4A_5/2014: Überragen des Postautos in die Gegenfahrbahn kein besonderer Umstand nach Art. 61 SVG

Ein Motor­rad kol­li­dierte in ein­er schar­fen Kurve mit einem ent­ge­genk­om­menden Postau­to. Der Motor­rad­fahrer (Beschw­erde­führer) erlitt schwere Ver­let­zun­gen. Im Kol­li­sions­bere­ich betrug die Stei­gung ca. 4,5 %. Das her­auf­fahrende Postau­to war für den Gegen­verkehr gut sicht­bar, doch war es ihm nicht möglich, die Kurve zu befahren, ohne die Gegen­fahrbahn in Anspruch zu nehmen. An der Kol­li­sion­sstelle ragte deshalb das Postau­to 55 cm auf die Gegen­fahrbahn (Urteil 4A_5/2014 vom 2. Juni 2014).

Der Motor­radlenker machte gel­tend, für die Fol­gen des Verkehrsun­fall­es sei ihm von der Schweiz­erischen Post mit ein­er Haf­tungsquote von 40 % Schaden­er­satz zuzus­prechen. Er argu­men­tierte, das wesentlich höhere Gewicht des Postau­tos, dessen schlechte Lenkbarkeit und das Herüber­ra­gen in die Gegen­fahrbahn habe die Betrieb­s­ge­fahr erhöht und eine Kausal­haf­tung begrün­det (E. 5). Die Vorin­stanz sah demge­genüber die Voraus­set­zun­gen für eine Haf­tung der Post nicht als gegeben an (E. 3). Das Bun­des­gericht schützte den vorin­stan­zlichen Entscheid.

Zu beurteilen war, ob beson­dere Umstände nach Art. 61 Abs. 1 SVG vor­la­gen, die eine Haf­tung der Post gerecht­fer­tigt hät­ten (E. 2). Das Bun­des­gericht verneinte das Vor­liegen solch­er Umstände und sah ins­beson­dere das Hinein­ra­gen des Postau­tos in die andere Fahrbahn nicht als haf­tungs­be­grun­dend an (E. 5.1.3):

“5.1.3. Heik­ler ist das Über­ra­gen auf die andere Fahrbahn. Das kon­struk­tions­be­d­ingte Befahren der Gegen­fahrbahn in engen Kur­ven erhöht namentlich bei unüber­sichtlichen Ver­hält­nis­sen die Gefahr, dass es beim Kreuzen zu einem Unfall kom­men kön­nte. Nach den Fest­stel­lun­gen der Vorin­stanz war das Postau­to für den Gegen­verkehr indessen gut sicht­bar und hätte das Über­ra­gen selb­st das Kreuzen mit einem Auto nicht verun­möglicht. Hätte der Beschw­erde­führer seine Fahrpo­si­tion in der Mitte sein­er Fahrspur (ca. 1.9 m von der Mit­tellinie ent­fer­nt) beibehal­ten, hätte er die Kol­li­sion ver­mei­den kön­nen. Vor diesem Hin­ter­grund über­schre­it­et die Vorin­stanz ihr Ermessen nicht, wenn sie trotz gegeben­er Kausal­ität annimmt, in der konkreten Sit­u­a­tion habe sich die im Über­ra­gen beziehungsweise in der gerin­geren Manövri­er­fähigkeit liegende Betrieb­s­ge­fahr nicht in ein­er Weise man­i­festiert, die als beson­der­er Umstand im Sinne von Art. 61 SVG zu berück­sichti­gen wäre. Entschei­dend wirk­te sich aus, dass der Beschw­erde­führer das ent­ge­genk­om­mende Fahrzeug offen­bar nicht gese­hen hat und jeden­falls, statt die Fahrspur beizube­hal­ten oder an den recht­en Rand zu ziehen, sein Fahrzeug über­raschend nach innen gezo­gen hat (was umso unver­ständlich­er ist, sofern er das Postau­to nicht überse­hen haben sollte, da er dies­falls damit rech­nen musste, dass es auf­grund der Grösse des Postau­tos bei einem Kreuzen nahe der Mit­tellinie zu Prob­le­men kom­men kön­nte). Es ist nicht zu bean­standen, wenn die Vorin­stanz annimmt, den allein schuldigen Hal­ter tre­ffe nicht bloss ein ger­ingfügiges Ver­schulden, und ihm die volle Haf­tung überbindet […]. Ger­ade weil das Postau­to notorisch gross ist, muss beim Betrieb des­sel­ben in der Regel nicht damit gerech­net wer­den, es kön­nte überse­hen wer­den, obwohl es objek­tiv für den Gegen­verkehr gut sicht­bar war, oder ein ent­ge­genk­om­mendes Motor­rad werde trotz der Bre­ite des Postau­tos in die Mitte der Fahrspur ziehen, wenn das Kreuzen bei Beibehal­ten der Fahrspur prob­lem­los möglich wäre. Im Unfall hat sich primär nicht die spezielle Gefahr des Postau­tos man­i­festiert, son­dern die Folge des Fahrfehlers des Beschw­erde­führers.