1C_68/2014: Der Umbau des Estrichs einer bestehenden Zweitwohnung zu einem Studio kann nicht mit Art. 75b BV vereinbart werden (amtl. Publ.)

Im zur Pub­lika­tion vorge­se­henen Urteil vom 15. August 2014 befasst sich das BGer mit einem Bauge­such für Zweit­woh­nun­gen. Im Feb­ru­ar 2013 ersuchte A. (später­er Beschw­erdegeg­n­er) die Gemeinde St. Moritz (spätere Beschw­erde­führerin) um die Bewil­li­gung für den Umbau des Estrichs ein­er beste­hen­den Zweit­woh­nung zu einem Stu­dio. Der durch den Gemein­de­vor­stand aus­ge­sproch­ene Bauab­schlag wurde vom Ver­wal­tungs­gericht des Kan­tons Graubün­den aufge­hoben. Das BGer wiederum heisst die von der Gemeinde St. Moritz gegen den Entscheid des Ver­wal­tungs­gerichts erhobene Beschw­erde gut.

Zunächst äussert sich das BGer zum Inhalt von Art. 75b Abs. 1 BV. Die Bes­tim­mung besage, dass der Anteil von Zweit­woh­nun­gen am Gesamtbe­stand der Wohnein­heit­en und der für Wohnzwecke genutzten Brut­to­geschoss­fläche ein­er Gemeinde auf höch­stens 20 Prozent beschränkt sei. Baube­wil­li­gun­gen für Zweit­woh­nun­gen, die zwis­chen dem 1. Jan­u­ar des auf die Annahme von Art. 75b BV fol­gen­den Jahres und dem Inkraft­treten der Aus­führungs­bes­tim­mungen erteilt wer­den, seien nichtig (Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV). 

In der Lit­er­atur ist umstrit­ten, ob der Bun­desrat schon vor Ablauf der zwei­jähri­gen Über­gangs­frist gemäss Art. 197 Ziff. 9 Abs. 1 BV zur Vol­lziehung der neuen Ver­fas­sungs­bes­tim­mung befugt war […]. Inzwis­chen ist die in Art. 197 Ziff. 9 Abs. 1 BV sta­tu­ierte Über­gangs­frist abge­laufen, ohne dass ein Aus­führungs­ge­setz in Kraft getreten ist. Der Bun­desrat ist nun­mehr befugt, die nöti­gen Aus­führungs­bes­tim­mungen über Erstel­lung, Verkauf und Reg­istrierung im Grund­buch durch Verord­nung zu regeln. Am 19. Feb­ru­ar 2014 hat der Bun­desrat den Entwurf eines Zweit­woh­nungs­ge­set­zes (E‑ZWG) und die dazuge­hörige Botschaft beschlossen (BBl 2014 2287 ff.). Bis zum Inkraft­treten des Geset­zes soll die gel­tende Zweit­woh­nungsverord­nung vom 22. August 2012 in Kraft bleiben […]. Ver­fügt der Bun­desrat seit dem 12. März 2014 über eine ver­fas­sungsrechtliche Ermäch­ti­gung zum Erlass von Aus­führungs­bes­tim­mungen in Form ein­er Verord­nung, so beste­hen aus kom­pe­ten­zrechtlich­er Sicht keine Bedenken mehr gegen die Zweit­woh­nungsV. Es wäre über­spitzt for­mal­is­tisch, vom Bun­desrat zu ver­lan­gen, die Zweit­woh­nungsV ein zweites Mal zu erlassen, dies­mal gestützt auf Art. 197 Ziff. 9 Abs. 1 BV (E. 4.1).

Laut BGer werde der vor­liegend stre­it­ige Fall des Um- bzw. Aus­baus ein­er Zweit­woh­nung, die weit­er­hin als Zweit­woh­nung genutzt wer­den soll, von der Zweit­woh­nungsV nicht geregelt. Daher bleibe es bei der Über­gangsregelung von Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV

Art. 197 Ziff. 9 Abs. 2 BV enthält ein vor­sor­glich­es Baube­wil­li­gungsver­bot, das im Ergeb­nis […] ein­er Pla­nungszone gle­ichkommt. Es ist weit auszule­gen, um eine Präjudizierung der kün­fti­gen Aus­führungs­ge­set­zge­bung zu ver­mei­den […]. Darunter fall­en alle baube­wil­li­gungspflichti­gen Tatbestände, deren Vere­in­barkeit mit Art. 75b Abs. 1 BV zweifel­haft erscheint und daher vom Geset­zge­ber geregelt wer­den müssen (E. 5).

Art. 75b BV beschränkt nicht nur den Zweit­woh­nungsan­teil am Gesamtbe­stand der Wohnein­heit­en, son­dern auch an der für Wohnzwecke genutzten Brut­to­geschoss­fläche ein­er Gemeinde. Wie das ARE zutr­e­f­fend dar­legt, ist davon auszuge­hen, dass dieser Begriff kün­ftig bun­de­sein­heitlich geregelt wird und sich nicht zwangsläu­fig mit der nach dem kan­tonalen bzw. kom­mu­nalen Recht anrechen­baren Brut­to­geschoss­fläche deck­en wird (E. 5.1).

Die Ausle­gung des ARE, wonach auf die Flächen eines Geschoss­es abzustellen sei, die der Wohn­nutzung im engeren Sinne dienen, sei eine Ausle­gung, die mit Art. 75b BV vere­in­bart wer­den könne. Nach dieser Def­i­n­i­tion stelle die Umwand­lung von Neben­nutzflächen in Haupt­nutzflächen eine Erweiterung ein­er beste­hen­den Zweit­woh­nung dar. Der Umbau des Estrichs zu einem Stu­dio ver­grössere die Haupt­nutzfläche und stelle einen baube­wil­li­gungspflichti­gen Tatbe­stand dar, dessen Vere­in­barkeit mit Art. 75b Abs. 1 BV zweifel­haft erscheine und bis zur Klärung durch den Geset­zge­ber nicht bewil­ligt wer­den könne.