5A_66/2013: Auslegung ungemessener Dienstbarkeiten; Berücksichtigung öffentlich-rechtlicher Vorschriften; hier Anspruch auf ein Strassenbankett (amtl. Publ.)

Im vor­liegen­den Ver­fahren war strit­tig, ob den aus einem Fuss- und Fahrwe­grecht Berechtigten (Beschw­erde­führern) neben der unange­focht­e­nen Fahrbahn­bre­ite von 2.30 m ein Anspruch auf einen freizuhal­tenden Rand­streifen, ein sog. Strassen­ban­kett, zusteht.

Das Bezirks­gericht hat­te fest­ge­hal­ten, die Parteien hät­ten ein Recht auf ein Strassen­ban­kett vere­in­baren müssen, hät­ten sie zusät­zlich zur gewährten Weg­bre­ite ein solch­es ein­richt­en wollen. Aus dem Dien­st­barkeitsver­trag gehe solch­es aber nicht her­vor. Das OGer schützte dieses Urteil. Das BGer heisst die Beschw­erde dage­gen teil­weise gut.

Der Inhalt der Dien­st­barkeit bes­timmt sich nach ZGB 738 und damit nach ein­er Stufenord­nung: 1. Ein­trag; 2. Erwerb­s­grund; 3. Art der Ausübung. Da hier die Beze­ich­nung der Dien­st­barkeit als “Fuss- und Fahrwe­grecht” nichts her­gab, war auf den Erwerb­s­grund abzustellen, d.h. auf den Grund­di­en­st­barkeitsver­trag. Die Dien­st­barkeit war umschrieben “das unbeschränk­te Fuss- und Fahrwe­grecht auf dem im Grund­buch­plan eingeze­ich­neten Fahrweg”. “Unbeschränkt” heisst nach der beste­hen­den Recht­sprechung des BGer soviel wie “nicht auf bes­timmte einzelne Zwecke beschränkt”, “nicht mit ein­er beson­deren Leis­tungspflicht ver­bun­den”. Damit haben die Parteien kein gemessenes, son­dern ein “ungemessenes” Wegrecht vere­in­bart, dessen Inhalt und Umfang sich nach den Bedürfnis­sen des berechtigten Grund­stücks richt­en (BGE 131 III 345 E. 4.3.2).

Damit ist die Berück­sich­ti­gung kün­ftiger Entwick­lun­gen bei ein­er üAn­derung der Bedürfnisse des berechtigten Grund­stücks nicht ausgeschlossen:

Ändern sich die Bedürfnisse des berechtigten Grund­stücks, […] ist dem Dien­st­barkeits­be­lasteten aber diejenige Mehrbe­las­tung grund­sät­zlich zumut­bar, die auf eine objek­tive Verän­derung der Ver­hält­nisse, wie etwa die Entwick­lung der Tech­nik, zurück­ge­ht und nicht auf wil­lentlich­er Änderung der bish­eri­gen Zweckbes­tim­mung beruht und die die zweck­entsprechende Benützung des belasteten Grund­stücks nicht behin­dert oder wesentlich mehr als bish­er einschränkt. 

Nur bei ein­er erhe­blichen Über­schre­itung der Dien­st­barkeit liegt eine unzu­mut­bare Mehrbe­las­tung vor:

Erst wenn die — ver­glichen mit dem früheren Zus­tand — gesteigerte Inanspruch­nahme des belasteten Grund­stücks zur Befriedi­gung der Bedürfnisse des herrschen­den Grund­stücks eine erhe­bliche Über­schre­itung der ungemesse­nen Dien­st­barkeit bedeutet, liegt eine unzu­mut­bare Mehrbe­las­tung vor. Dies­falls muss die Zunahme aber der­art stark sein, dass mit Sicher­heit angenom­men wer­den kann, sie über­schre­ite die Gren­ze dessen, was bei der Begrün­dung der Dien­st­barkeit vernün­ftiger­weise in Betra­cht gezo­gen wor­den sein könnte […].

Bei der Bes­tim­mung der Bedürfnisse des herrschen­den Grund­stücks dür­fen nun öffentlich-rechtliche Regelun­gen berück­sichtigt wer­den:

Grund­lage der Dien­st­barkeit ist das Ver­tragsrecht. Vorschriften des öffentlichen Rechts kön­nen den Inhalt der Dien­st­barkeit dann (mit-) bes­tim­men, wenn im Dien­st­barkeitsver­trag darauf ver­wiesen wird […] oder wenn die Dien­st­barkeit vor dem Hin­ter­grund ein­er öffentlich-rechtlichen Regelung begrün­det wird […]. Es darf allerd­ings nicht überse­hen wer­den, dass sich der Inhalt des Eigen­tums und damit auch der beschränk­ten dinglichen Rechte auf­grund der gel­tenden schweiz­erischen Recht­sor­d­nung in ihrer Gesamtheit bes­timmt. Dazu gehört neben dem pri­vat­en eben­so das öffentliche Recht des Bun­des und der Kan­tone auf Geset­zes- und Verord­nungsstufe. Es ist deshalb nicht unzuläs­sig, in der Beurteilung der Frage, was für Anforderun­gen an ein Wegrecht zu stellen sind, damit es die Bedürfnisse des berechtigten Grund­stücks befriedigt, auch die öffentlich-rechtlichen Vor­gaben oder hier die Empfehlun­gen der Vere­ini­gung der Schweiz­erischen Strassen­fach­leute (VSS-Nor­malien) an die Erstel­lung und Gestal­tung von Pri­vat­strassen zu berücksichtigen […].

Diese VSS-Empfehlun­gen sehen für Grund­stück­z­u­fahrten des Typs A “Zufahrtsweg” eine Bre­ite von 3 m beim Befahren vor und ver­lan­gen längs von Mauern, Heck­en und Zäunen eine zusät­zliche lichte Bre­ite von min­destens 20 cm. Hier war die Min­dest­bre­ite zwar gültig auf nur 2.30 m fest­gelegt wor­den. Das emp­foh­lene Ban­kett von 20 cm war aber nicht aus­geschlossen wor­den. Deshalb kann eine Bre­ite von 2.70 m (Fahrbahn von 2.30 plus zwei Ban­kette) für eine nor­male Befahrbarkeit nicht als unangemessen bean­standet wer­den. Eben­falls als angemessen erscheine ein zusät­zlich­es Stutzen der Pflanzen bis zur Höhe von 2.50 m über dem Fahrweg, wie dies dem kan­tonalen Recht entspreche.