5A_678/2014, 5A_725/2014: Präzisierungen zum Begriff Teilentscheid im Sinne von Art. 91 lit. a BGG (amtl. Publ)

Mit Entscheid 5A_678/2014, 5A_725/2014 vom 27. Juli 2015 trat das Bun­des­gericht auf zwei Beschw­er­den gegen ein Urteil des Oberg­erichts des Kan­tons Thur­gau nicht ein, da der ange­focht­ene Entscheid nicht als Teilentscheid im Sinne von Art. 91 BGG qual­i­fizierte und der Zwis­ch­enentscheid wed­er die Zuständigkeit noch den Aus­stand (Art. 92 BGG) betraf und auch die Kri­te­rien von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG (nicht wieder gutzu­machen­der Nachteil) und Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG (sofor­tiger Endentscheid) nicht erfüllt waren.

Dem Entscheid lag zusam­menge­fasst fol­gen­der Sachver­halt zugrunde: A., B. und C. sind die Kinder und Erben der 1999 bzw. 2002 ver­stor­be­nen Eheleute D. Nach­dem die Erben eine par­tielle Erbteilung durchge­führt hat­ten, befand sich im Rest­nach­lass unter anderem eine Parzelle im Ufer­bere­ich des Bodensees. Auf dieser Parzelle ste­hen vier Ferien­häuschen aus Holz mit Nebenge­bäu­den. Für die Nutzung der Häuschen beste­ht eine Konzes­sion bis am 30. April 2017. B. reichte Klage auf Fest­stel­lung und auf Teilung des Rest­nach­lass­es ein. Zudem beantragte er u.a. eine Zuteilung der Seeparzelle an sich unter Anrech­nung an seinen Erbanspruch, wobei C. ein durch Dien­st­barkeit gesichertes Benutzungsrecht am Bade­häuschen A einzuräu­men sei. C. anerkan­nte die Klage. A. ver­langte die Zuweisung der Seeparzelle an sich und even­tu­aliter die öffentliche Ver­steigerung der­sel­ben (A und B. a‑c.).

In einem ersten Teil­urteil wies das Bezirks­gericht die Seeparzelle dem B. zu einem Anrech­nungswert von CHF 153’000 zu und unter Ein­räu­mung des beantragten Nutzungsrechts zugun­sten von C. Das Oberg­ericht wies auf erhobene Beru­fung die Sache zur Neubeurteilung an das Bezirks­gericht zurück. Das Bezirks­gericht wies die Parzelle dem B. zu einem Anrech­nungswert von CHF 1’300’000 zu, unter Berück­sich­ti­gung des Nutzungsrechts von C. Die Sache wurde auf erhobene Beru­fung erneut an das Bezirks­gericht zurück­gewiesen. In einem drit­ten Entscheid wies das Bezirks­gericht die Seeparzelle B. zu einem  Anrech­nungswert von CHF 1’094’000 zu, unter Anrech­nung auf seinen Erbanspruch und unter Ein­räu­mung des lebenslan­gen, unent­geltlichen Nutzungsrechts von C. am Bade­häuschen. Auf erhobene Beru­fung wies schliesslich das Oberg­ericht die Parzelle B. zu, unter Ein­räu­mung eines lebenslänglichen Nutzungsrechts zu Gun­sten von C. am Bade­häuschen. Der Anrech­nungswert wurde neu auf CHF 1’334’000 fest­ge­set­zt. Für den Fall, dass die Konzes­sion im Jahr 2017 nicht ver­längert würde, sah das Urteil eine erneute Schätzung des Verkehr­swerts und allfäl­lige Aus­gle­ich­szahlun­gen vor. A und B. gelangten mit Beschw­erde in Zivil­sachen an das Bun­des­gericht (C bis H.).

Der ange­focht­ene Entscheid befasste sich haupt­säch­lich mit dem mass­ge­blichen Anrech­nungswert. Daneben musste gemäss oberg­erichtlichem Entscheid über allfäl­lige Aus­gle­ich­szahlun­gen und über in ein­er Vere­in­barung vor­be­hal­tene, bis­lang nicht bez­if­fer­ten Kosten befun­den wer­den (E. 2.3.). Vor diesem Hin­ter­grund stellte sich vor Bun­des­gericht die Frage, ob ein Teil- Vor- bzw. Zwis­ch­enentscheid vor­liegt und ob der Entscheid über­haupt mit der Beschw­erde ange­focht­en wer­den kann.

Das Bun­des­gericht hielt vor­ab in grund­sät­zlich­er Hin­sicht fest, dass das BGG zwis­chen Endentschei­den (Art. 90 BGG), Teilentschei­den (Art. 91 BGG) sowie Vor- bzw. Zwis­ch­enentschei­den (Art. 92 und Art. 93 BGG) unter­schei­det. Während Endentschei­de, Teilentschei­de und Zwis­ch­enentschei­de über die Zuständigkeit oder den Aus­stand (Art. 92 BGG) jew­eils unter Vor­be­halt der all­ge­meinen Zuläs­sigkeit­skri­te­rien ange­focht­en wer­den kön­nen und müssen, ist die Beschw­erde gegen sog. “andere” Zwis­ch­enentschei­de nur unter beson­deren Voraus­set­zun­gen möglich (Art. 93 Abs. 1 BGG). Das Bun­des­gericht führte präzisierend zu den einzel­nen Entschei­d­kat­e­gorien fol­gen­des aus:

“Ein Entscheid ist ein Endentscheid im Sinne von Art. 90 BGG, wenn mit dem vorin­stan­zlichen Entscheid das Ver­fahren in der Haupt­sache been­det wird, und zwar unab­hängig davon, ob aus ver­fahren­srechtlichen Grün­den oder ob materielles Recht zu diesem Ergeb­nis führt […]. Es kommt allein darauf an, ob das erstin­stan­zliche Ver­fahren been­det ist oder nicht.” (E. 2.2.)

 “Schliesst ein Entscheid das Ver­fahren nicht voll­ständig ab, son­dern befind­et er endgültig entwed­er nur über eines oder einige von mehreren Rechts­begehren (objek­tive Kla­gen­häu­fung; Art. 91 lit. a BGG) oder schliesst er das Ver­fahren nur für einen Teil der Stre­itgenossen ab (sub­jek­tive Kla­gen­häu­fung; Art. 91 lit. b BGG), liegt ein Teilentscheid im Sinne von Art. 91 BGG vor.” (E. 2.2.)

“Erfüllt ein Entscheid wed­er die Kri­te­rien des Endentschei­ds noch diejeni­gen des Teilentschei­ds, liegt ein Vor- bzw. Zwis­ch­enentscheid vor, gegen welchen die Beschw­erde nur zuläs­sig ist, sofern die in den Art. 92 bzw. 93 BGG genan­nten Voraus­set­zun­gen erfüllt sind.” (E. 2.2)

Mit Bezug auf den vor­liegen­den Sachver­halt hielt das Bun­des­gericht fest, dass sich der ange­focht­ene Entscheid haupt­säch­lich mit dem mass­ge­blichen Anrech­nungswert befasst. Daneben müsse noch über allfäl­lige Aus­gle­ich­szahlun­gen und über in ein­er Vere­in­barung vor­be­hal­tene, bis­lang nicht bez­if­ferte Kosten befun­den wer­den. Das oberg­erichtliche Urteil schliesse das Ver­fahren nicht ab, wom­it kein kan­tonaler Endentscheid im Sinne von Art. 90 BGG vor­liege (E. 2.3.). Das Bun­des­gericht verneinte auch das Vor­liegen eines Teilentschei­des i.S.v. Art. 91 lit. a BGG, mit der fol­gen­den Begründung:

“Der Entscheid, der nur einen Teil der gestell­ten Begehren behan­delt, ist indes nur dann ein vor Bun­des­gericht anfecht­bar­er Teilentscheid, wenn diese Begehren unab­hängig von den anderen beurteilt wer­den kön­nen. Unab­hängigkeit ist zum einen so zu ver­ste­hen, dass die gehäuften Begehren auch Gegen­stand eines eige­nen Prozess­es hät­ten bilden kön­nen. Zum anderen erfordert die Unab­hängigkeit, dass der ange­focht­ene Entscheid einen Teil des gesamten Prozess­ge­gen­standes abschliessend beurteilt. Beste­ht die Gefahr, dass das Schlus­surteil über den verbliebe­nen Prozess­ge­gen­stand im Wider­spruch zum bere­its recht­skräftig aus­ge­fäll­ten Teil­urteil ste­ht, liegt kein anfecht­bar­er Teilentscheid vor […]. So ist beispiel­sweise das Urteil über die Ungültigkeit­sklage im Rah­men des Ungültigkeits- und Her­ab­set­zung­sprozess­es — wie bis anhin (vgl. BGE 124 III 406 E. 1a S. 409) — als Teilentscheid anfecht­bar […]. Eben­so ist das Bun­des­gericht von einem Teilentscheid aus­ge­gan­gen, als die Vorin­stanz des Bun­des­gerichts sich auss­chliesslich mit der Frage befasst hat­te, ob eine Erbin gestützt auf Art. 21 BGBB Anspruch auf Zuweisung (und auf Anrech­nung an ihren Erbteil) von drei land­wirtschaftlichen Grund­stück­en zum dop­pel­ten Ertragswert habe […].” (E. 2.4)

Die (ein­fache) Zuweisung ein­er Erb­schaftssache im Sinne von Art. 612 Abs. 1 ZGB an einen von mehreren Erben könne nicht zum Gegen­stand eines eige­nen Prozess­es gemacht wer­den, es sei denn, die Erben hät­ten sich über sämtliche anderen Aspek­te der Erbteilung geeinigt oder sie ver­möcht­en sich nach dem Urteil über die Zuweisung mit hoher Wahrschein­lichkeit zu eini­gen (E. 2.4). Das Bun­des­gericht verneinte vor­liegend die hohe Wahrschein­lichkeit ein­er Eini­gung und kam zum Schluss, dass die Voraus­set­zun­gen für eine Qual­i­fizierung des ange­focht­e­nen Entschei­ds als Teilentscheid im Sinne von Art. 91 BGG nicht erfüllt sind (E. 2.4.).

Das ange­focht­ene Urteil wurde als Zwis­ch­enentscheid behan­delt, welch­er jedoch man­gels Vor­liegen der Voraus­set­zun­gen von Art. 93 Abs. 1 lit a bzw. lit. b BGG nicht ange­focht­en wer­den kon­nte. Auf die Beschw­erde wurde daher nicht eingetreten.