5A_354/2012: “Tierquäler”, “Misshandlungen von Versuchstieren” und “Massenverbrechen an (Versuchs-)Tieren”: “provokant”, aber nicht ehrverletzend

Das BGer hat­te im vor­liegen­den Urteil, das zwei Ver­fahren vere­inigte, auf Beschw­er­den sowohl von Daniel Vasel­la und der Novar­tis als auch von Erwin Kessler und dem VgT mehrere Aus­sagen von Kessler/dem VgT unter per­sön­lichkeit­srechtlich­er Gesicht­spunk­ten zu beurteilen. Es han­delte sich dabei um die Aus­drücke “Mis­shand­lun­gen von Ver­such­stieren”, “Tierquäler”  und “Massen­ver­brechen an (Ver­suchs-) Tieren”.

Für diese Beurteilung ist zunächst der ange­sproch­ene Durch­schnittsleser zu bes­tim­men. Vor­liegend war dies nicht eine tier­schutz­in­ter­essierte, Kessler/dem VgT nah­este­hende Per­son. Vielmehr standen die fraglichen Aus­drücke im Kon­text von Jour­nal­is­te­nan­fra­gen. Zudem waren sie auf dem Inter­net pub­liziert wor­den. Im Ergeb­nis war der Durch­schnittsleser eine Per­son aus der Öffentlichkeit, die jedoch aktiv zu den fraglichen Infor­ma­tio­nen gelan­gen musste und von den fraglichen Aus­sagen daher nicht völ­lig unver­mit­telt getrof­fen wer­den konnte.

Das BGer hielt sodann Fol­gen­des fest: 

  • Es ist bekan­nt, dass Fra­gen des Tier­schutzes oft­mals emo­tion­al geführt wer­den. Das Pub­likum rech­net mit Übertrei­bun­gen und schar­fen For­mulierun­gen, umso mehr, als Kessler/der Vgt “als Vertreter des mil­i­tan­ten Tier­schutzes bekan­nt sind” und dass sie sich “an der Diskus­sion über Tierver­suche nicht nur emo­tion­al, son­dern häu­fig auch in pro­voka­tiv­er und polemis­ch­er Weise […] beteiligen”. 
  • Ein Durch­schnittsleser kann daher Übertrei­bun­gen und Polemik als solche erken­nen. Selb­st wenn jemand Kessler/den VgT nicht schon kan­nte, ergibt sich deren Ein­stel­lung deut­lich aus der Web­site des VgT und dem fraglichen Artikel.
  • Es ist dem Durch­schnittsleser erkennbar, dass Vasella/Novartis stel­lvertre­tend für die gesamte Indus­trie ste­hen sollen.

Vor diesem Hin­ter­grund sind aus Sicht des BGer daher fol­gende Aus­drücke nicht persönlichkeitsverletzend:

  • Tierquäler” und “Mis­shand­lun­gen von Ver­such­stieren”; mit ein­er recht gewun­de­nen Begrün­dung, die aber wohl darauf hin­aus­läuft, dass die Aus­drücke  “Tierquäler” und “Mis­shand­lun­gen von Ver­such­stieren” zwar “pro­vokant” sein mögen, dass der Durch­schnittsleser aber wisse, dass diese Aus­drücke vor dem Hin­ter­grund der bekan­nten bzw. erkennbaren Weltan­schau­ung der Beklagten zu würdi­gen sind;
  • Massen­ver­brechen an (Ver­suchs-) Tieren”: Dabei han­dle es sich um ein gemis­cht­es Wer­turteil mit dem Tat­sachenkern der Durch­führung von Tierver­suchen. Auch hier han­dle es sich aus Sicht des Durch­schnittsle­sers um eine “pro­vokante Qual­i­fizierung von (legalen) Tierver­suchen, die die erkennbare ethis­che und poli­tis­che Auf­fas­sung der Beklagten widerspiegelt”.

Im Ergeb­nis sind die Anwürfe von Kessler/dem VgT also ger­ade deshalb als nicht ehrver­let­zend beurteilt wor­den, weil sie der­art über’s Ziel hin­auss­chiessen, dass dem Durch­schnittsleser die dahin­ter­ste­hende “ethis­che und poli­tis­che Auf­fas­sung” nicht ver­bor­gen bleiben kann.