2C_876/2014: Die Annullierung eines gesamten Vergabeverfahrens und die Anordnung eines neuen Ausschreibungsverfahrens setzen voraus, das wichtige Gründe des öffentlichen Interesses vorliegen (amtl. Publ., frz.)

Im zur amtlichen Pub­lika­tion vorge­se­henen Urteil vom 4. Sep­tem­ber 2015 äusserte sich das BGer zur Bau­ver­gabe betr­e­f­fend das interkan­tonale Spi­tal Riv­iera-Chablais im waadtländis­chen Ren­naz. Im Juni 2013 wur­den die Arbeit­en für den Bau des interkan­tonalen Spi­tals in Ren­naz im offe­nen Ver­fahren aus­geschrieben, wobei fünf Offer­ten eingin­gen. Im Jan­u­ar 2014 entsch­ied die Baukom­mis­sion des Spi­tals, die Bauar­beit­en an das Unternehmen Stein­er AG zu vergeben. Gegen den Ver­gabeentscheid führten die unter­lege­nen Unternehmen Inso S.p.A. und HRS Real Estate SA Beschw­erde beim Waadtlän­der Kan­ton­s­gericht, welch­es den Ver­gabeentscheid aufhob. Das BGer wiederum heisst die von der Stein­er AG dage­gen erhobene Beschw­erde gut.

Im aus­führlich begrün­de­ten Urteil lässt sich das BGer unter anderem zu den Voraus­set­zun­gen vernehmen, die für die Annul­lierung des gesamten Ver­gabev­er­fahrens und nicht nur des ange­focht­e­nen Entschei­ds gegeben sein müssen:

[…] l’in­ter­rup­tion, la répéti­tion ou le renou­velle­ment de la procé­dure n’est pos­si­ble qu’à titre excep­tion­nel et sup­pose un motif impor­tant; cette règle existe aus­si pour les marchés publics soumis au droit fédéral […]. L’in­ter­rup­tion du marché (ce qui sup­pose l’an­nu­la­tion de tous les actes déjà accom­plis) appa­raît donc comme une ulti­ma ratio […] (E. 6.1.).

Das Kan­ton­s­gericht des Kan­tons Waadt stellte sich auf den Stand­punkt, dass Män­gel im Zusam­men­hang mit Bankgarantien, die von den Offer­enten zum Beweis ihrer Finanzierungs­grund­lage ver­langt wur­den, für die Annul­lierung des Ver­gabeentschei­ds aus­re­ichend seien. Das BGer ist ander­er Ansicht und führt aus, dass kein­er der Offer­enten alle ver­langten Doku­mente ein­gere­icht habe. Da der Finanzierungsnach­weis auch auf andere Weise erbracht wer­den könne und aus den Auss­chrei­bung­sun­ter­la­gen wed­er der Umfang der ver­langten Bankgarantien, noch die genauen Anforderun­gen an diese Garantien her­vorge­gan­gen seien, recht­fer­tige sich der Abbruch des Auss­chrei­bungsver­fahrens nicht.

Schliesslich sagt das BGer, dass auch die übri­gen Män­gel in ihrer Gesamtheit eine Annul­lierung und Neuauss­chrei­bung der Bau­ver­gabe nicht rechtfertigten:

Bien que l’on puisse envis­ager des sit­u­a­tions dans lesquelles un intérêt pub­lic prépondérant com­man­derait de met­tre à néant un marché pub­lic même en l’ab­sence d’er­reurs graves impac­tant sur le sort final de l’ad­ju­di­ca­tion con­testée, par exem­ple si la fausse procé­dure a été appliquée, l’ab­sence d’er­reurs graves doit en règle générale être con­sid­érée comme un indice pour le défaut de jus­ti­fi­ca­tion con­cer­nant l’an­nu­la­tion com­plète d’un marché pub­lic […] (E. 8.5.).