6B_611/2012 und 6B_693/2012: Anfechtung der Entschädigung für amtliche Verteidigung (amtl. Publ.)

Die Staat­san­waltschaft kann die Höhe der Entschädi­gung für die pri­vate Vertei­di­gung oder des amtlichen Vertei­di­gers anfecht­en, wie das Bun­des­gericht mit Urteil vom 19. April 2013 (vere­inigte Ver­fahren 6B_611/2012 und 6B_693/2012; amtl. Publ.) in Bestä­ti­gung sein­er Recht­sprechung entsch­ieden hat. Strit­tig war, ob die Staat­san­waltschaft gegen die Höhe der Entschädi­gung für eine amtliche Vertei­di­gung Beru­fung (Art. 398 ff. StPO) oder Beschw­erde (Art. 393 ff. StPO) erheben muss.

Bei Anfech­tung der Ver­fahren­skosten, zu denen auch die Aus­la­gen für die amtliche Ver­beistän­dung und die unent­geltliche Recht­spflege zählen, ist bezüglich der anfech­tungs­berechtigten Per­so­n­en zu unterscheiden:

5.2 Gegen Urteile erstin­stan­zlich­er Gerichte, mit denen das Ver­fahren ganz oder teil­weise abgeschlossen wurde, kön­nen die Staat­san­waltschaft und die übri­gen Parteien gemäss Art. 398 Abs. 1 i.V.m. Art. 381 f. StPO Beru­fung erk­lären. Dies gilt auch, wenn auss­chliesslich Neben­fol­gen des Urteils oder die Kosten‑, Entschädi­gungs- und Genug­tu­ungs­fol­gen stre­it­ig sind (Art. 399 Abs. 4 lit. e und f StPO; vgl. auch Art. 406 Abs. 1 lit. d StPO). […] Die Staat­san­waltschaft und die anderen Parteien, die (bei gün­sti­gen wirtschaftlichen Ver­hält­nis­sen) für die Ver­fahren­skosten aufzukom­men haben, müssen die Reduk­tion der Entschädi­gung für die amtliche Vertei­di­gung daher im Beru­fungsver­fahren verlangen. 

Der amtliche Vertei­di­ger und der unent­geltliche Rechts­bei­s­tand der Pri­vatk­läger­schaft sind nicht Ver­fahrensparteien (Art. 104 Abs. 1 StPO). Ihre Rechtsmit­tel­le­git­i­ma­tion hin­sichtlich der Fest­set­zung des Hon­o­rars ergibt sich nicht aus Art. 382 StPO, son­dern aus der beson­deren Regelung in Art. 135 Abs. 3 lit. a StPO bzw. Art. 138 Abs. 1 i.V.m. Art. 135 Abs. 3 lit. a StPO. Danach ste­ht dem amtlichen Vertei­di­ger und dem unent­geltlichen Rechts­bei­s­tand der Pri­vatk­läger­schaft gegen den Entschädi­gungsentscheid des erstin­stan­zlichen Gerichts im Sinne von Art. 135 Abs. 2 StPO lediglich die Beschw­erde offen.

Das Bun­des­gericht ver­wirft die in der Lehre vertretene Auf­fas­sung, das Hon­o­rar des amtlichen Vertei­di­gers müsse nicht im Urteil selb­st, son­dern nachträglich in einem sep­a­rat­en Entscheid fest­ge­set­zt wer­den, während die Tra­gung der Vertei­di­gungskosten im Kos­tendis­pos­i­tiv des Urteils aufzuführen sei:

5.4 […] Die Fest­set­zung des Hon­o­rars für die amtliche Vertei­di­gung im Urteil entspricht der Prax­is ver­schieden­er Gerichte und namentlich auch des Bun­desstrafgerichts, auf dessen Vorschlag hin das Par­la­ment das urteilende Gericht für zuständig erk­lärte (AB 2006 S 1014). Dies ist auch insofern sin­nvoll, als über die Kos­ten­tra­gung, welche Bestandteil des Urteils ist (vgl. Urteil 6B_112/2012 vom 5. Juli 2012 E. 1.3 […]), nur entsch­ieden wer­den kann, wenn fest­ste­ht, welche Kosten über­haupt ent­standen sind. Eine Fest­set­zung der Koste­nau­flage in Unken­nt­nis von Höhe und Ursache der betrof­fe­nen Kosten kön­nte im Einzelfall zu nicht sachgerecht­en Ergeb­nis­sen führen. Das Gericht wäre zudem gezwun­gen, die Tra­gung der Vertei­di­gungskosten anteilsmäs­sig oder in Prozen­ten zu regeln.
Auch die Entschädi­gung für die pri­vate Vertei­di­gung ist zwin­gend im Urteil festzuset­zen (Urteil 6B_472/2012 vom 13. Novem­ber 2012 E. 2.4). Nicht einzuse­hen ist, weshalb die Aus­la­gen für die pri­vate Rechtsver­beistän­dung vor Erge­hen des Urteils bez­if­fert wer­den müssen (Art. 429 Abs. 2 und Art. 433 Abs. 2 StPO), dem amtlichen Vertei­di­ger Gle­ich­es aber nicht zumut­bar sein soll.

Gegen die Lehrmei­n­ung spricht auch, dass damit eine Spal­tung des Rechtsmit­tel­wegs ein­herge­ht, da die Hon­o­rar­fest­set­zung mit Beschw­erde, die Tra­gung der Vertei­di­gerkosten jedoch mit der Haupt­sache, d.h. in der Regel mit Beru­fung ange­focht­en wer­den muss:

5.4 […] Nicht prak­tik­a­bel erscheint zudem die mit der vorgeschla­ge­nen Lösung ein­herge­hende Spal­tung des Rechtsmit­tel­wegs. Das Gesetz sieht zugun­sten der Parteien für sämtliche Entschei­de im Zusam­men­hang mit dem Stra­furteil das ein­heitliche Rechtsmit­tel der Beru­fung vor. Das Gericht kann auf den Rechtsmit­tel­weg nicht Ein­fluss nehmen, indem es über zwin­gende Neben­fol­gen des Stra­furteils in einem sep­a­rat­en Entscheid befindet.

Da der Entscheid über die Entschädi­gung des amtlichen Vertei­di­gers – wie auch über die pri­vate Vertei­di­gung und die weit­eren Ver­fahren­skosten – als Gegen­stand des Urteils von den Parteien mit Beru­fung ange­focht­en wer­den kann, während sich der amtliche Vertei­di­ger gegen die Höhe der Entschädi­gung mit Beschw­erde zur Wehr set­zen muss, kön­nen sich die Zuständigkeit­en der bei­den Rechtsmit­telin­stanzen überschneiden:

5.6 […] Dabei ist allerd­ings zu beacht­en, dass die Beru­fung ein refor­ma­torisches Rechtsmit­tel ist. Die Beschw­erde ist im Ver­gle­ich zur Beru­fung sub­sidiär. Tritt das Beru­fungs­gericht auf die Beru­fung ein, so fällt es ein neues Urteil, welch­es das erstin­stan­zliche Urteil erset­zt (Art. 408 StPO). Damit ent­fällt das Anfech­tung­sob­jekt des par­al­le­len Beschw­erde­v­er­fahrens. Ist dies der Fall, sind die Ein­wände des amtlichen Vertei­di­gers gegen die Höhe sein­er Entschädi­gung jedoch mit der Beru­fung zu behan­deln.