich das Bild bei der Klage schon länger als fünf Jahre im Besitz von Her­rn Merzbach­er befun­den hat­te, war die Frage sein­er Gut­gläu­bigkeit entscheidend.Dabei war fraglich, welch­er Grad an Aufmerk­samkeit ver­langt wer­den darf, was sich nach den Umstän­den richtet und weit­ge­hend eine Ermessens­frage ist. Dabei gilt u.a.:

  • eine in der Branche herrschende Verkehrsübung ist rel­e­vant, doch kön­nen  übliche Nach­läs­sigkeit­en nicht zu ein­er Her­ab­set­zung der Sorgfalt­san­forderun­gen führe 
  • keine all­ge­meine Erkundi­gungspflicht des Erwer­bers nach dem Vor­liegen der Ver­fü­gungs­macht des Veräusser­ers auss­er bei konkreten Ver­dachts­grün­den
  • höhere Anforderun­gen bei Geschäft­szweigen mit beson­derem Risiko, wie z.B. beim Han­del mit Gebraucht­waren: Abklärungs- bzw. Erkundi­gungspflicht bere­its dann, wenn auf­grund der Umstände Anlass zu Mis­strauen besteht
  • dies gilt dann nicht nur im kaufmän­nis­chen Verkehr, son­dern bei jedem Erwe­ber, der mit der Branchen ver­traut ist
Das OGer ZH hat­te eine Ver­let­zung dieser Sorgfalt­spflicht­en verneint. Das BGer sah im Gegen­satz zum OGer ZH Ver­dachtsmo­mente. Ausser­dem seien die Vor­sichts­mass­nah­men von Merzbach­er nicht aus­re­ichend gewe­sen, angesichts eines ihm bekan­nten Gerüchts, es befinde sich ein gestohlen­er Male­witsch auf dem Markt. Es hätte zudem laut BGer zumut­bare Mass­nah­men gegeben. Im Ergeb­nis habe Merzbach­er deshalb seine Sorgfalt­spflicht­en ver­let­zt, so dass er sich nicht auf den guten Glauben berufen könne.
 
Das BGer weist die Sache deshalb ans OGer zurück, das  die Frage der Nicht­berech­ti­gung des Veräusser­ers und allfäl­lige Einre­den gemäss Art. 936 Abs. 2 ZGB (Erwerb des Klägers sein­er­seits vom Nicht­berechtigten) prüfen muss. 
Vgl. die Berichter­stat­tung der NZZ zum Urteil des OGer ZH und zum vor­liegen­den BGE.