2C_1131/2013: Die Vergabe eines Auftrages im Staatsvertragsbereich anhand eines Einladungsverfahrens verstösst gegen das Binnenmarktgesetz (amtl. Publ., frz.)

In einem zur Pub­lika­tion vorge­se­henen Entscheid vom 31. März 2015 äusserte sich das BGer zur richti­gen Ver­fahren­sart bei der Ver­gabe von öffentlichen Aufträ­gen. Die Tridel SA mit Sitz in Lau­sanne hat den statu­tarischen Zweck, Sied­lungsabfälle in Abfal­lver­bren­nungsan­la­gen zu ver­w­erten. Das Aktienkap­i­tal der Tridel SA befind­et sich im Eigen­tum ver­schieden­er Gemein­den. In einem Entscheid aus dem Jahr 2011 hat das BGer fest­ge­hal­ten, dass das im USG (Umweltschutzge­setz, SR 814.01) normierte Verur­sacher­prinzip der Finanzierung der Sied­lungsab­fal­l­entsorgung mit­tels Pauschal­ge­bühr ent­ge­gen­ste­he. Gle­ichzeit­ig hat es die Imple­men­tierung ein­er Lenkungskausal­ab­gabe ange­ord­net (BGE 137 I 257). Bed­ingt durch diesen Entscheid hat der Grosse Rat des Kan­tons Waadt am 3. Juli 2012 die kan­tonale Geset­zge­bung mit Wirkung auf den 1. Jan­u­ar 2013 dahinge­hend geän­dert, dass die Finanzierung der Sied­lungsab­fal­l­entsorgung durch Kausal­ab­gaben sichergestellt wird. Dabei müssen min­destens 40% der Kosten durch eine Kausal­ab­gabe gedeckt wer­den, deren Höhe sich pro­por­tion­al zur Menge der Sied­lungsabfälle ver­hält. Konkret wurde die Geset­zesän­derung durch die Ein­führung ein­er Abfall­sack­ge­bühr (“taxe au sac”) umge­set­zt. Am 26. April 2012 hat die Tridel SA sieben Aktienge­sellschaften in einem Ein­ladungsver­fahren aufge­fordert, Offer­ten für die Pro­duk­tion, die Verteilung und das Ein­sam­meln von Abfall­säck­en einzure­ichen. Den Zuschlag hat die E. AG erhal­ten, welche die aus­geschriebe­nen Dien­stleis­tun­gen für einen Preis von Fr. 1’617’500.– pro Jahr offeriert hat. Den Entscheid der Tridel SA zog die Eid­genös­sis­che Wet­tbe­werb­skom­mis­sion (WEKO) bis vor BGer, welch­es die Beschw­erde gutheisst.

Die WEKO macht im Wesentlichen gel­tend, dass die Tridel SA das offene Ver­fahren hätte wählen müssen (Art. 12 Abs. 1 lit. a der Interkan­tonalen Vere­in­barung über das öffentliche Beschaf­fungswe­sen [IVöB, SR 172.056.5]). Das BGer stützt diese Aus­sage, indem es aus­führt, dass das Ein­ladungsver­fahren im konkreten Fall nicht hätte gewählt wer­den dür­fen, da der vor­liegende Dien­stleis­tungsver­trag einem Staatsver­trag unter­liege (accord pluri­latéral sur les marchés publics [AMP]). Gle­ichzeit­ig verneint das BGer die Auf­fas­sung der Tridel SA, wonach die Wahl des Ein­ladungsver­fahrens kor­rekt sei, da es sich um eine dringliche Sit­u­a­tion han­dle. Eine dringliche Sit­u­a­tion sei nur dann gegeben, wenn die fol­gen­den Voraus­set­zun­gen kumu­la­tiv bejaht wer­den kön­nten (Art. XV AMP und Art. 8 lit. e règle­ment d’ap­pli­ca­tion de la loi du 24 juin 1996 sur les marchés publics du Can­ton de Vaud):

  • der Ein­tritt eines unvorherse­hbaren Ereignisses
  • die Kausal­ität zwis­chen unvorherse­hbarem Ereig­nis und dringlich­er Situation
  • die dringliche Sit­u­a­tion darf nicht durch die Auss­chreibende verur­sacht wor­den sein
  • die dringliche Sit­u­a­tion muss dergestalt sein, dass die Auss­chreibende nicht in der Lage ist, die Auss­chrei­bung im offe­nen Ver­fahren durchzuführen
  • das Ein­ladungsver­fahren stellt die einzige Mass­nahme dar zur Wieder­her­stel­lung des Normalzustandes
Das BGer führt aus, dass die kurze Zeitspanne von sechs Monat­en zwis­chen der Annahme der Geset­zesän­derung (3. Juli 2012) und der Inkraft­set­zung der neuen Bes­tim­mungen (1. Jan­u­ar 2013) durch den Grossen Rat des Kan­tons Waadt hypo­thetisch geeignet sei, eine dringliche Sit­u­a­tion zu schaf­fen. Die Tridel SA habe das Ein­ladungsver­fahren aber bere­its vor der Annahme der Geset­zesän­derung ini­ti­iert und den Ver­trag mit der E. AG lediglich einige Tage nach der Annahme abgeschlossen. Mithin wären der Tridel SA weit­ere Monate zur Ver­fü­gung ges­tanden um ein offenes Ver­fahren zu lancieren. Die Anrufung der dringlichen Sit­u­a­tion zur Legit­imierung des Ein­ladungsver­fahrens sei deshalb treuwidrig erfol­gt und ver­stosse gegen die Grund­sätze des Bin­nen­mark­t­ge­set­zes (BGBM, SR 943.02).