4A_170/2015, 4A_168/2015: Anspruch eines Bankkunden auf Barauszahlung bejaht, auch ohne vorherige Unterzeichnung einer Steuerkonformitätsbescheinigung

Das Bun­des­gericht hat­te in den Entschei­den 4A_168/2015 und 4A_170/2015 die Gele­gen­heit, sich zur Frage der Barauszahlung von Kon­toguthaben aus­ländis­ch­er Bankkun­den zu äussern.

Bei­den Fällen lag fol­gen­der Sachver­halt zugrunde: Kläger waren je ital­ienis­che Staats­bürg­er, die eine mehrjährige Ver­trags­beziehung zur beklagten Schweiz­er Bank hat­ten. Im Okto­ber 2013 forderte die Bank die Kun­den auf, eine Steuerkon­for­mitäts­bescheini­gung abzugeben. Im Feb­ru­ar 2014 teilte die Bank sodann mit, die Kon­to­beziehun­gen zu schliessen, ange­blich auf­grund Neuaus­rich­tung ihrer Geschäft­stätigkeit. Die Barauszahlung der Kon­toguthaben wurde den Kun­den ver­weigert. Diese reicht­en je ein Gesuch um Rechtss­chutz in klaren Fällen (Art. 257 ZPO) ein, wobei sie die Barauszahlung der jew­eili­gen Kon­tosal­di (rund EUR 557’700 im einen Fall, rund EUR 75’500 im anderen Fall) beantragten. 

Erstin­stan­zlich wies der Pre­tore del dis­trit­to di Lugano das Gesuch im einen Fall (EUR 557’700) mit der Begrün­dung ab, auf­grund der konkreten Ver­hält­nisse könne die Weigerung der Bank, die geforderte Barauszahlung auszuführen, als ein Mit­tel zur Wahrung ihrer ein­wand­freien Geschäfts­führung ange­se­hen wer­den. Im anderen Fall (EUR 75’500) wies der Pre­tore das Gesuch gut, mit der Begrün­dung, es han­dle sich um einen ger­ingfügi­gen Betrag. 

Das Beru­fungs­gericht (Tri­bunale d’appello del Can­tone Tici­no) hiess die Gesuche in bei­den Fällen gut, wobei auf die prozes­sualen Einzel­heit­en hier nicht weit­er einge­gan­gen wird. 

Die Bank gelangte in bei­den Fällen ans Bun­des­gericht, welch­es die Beschw­er­den in Zivil­sachen abwies. Als Grund­satz hielt das Bun­des­gericht fest, dass einem Bankkun­den ein Auszahlungsanspruch zukommt (freie Über­set­zung aus dem Italienischen):

“3. […] Zu Recht bestre­it­et die [Bank] nicht, dass ein Kunde ein­er Bank mit Sitz in der Schweiz gestützt auf die anwend­baren zivil­rechtlichen Bes­tim­mungen grund­sät­zlich das Recht hat, am Ende der Ver­trags­beziehung die Auszahlung sein­er Guthaben in bar zu erhal­ten, ohne zuvor eine soge­nan­nte ‘Steuerkon­for­mitäts­bescheini­gung’ unterze­ich­net zu haben.”

Das Bun­des­gericht ver­wies sodann auf diverse Ein­wände, welche gemäss Bank ein­er (Bar-)Auszahlung ent­ge­gen­stün­den: Vor­gaben der FINMA (vgl. E. 4); das Risiko straf- oder steuer­rechtlich­er Sank­tio­nen unter ital­ienis­chem Recht bzw. eine Unmöglichkeit i.S.v. 119 OR (vgl. E. 5); schweiz­erische Geld­wäschereivorschriften (vgl. E. 6); Berück­sich­ti­gung zwin­gen­der Nor­men aus­ländis­chen Rechts i.S.v. Art. 19 IPRG (vgl. E. 7). Das Bun­des­gericht wies diese Ein­wände, wie bere­its die Vorin­stanz, auf­grund ungenü­gen­der Begrün­dung ab, ohne sich damit materiell auseinanderzusetzen.

Gle­ichzeit­ig wies das Bun­des­gericht jedoch in einem obiter dic­tum darauf hin, andere Kon­stel­la­tio­nen kön­nten denkbar­erweise eine andere Entschei­dung erheis­chen (freie Über­set­zung aus dem Italienischen):

 “8. […] ins­beson­dere angesichts der Art und Weise, in welch­er die Ein­wände der [Bank] im vor­liegen­den Fall vorge­bracht wur­den, erweisen sich diese als ungeeignet, den Anspruch des [Kun­den] zu vere­it­eln, am Ende der Bankbeziehung seine Guthaben in bar aus­bezahlt zu erhal­ten. Es ist indes hinzuzufü­gen, dass dies nicht bedeutet, dass nicht Fälle denkbar sind, in denen eine Bank Ein­wände erhebt, welche die Möglichkeit auss­chliessen, Ansprüche von Kun­den im Ver­fahren von Art. 257 ZPO zu beurteilen. […]”