4A_655/2014 (amtl. Publikation): Keine analoge Anwendung von Art. 356 Abs. 2 lit. a ZPO auf die Einsetzung eines Schiedsgutachters

Im Entscheid 4A_655/2014 vom 20. Mai 2015 befasste sich das Bun­des­gericht mit der Ein­set­zung eines Schiedsgutachters.

Die Parteien hiel­ten in einem Aktionärs­bindungsver­trag fest, dass wenn sie sich nicht innert ein­er bes­timmten Frist auf den Aktienkauf­preis eini­gen kön­nten, die Verkäuferin die Bew­er­tung durch einen Schiedsgutachter ver­lan­gen könne. Soll­ten sich die Parteien nicht über die Bestel­lung des Schiedsgutachters eini­gen kön­nen, “erfol­gt dessen Ernen­nung ana­log zu Art. 12 des Schweiz­erischen Konko­r­dats über die Schieds­gerichts­barkeit durch den Richter”. Gestützt auf diese Vere­in­barung gelangte die Beschw­erdegeg­ner­in an den Präsi­den­ten des Oberg­erichts des Kan­tons Thur­gau mit dem Begehren, den Schiedsgutachter zu bes­tim­men, was der Oberg­ericht­spräsi­dent in der Folge auch tat. Die Beschw­erde­führerin bestritt die sach­liche Zuständigkeit des Oberg­ericht­spräsi­den­ten und beantragte vor Bun­des­gericht die Aufhe­bung des Entscheids.

Das Bun­des­gericht erläuterte zunächst, dass die Vorin­stanz die ver­tragliche Vere­in­barung ver­trauen­sthe­o­retisch zutr­e­f­fend aus­gelegt habe, wenn sie schloss, die Parteien hät­ten zur Bestel­lung des Schiedsgutachters das obere kan­tonale Gericht des Kan­tons Thur­gau bestimmt. 

Das Bun­des­gericht erk­lärte aber, dass die Parteien die sach­liche Zuständigkeit der staatlichen Gerichte wed­er bes­tim­men noch abän­dern kön­nen, sofern das für die Gericht­sor­gan­i­sa­tion mass­gebende kan­tonale Recht (Art. 3 und 4 ZPO) diese Möglichkeit — im Rah­men der bun­desrechtlich umschriebe­nen Gren­zen — nicht aus­drück­lich ein­räumt. Den Erwä­gun­gen des ange­focht­e­nen Entschei­ds sei jedoch nicht zu ent­nehmen, dass das hier mass­gebende Recht des Kan­tons Thur­gau den Parteien eine entsprechende Wahlmöglichkeit ein­räu­men würde. Die Vorin­stanz habe vielmehr auss­chliesslich gestützt auf bun­desrechtliche Nor­men ihre Zuständigkeit bejaht und in dieser Hin­sicht namentlich angenom­men, ihre Zuständigkeit lasse sich auf die — ana­log anwend­bare — Norm von Art. 356 Abs. 2 lit. a ZPO bzw. die entsprechende Norm des aKSG stützen.

Das Bun­des­gericht hob den Unter­schied zwis­chen einem Schieds­gericht und einem Schiedsgutachter her­vor und verneinte die Anwen­dung von Art. 356 ZPO auf die Ein­set­zung eines Schiedsgutachters (E. 2.5 f.):

Ein Schieds­gericht kann für die Entschei­dung ein­er bes­timmten Stre­it­igkeit einge­set­zt wer­den (vgl. Art. 357 ZPO); mit einem Schied­surteil wird verbindlich über stre­it­ige Ansprüche der Parteien entsch­ieden, während ein Schiedsgutacht­en nach dem klaren Wort­laut von Art. 189 Abs. 1 ZPO die Fest­stel­lung “stre­it­iger Tat­sachen” zum Gegen­stand hat. Die sys­tem­a­tis­che Einord­nung im Rah­men der Beweis­mit­tel zeigt denn auch, dass es beim Schiedsgutacht­en vor­ab um Tat­sachen­fest­stel­lung geht. Die Ernen­nung der Schied­srich­terin­nen und Schied­srichter, die gemäss Art. 356 Abs. 2 ZPO der vom kan­tonalen Recht bes­timmten zuständi­gen Behörde über­tra­gen ist, kann insofern der Ernen­nung eines Schiedsgutachters nicht gle­ichgestellt wer­den. Die Parteien kön­nen im Rah­men pri­vatau­tonomer Vere­in­barung gemäss Art. 189 ZPO eine Per­son bes­tim­men, die sie mit der Ernen­nung des Schiedsgutachters für den Fall betrauen wollen, dass sie sich darauf nicht zu eini­gen ver­mö­gen. Aber wenn sie diese Per­son auf­grund ihrer Funk­tion bes­tim­men (z.B. den jew­eili­gen kan­tonalen Oberg­ericht­spräsi­den­ten), so bes­tim­men sie damit nicht die staatliche Jus­tizbe­hörde, son­dern eine Pri­vat­per­son, die als solche — sofern sie dazu in der Lage und damit ein­ver­standen ist — im pri­vat­en Auf­tragsver­hält­nis han­delt. Die Inter­ven­tion des staatlichen Gerichts gemäss Art. 356 ZPO ist auf die Tätigkeit im Rah­men der Schieds­gerichts­barkeit beschränkt und umfasst die Ernen­nung von Gutachtern zur Fest­stel­lung von Tat­sachen auch dann nicht, wenn die Parteien eine Vere­in­barung zur Ein­hol­ung eines Schiedsgutacht­ens getrof­fen haben.

Die sach­liche Zuständigkeit der Vorin­stanz als staatliche Gerichts­be­hörde lässt sich fol­glich nicht auf Art. 356 ZPO stützen (…). Vielmehr gel­ten — wie der Beschw­erde­führer zutr­e­f­fend vor­bringt — die all­ge­meinen Vorschriften zur sach­lichen Zuständigkeit, wie sie im kan­tonalen Recht im Rah­men der Art. 3 und 4 ZPO fest­gelegt sind. Danach ist davon auszuge­hen, dass der Beschw­erdegeg­n­er einen stre­it­i­gen Anspruch über die Ernen­nung eines Schiedsgutachters gegen den Beschw­erde­führer durchzuset­zen sucht, wobei er sich auf eine pri­vatau­tonome Vere­in­barung gestützt auf Art. 189 ZPO beruft (…). Dafür sieht die ZPO wed­er eine einzige kan­tonale Instanz vor, noch schreibt sie aus­drück­lich ein bes­timmtes Ver­fahren vor (…). Ins­beson­dere ist die Ernen­nung eines Schiedsgutachters — im Unter­schied etwa zur Beze­ich­nung ein­er sachver­ständi­gen Per­son zur Prü­fung eines Werks (Art. 250 lit. b Ziff. 4 ZPO) — nicht aus­drück­lich in das sum­marische Ver­fahren ver­wiesen. Immer­hin gilt das sum­marische Ver­fahren für den Rechtss­chutz in klaren Fällen (Art. 248 lit. b i.V.m. Art. 257 ZPO). Wie es sich damit ver­hält, kann let­ztlich offen bleiben. Der Oberg­ericht­spräsi­dent hat seine Zuständigkeit in sin­ngemäss­er Anwen­dung von Art. 356 ZPO jeden­falls zu Unrecht bejaht.