4A_138/2014: Verhältnis der Rückerstattungsklage (Art. 678 OR) zur aktienrechtlichen Verantwortlichkeitsklage (Art. 754 ff. OR), Zulässigkeit konzerninterner Darlehen, Verbot der Einlagerückgewähr (Art. 680 Abs. 2 OR) und Agio (amtl. Publ.)

Hin­ter­grund dieses Urteils des Bun­des­gerichts waren konz­ern­in­terne Dar­lehen ein­er Konz­ernge­sellschaft im Zusam­men­hang mit einem vom Konz­ern ein­gerichteten Zero Bal­anc­ing Cash Pool­ing. Im rel­e­van­ten Geschäft­s­jahr schrieb die Konz­ernge­sellschaft einen Bilanzgewinn von CHF 29.17 Mio. Die beklagte Revi­sion­sstelle bestätigte die Geset­zes­mäs­sigkeit und Statutenkon­for­mität ein­er Div­i­den­den­zahlung von CHF 28.5 Mio. an die Konz­ern­mut­ter als alleinige Aktionärin. Die Konz­ernge­sellschaft — mit­tler­weile in Nach­lassliq­ui­da­tion — fasste die Revi­sion­sstelle wegen dieser vor­be­halt­losen Genehmi­gung der über­höht­en Div­i­dende aus aktien­rechtlich­er Ver­ant­wor­tung ins Recht. Das für die Div­i­den­de­nauss­chüt­tung ver­wend­bare Eigenkap­i­tal der Konz­ernge­sellschaft von CHF 29.17 Mio. sei zufolge der konz­ern­in­ter­nen Dar­lehen im Umfang von CHF 23.65 Mio. — die in den Anwen­dungs­bere­ich von Art. 680 Abs. 2 OR fall­en wür­den — bere­its beansprucht gewe­sen, weshalb nur ein Betrag von CHF 5.52 Mio. als Div­i­dende hätte aus­geschüt­tet wer­den dürfen.

Das Han­dels­gericht Zürich wies die Klage mit Urteil vom 9. März 2012 ab. Nach­dem das Bun­des­gericht eine gegen dieses Urteil ein­gere­ichte Beschw­erde teil­weise gut­ge­heis­sen hat­te, hiess das Han­dels­gericht Zürich die Klage mit Urteil vom 20. Jan­u­ar 2014 teil­weise gut. Sie fol­gte der Argu­men­ta­tion der Konz­ernge­sellschaft, wonach die konz­ern­in­ter­nen Dar­lehen zwar keine direk­te Ein­lagerück­gewähr darstellen, jedoch eine Sper­rung der für die Div­i­den­de­nauss­chüt­tung zur Ver­fü­gung ste­hen­den freien Mit­tel bewirken wür­den. Die Revi­sion­sstelle reichte gegen dieses Urteil Beschw­erde ein.

Die Revi­sion­sstelle macht zunächst gel­tend, die Konz­ernge­sellschaft sei ihrer Schaden­min­derungspflicht nicht nachgekom­men, da sie ihren Rück­er­stat­tungsanspruch für die ange­blich zu viel bezahlte Div­i­dende nicht richtig durchge­set­zt habe. Diese Rüge gab dem Bun­des­gericht die Gele­gen­heit, sich erst­mals zum Ver­hält­nis der Rück­er­stat­tungsklage (gemäss Art. 678 OR) zur aktien­rechtlichen Ver­ant­wortlichkeit­sklage (gemäss Art. 754 ff. OR) zu äussern. Das Bun­des­gericht wies zunächst auf die in der Lehre vertrete­nen, unter­schiedlichen Ansicht­en hin und fol­gte dann der Ansicht von Böck­li, wonach die Schaden­min­derung­sobliegen­heit eine zu schmale rechtliche Basis ist, um eine der­art ein­schnei­dende Zurück­set­zung der im Gesetz angelegten Ver­ant­wortlichkeit­sklage zu tra­gen (E. 3.2.2. f.):

Eine der­art grund­sät­zliche struk­turelle Frage wie jene nach dem Ver­hält­nis von Rück­er­stat­tungs- und Ver­ant­wortlichkeit­sklage kann nicht über die Schaden­min­derung­sobliegen­heit gelöst wer­den. Die Vorin­stanz ist damit zu Recht zur Auf­fas­sung gelangt, dass die Klägerin im vor­liegen­den Fall nicht gehal­ten war, vor dem Ver­ant­wortlichkeit­sprozess eine Rück­er­stat­tungsklage nach Art. 678 OR gegen […] anzustrengen.

Die näch­ste Rüge der Revi­sion­sstelle betraf die Frage, ob die von der Konz­ernge­sellschaft gewährten konz­ern­in­ter­nen Dar­lehen die Kap­i­talschutzvorschriften des Aktien­rechts ver­let­zten. Das Bun­des­gericht hielt dazu mit Ver­weis auf die Lehre fest (E. 4.2):

Die genan­nten Kap­i­talschutzvorschriften set­zen auch der Gewährung von Dar­lehen unter Konz­ernge­sellschaften Gren­zen. Bei einem Dar­lehen ein­er Tochterge­sellschaft an ihre Mut­terge­sellschaft (sog.  up-stream-Dar­lehen) stellt sich ins­beson­dere die Frage, ob unter dem Deck­man­tel eines Dar­lehens in Wirk­lichkeit eine Auss­chüt­tung von geschütztem Eigenkap­i­tal an die Aktionärin erfol­gt und damit gegen das Ver­bot der Ein­la­gen­rück­gewähr ver­stossen wird […]. Dies gilt auch für Dar­lehen an Schwest­erge­sellschaften (sog.  cross-stream ‑Dar­lehen), da die Dar­lehensva­l­u­ta dies­falls über die Beteili­gungsver­hält­nisse indi­rekt an die Mut­terge­sellschaft als Aktionärin der Dar­lehens­ge­berin und der Borg­erin fliessen […]. 

Und weit­er:

Nach herrschen­der Lehre stellt ein Dar­lehen an eine Mut­ter- oder Schwest­erge­sellschaft dann eine kap­i­talschutzrechtlich rel­e­vante Auss­chüt­tung dar, wenn das Dar­lehen nicht zu Markt- bzw. Drit­tbe­din­gun­gen aus­gerichtet wor­den ist […]. Solange das durch Art. 680 Abs. 2 OR geschützte Kap­i­tal durch die Auss­chüt­tung nicht berührt ist, d.h. der nicht zu Mark­tbe­din­gun­gen geleis­tete Dar­lehens­be­trag nicht aus dem geschützten, son­dern aus dem freien Eigenkap­i­tal her­rührt, liegt zwar kein Ver­stoss gegen das Ver­bot der Ein­la­gen­rück­gewähr vor; im Ergeb­nis führt eine solche Auss­chüt­tung mit Blick auf eine Div­i­den­de­nauss­chüt­tung aber zu ein­er fak­tis­chen Sper­rung des freien Eigenkap­i­tals im Umfang des aus­gerichteten Dar­lehens­be­trags […]. Denn bliebe das nicht zu Mark­tbe­din­gun­gen aus­gerichtete und damit Auss­chüt­tungscharak­ter aufweisende Dar­lehen bei der Bes­tim­mung der auss­chüt­tbaren Div­i­dende unberück­sichtigt, würde das freie Eigenkap­i­tal dop­pelt ver­wen­det, näm­lich im Zusam­men­hang mit dem erfol­gten Dar­lehen ein­er­seits und der geplanten Div­i­dende andererseits.

Auf die einzel­nen Vor­brin­gen der Revi­sion­sstelle ging das Bun­des­gericht in der Folge nicht ein (E. 4.5). Zunächst beze­ich­nete es bere­its im Ansatz frag­würdig, ob die Teil­nahme an einem Cash Pool, bei der die Teil­nehmerin über ihre Liq­uid­ität ver­fügt, als solche über­haupt einem Drittmannstest stand­hält. Diese Frage beurteilte das Bun­des­gericht allerd­ings nicht ver­tieft, da die von der Konz­ernge­sellschaft aus­gerichteten Dar­lehen unbe­strit­ten­er­massen nicht besichert waren und die Revi­sion­sstelle im vorin­stan­zlichen Ver­fahren auch nicht behauptet hat­te, sich mit der Bonität der Schuld­ner­in­nen befasst zu haben. Allein auf­grund dieser Umstände kann aber, so das Bun­des­gericht, ein vol­lkom­men ungesichertes Dar­lehen in der Höhe von ins­ge­samt CHF 23.65 Mio. nicht als Mark­tbe­din­gun­gen entsprechend beze­ich­net werden.

Die Revi­sion­sstelle brachte schliesslich vor, die Vorin­stanz habe für ihre Berech­nung des ges­per­rten bzw. unges­per­rten Kap­i­tals im Zusam­men­hang mit den Aktionärs­dar­lehen zu Unrecht nur auf den Bilanzgewinn abgestellt, son­dern hätte auch das Agio zum nicht durch Art. 680 Abs. 2 OR geschützten Kap­i­tal rech­nen müssen. Nach­dem das Bun­des­gericht die in der Lehre vertrete­nen, unter­schiedlichen Auf­fas­sun­gen darstellte, fol­gte es der herrschen­den Ansicht, wonach das Agio wie eine gewöhn­liche all­ge­meine Reserve zu behan­deln ist und keinen beson­deren Schutz, namentlich des Ver­bots der Ein­lagerück­gewähr gemäss Art. 680 Abs. 2 OR geniesst (E. 6.2.2.):

Die Mehrheitsmei­n­ung überzeugt und find­et ihre Stütze namentlich im klaren Wort­laut von Art. 671 OR: Abs. 2 Ziff. 1 OR bes­timmt, dass das Agio der all­ge­meinen Reserve zuzuweisen ist. Aus Abs. 3 OR e con­trario fol­gt sodann, dass die all­ge­meine Reserve — und damit auch das in diese kraft Abs. 2 Ziff. 1 zugewiesene Agio — frei ver­wen­det wer­den darf, soweit sie die Hälfte des Aktienkap­i­tals über­steigt. Dies entspricht nicht zulet­zt auch den Vorstel­lun­gen des Steuerge­set­zge­bers, geht dieser doch seit der Ein­führung des Kap­i­talein­lageprinzips durch die Unternehmenss­teuer­reform II davon aus, dass Agio aus­geschüt­tet wer­den darf […]. Das Agio fällt mithin nicht in den Anwen­dungs­bere­ich von Art. 680 Abs. 2 OR und kann als Teil der (unges­per­rten) all­ge­meinen Reserve im Ver­fahren der Div­i­den­de­nauss­chüt­tung aus­bezahlt wer­den (Art. 675 Abs. 2 OR […]). 

Gestützt darauf hiess das Bun­des­gericht die Beschw­erde in diesem Punkt gut, hob das Urteil des Han­dels­gerichts auf und wies die Vorin­stanz an, die auss­chüt­tbare Div­i­dende und damit ver­bun­den den von der Konz­ernge­sellschaft durch die Pflichtver­let­zung der Revi­sion­sstelle erlit­te­nen Schaden neu zu berechnen.