1C_256/2014 (et. al.): Grundeigentümer haben auch dann Anspruch auf volle Entschädigung, wenn ein Flugzeug nur am Rande in die Luftsäule eines Grundstücks eindringt / hedonisches Modell zur Berechnung der Wertreduktion bestätigt (amtl. Publ.)

Im zur amtlichen Pub­lika­tion vorge­se­henen Urteil vom 17. März 2016 hat­te das BGer Beschw­er­den gegen sieben Urteile des Bun­desver­wal­tungs­gerichts (BVGer) im Zusam­men­hang mit Entschädi­gun­gen für Direk­tüber­flüge aus­ge­hend vom Betrieb des Flughafens Zürich-Kloten (sog. Ostan­flug) zu beurteilen. Dem Urteil des BGer liegen Entschei­de der Eid­genös­sis­chen Schätzungskom­mis­sion Kreis 10 (ESchK) zugrunde, welche den Grun­deigen­tümern (die “Enteigneten”) im Jahr 2011 mit ein­er Aus­nahme Entschädi­gun­gen in unter­schiedlich­er Höhe zus­prach, welche von der Flughafen Zürich AG und dem Kan­ton Zürich (die “Enteign­er”) hät­ten bezahlt wer­den müssen.

Es wird wed­er von den Enteigneten noch von den Enteign­ern bean­standet, dass die Voraus­set­zun­gen des direk­ten Über­flugs in allen zu beurteilen­den Fällen vor­liegen. Stre­it­ig ist aber zunächst, ob die Entschädi­gung auf den direkt über­flo­ge­nen Parzel­len­teil zu beschränken (Ansicht ESchK) oder der Min­der­w­ert des gesamten Grund­stücks zu entschädi­gen ist, auch wenn dieses nur teil­weise inner­halb des Über­flugko­r­ri­dors liegt (Ansicht BVGer). Das BGer stützt dem Grund­satz nach die Ansicht des BVGer und führt aus, dass ein direk­ter Über­flug schon dann vorliege,

[…] wenn ein Flugzeug nur am Rande — etwa mit dem Flügel — in die Luft­säule eines Grund­stücks ein­dringt […]. Auch in diesem Fall hat der Eigen­tümer grund­sät­zlich Anspruch auf eine volle Entschädi­gung nach Art. 16 des Bun­des­ge­set­zes über die Enteig­nung vom 20. Juni 1930 [EntG; SR 711], d.h. es ist grund­sät­zlich des Min­der­w­ert des gesamten Grund­stücks (Art. 19 lit. b EntG) für alle mit dem Über­flug ver­bun­de­nen Nachteile zu ermit­teln […]. Beson­der­heit­en des Über­flugs (wie der Über­flug nur eines Rand­bere­ichs oder eine ungewöhn­liche Parzel­len­grösse) kön­nen jedoch bei der Entschädi­gungs­be­mes­sung berück­sichtigt wer­den […]. Dies ist unter dem Aspekt der Rechts­gle­ich­heit nicht zu bean­standen, jeden­falls sofern es sich um von Grösse und Über­bau­ung her durch­schnit­tliche Grund­stücke han­delt […] (E. 3.5.).

Stre­it­ig ist sodann, ob das von der ESchK ver­wen­dete hedo­nis­che Mod­ell zur Berech­nung der Wertre­duk­tion der Belas­tung Klotens mit abendlichen und nächtlichen Ostan­flü­gen genü­gend Rech­nung trägt. Das BVGer verneinte die Anwend­barkeit des hedo­nis­chen Mod­ells und wies die ESchK an, den lärmbe­d­ingten Min­der­w­ert anhand eines ein­fachen Rasters zu bes­tim­men, welch­es sich an die Bew­er­tungsmeth­ode MIFLU I anzulehnen habe. Das BGer ist ander­er Ansicht:

Dem Bun­desver­wal­tungs­gericht ist einzuräu­men, dass die ger­ingfügi­gen Auswirkun­gen der abendlichen und nächtlichen Ostan­flüge auf die Min­der­w­erte gemäss hedo­nis­chem Mod­ell ESchK Zweifel an dessen Anwend­barkeit auf die spezielle Sit­u­a­tion im Osten des Flughafens weck­en. Dage­gen erscheint es prob­lema­tisch, das Mod­ell MIFLU I, das für selb­st­be­wohnte Ein­fam­i­lien­häuser entwick­elt wurde, ohne weit­ere Abklärun­gen auf Ertragsliegen­schaften anzuwen­den […]. Das Bun­des­gericht hielt in BGE 134 II 164 E. 14.1 S. 163 fest, dass MIFLU I zur Ermit­tlung des lärmbe­d­ingten Wertver­lustes ver­mi­eteter Mehrfam­i­lien­häuser nicht ein­set­zbar sei, und forderte deshalb eine Meth­ode zur schema­tis­chen Beurteilung des fluglärmbe­d­ingten Schadens ver­mi­eteter Mehrfam­i­lien­häuser. Hier­für wurde das hedo­nis­che Mod­ell ESchK entwick­elt, das auf umfan­gre­ichen Transak­tions­dat­en beruht, von Fach­leuten erar­beit­et wurde und sich gemäss sta­tis­tis­chen Gütekri­te­rien als genü­gend plau­si­bel und zuver­läs­sig erwiesen hat […] (E. 4.5.)

Ins­ge­samt sprächen Gründe der Rechtssicher­heit und der Rechts­gle­ich­heit wie auch das Beschle­u­ni­gungs­ge­bot für die Beibehal­tung des hedo­nis­chen Mod­ells der ESchK.

Schliesslich äussert sich das BGer zum Umstand, dass die ESchK aus Bil­ligkeits­grün­den einen Entschädi­gungsabzug von pauschal 10 % vorn­immt, wenn die Liegen­schaft infolge des bere­its zum Erwerb­szeit­punkt beste­hen­den Fluglärms zu einem niedrigeren Preis erwor­ben wor­den war. Das BVGer bejahte diese Abzüge, hielt jedoch eine Schema­tisierung für notwendig. Gemäss BGer wur­den die stre­it­ge­gen­ständlichen Grund­stücke über­wiegend in den 80er und 90er Jahren erwor­ben, mithin zu einem Zeit­punkt, als die Grund­be­las­tung mit Fluglärm bere­its hoch gewe­sen sei. Wenn die Eigen­tümer die Grund­stücke deshalb beson­ders gün­stig erwer­ben kon­nten, könne dieser Umstand in Form eines Bil­ligkeitsabzuges berück­sichtigt wer­den, wobei ein schema­tis­ch­er Lösungsansatz bun­desrecht­skon­form sei. 

Das BGer heisst die Beschw­er­den teil­weise gut und weist die Sache zur neuen Beurteilung an das BVGer zurück.