5A_267/2016: Verzicht auf einen Anspruch als Entäusserung von Vermögenswerten i.S.v. Art. 527 Ziff. 4 ZGB

Dem Entscheid lag fol­gen­der Sachver­halt zugrunde: Die Ehe­gat­ten C. und D. hat­ten zwei gemein­same Kinder, den Sohn A. und die Tochter B. Vater C. ver­starb im Jahr 1983. In ein­er let­ztwilli­gen Ver­fü­gung set­zte er seine Ehe­frau D. als Vorerbin und seinen Sohn A. als Nacher­ben von zwei Grund­stück­en ein. Die Kinder set­zte er auf den Pflicht­teil und die ver­füg­bare Quote wen­dete er sein­er Ehe­frau zu. Die kan­tonale Beru­fungsin­stanz entsch­ied, dass der güter­rechtliche Anspruch der Ehe­frau CHF 240’627.65, der teil­bare Nach­lass CHF 475’601.20, der Erbanspruch der Ehe­frau CHF 118’900.30 und der Pflicht­teil­sanspruch der bei­den Kinder je CHF 133’726.85 beträgt. Der Pflicht­teil der Tochter B. wurde aus­bezahlt und die Grund­stücke der Ehe­frau D. zu Eigen­tum zugewiesen unter Vormerk­nahme der Aus­liefer­ungspflicht zugun­sten des Sohnes.

Die Mut­ter D. übertrug später das Eigen­tum an den Grund­stück­en im Sinne eines vorzeit­i­gen Vol­lzugs der Aus­liefer­ungspflicht an ihren Sohn, der ihr im Gegen­zug ein Wohn­recht am gemein­sam benützten Wohn­haus ein­räumte. Im Jahr 2006 starb D. Sie set­zte in ein­er let­ztwilli­gen Ver­fü­gung ihren Sohn als Alleiner­ben ein und enterbte die Tochter. Für den Fall der Tes­ta­mentsan­fech­tung set­zte sie ihre Tochter auf den Pflichtteil.

Die Tochter B. ver­langte klageweise die Ungültigerk­lärung der Enter­bung, die Her­ab­set­zung der lebzeit­i­gen Zuwen­dun­gen der Erblasserin und die Hinzurech­nung zum Nach­lass, die Durch­führung der Erbteilung und die Aushändi­gung ihres Pflicht­teils. Das Bezirks­gericht set­zte den Pflicht­teil der Tochter B. auf CHF 24’183.95 fest. Auf erhobene Beru­fung kam die Beru­fungsin­stanz zum Schluss, dass der Verzicht der Erblasserin auf ihre Ansprüche aus Güter- und Erbrecht nach dem Tod ihres Ehe­mannes den Her­ab­set­zungstatbe­stand gemäss Art. 527 Ziff. 4 ZGB erfüllt. Die Sache wurde ans Bezirks­gericht zur Neubeurteilung zurückgewiesen.

Das Bezirks­gericht stellte in der Neubeurteilung fest, dass der güter­rechtliche Anspruch der Erblasserin CHF 240’627.65 abzüglich der erhal­te­nen CHF 97’082.95 (Aktien, Sparhefte und Mobil­iar) betrug und dass ihr aus Erbrecht CHF 118’900 zus­tanden, ins­ge­samt somit CHF 262’445.00. Für diesen Betrag habe die Erblasserin die mit der Nacherb­schaft belasteten Liegen­schaften erhal­ten. Sie habe darauf verzichtet sich gegen die Nacher­benein­set­zung zu wehren und damit dem Sohn A. im Wert von CHF 262’445.00 Eigen­tum über­lassen. Als Gegen­leis­tung von A. sei dessen Pflicht­teil abzuziehen, soweit dieser nicht aus­bezahlt wor­den sei. Den Rest­be­trag von CHF 152’982.15 habe die Erblasserin dem A. unent­geltlich zugewen­det. Das Bezirks­gericht berück­sichtigte zudem die Wert­steigerung der Liegen­schaften und kam zu ein­er hinzurechen­baren Zuwen­dung von CHF 198’689.35. Der Nach­lass wurde auf CHF 263’179.90 und der Pflicht­teil der B. CHF 98’692.45 festgesetzt.

Nach abgewiesen­er Beru­fung gelangte A. mit Beschw­erde ans Bun­des­gericht. Er ver­langte, dass der teil­bare Nach­lass der Erblasserin und der Pflicht­teil von B. erhe­blich tiefer festzule­gen seien, wobei der im Rah­men der Hinzurech­nung von Art. 527 Ziff. 4 ZGB errech­nete Betrag von CHF 152’982.15 und der Mehrw­ert der Grund­stücke von CHF 38’707.20 nicht zur Erb­masse zu rech­nen seien. Even­tu­aliter sei die Hinzurech­nung um einen Betrag aus Nutznies­sung sowie um den Mehrw­ert der Liegen­schaften zu kürzen.

Das Bun­des­gericht prüfte vor­ab, ob der Tatbe­stand von Art. 527 Ziff. 4 ZGB erfüllt ist (E. 2). Es hielt fest, dass die “Entäusserung von Ver­mö­genswerten” nach all­ge­mein anerkan­nter Begriff­sum­schrei­bung jede gewollte, ohne Gegen­leis­tung erfol­gende Zuwen­dung aus dem Ver­mö­gen des Erblassers erfasst. Auch der Verzicht des Erblassers auf einen ihm zuste­hen­den und durch­set­zbaren Anspruch könne eine Entäusserung von Ver­mö­genswerten bilden (E. 2.1).

Das Bun­degericht hielt zur Umge­hungsab­sicht fest, dass beim Erblass­er das Bewusst­sein vor­liegen müsse, dass seine Zuwen­dung nach dem gewöhn­lichen Lauf der Dinge die ver­füg­bare Quote über­schre­it­et; dabei genüge es, dass der Erblass­er eine Pflicht­teilsver­let­zung in Kauf nehme. Mass­gebend für die Beurteilung dieser Umge­hungsab­sicht sei der Zeit­punkt der Ver­fü­gung unter Berück­sich­ti­gung des dama­li­gen Ver­mö­gens­standes und des Wertes der Zuwen­dung; zumin­d­est eine Even­tu­al­ab­sicht könne sich insoweit aus jenen Ver­mö­gensver­hält­nis­sen ergeben, wenn der Erblass­er in einem Zeit­punkt ver­füge, in dem er bere­its pflicht­teils­berechtigte Nachkom­men habe und deren Benachteili­gung für möglich hal­ten müsse (E. 2.2.1). Gemäss Bun­des­gericht muss die Umge­hungsab­sicht zudem “offen­bar” sein, d.h. sie muss ins Auges sprin­gen und sich dem Gericht der­art auf­drän­gen, dass es von ihrem Vor­liegen nach­haltig überzeugt ist (E. 2.2.2).

Der Verzicht der Erblasserin im Erb­gang ihres Ehe­mannes die Ver­let­zung ihres Pflicht­teils her­ab­set­zungsweise gel­tend zu machen, kann gemäss Bun­des­gericht als Entäusserung von Ver­mö­genswerten erfasst wer­den (E. 3.1). Auch im Verzicht der Erblasserin, ihre güter­rechtliche Forderung auszahlen zu lassen, sah das Bun­des­gericht eine Entäusserung von Ver­mö­genswerten (E. 3.2.2). Ins­ge­samt beste­he die Entäusserung von Ver­mö­genswerten gemäss Art. 527 Ziff. 4 ZGB darin, dass die Erblasserin zugun­sten des Beschw­erde­führers bzw. dessen Nacherb­schaft auf Ansprüche von CHF 118’900.30 aus Erbrecht und von CHF 143’544.70 aus Güter­recht verzichtet habe (E. 3.3).

Das Bun­des­gericht beurteilte die von der Vorin­stanz fest­gestellte Annahme ein­er ablehnen­den Hal­tung der Erblasserin gegenüber der Tochter und damit das Vor­liegen ein­er Umge­hungsab­sicht als willkür­frei (E. 4.3.2 und 4.5). Entsprechend wurde der Haup­tantrag des Beschw­erde­führers abgewiesen (E. 5).

Anders als die Vorin­stanz berück­sichtigte das Bun­des­gericht bei der Hinzurech­nung den Kap­i­tal­w­ert des Nutzens, den die Erblasserin als Vorerbin aus den Liegen­schaften gezo­gen hat (E. 5 und 6). Das Bun­des­gericht ging dabei vom jährlich erwirtschafteten Ertrag auf den bei­den Liegen­schaften aus. Der Ertrag sei zu kap­i­tal­isieren. Die Nutzung sei als lebenslänglich­es Wohn­recht zu kap­i­tal­isieren und der Erblasserin anzurech­nen (E. 6.3.2). Der anrechen­bare Wert des Nutzens der Liegen­schaft bzw. des Wohn­haus­es sei im Ver­hält­nis des Gesamtwertes der Erb­schaft und des Wertes der Zuwen­dung der Erblasserin an den Beschw­erde­führer aufzuteilen und der auf die Zuwen­dung ent­fal­l­ende Betrag als Gegen­leis­tung zu erfassen (E. 6.3.3.).

Auch der Verzicht auf die Gel­tend­machung des Pflicht­teils durch den Sohn, der als Nacherbe einge­set­zt wurde, wurde vom Bun­des­gericht als Gegen­leis­tung für die Zuwen­dung der Erblasserin aus Güter- und Erbrecht ver­standen (E. 7, ins­beson­dere 7.1). Anders als die kan­tonalen Gerichte kam das Bun­des­gericht hinge­gen zum Schluss, dass die Gegen­leis­tung des Beschw­erde­führers nicht nom­i­nal von der Zuwen­dung der Erblasserin in Abzug zu brin­gen ist. Der Beschw­erde­führer habe seinen Pflicht­teil mit der vorge­zo­ge­nen Aus­liefer­ung vol­lum­fänglich erhal­ten. Die Gegen­leis­tung beste­ht nach Ansicht des Bun­des­gerichts in dem auf den Pflicht­teil ent­fal­l­en­den Nutzen an der Erb­schaft, den die Erblasserin bis zum Zeit­punkt der Aus­liefer­ung der Erb­schaft an den Beschw­erde­führer einge­heimst hat (E. 7.3).

Gemäss Bun­des­gericht ist somit die Zuwen­dung der Erblasserin an den Beschw­erde­führer um die Gegen­leis­tun­gen zu kürzen und an der Wert­steigerung der Erb­schaft bilden­den Grund­stücke nach der Quoten­meth­ode zu beteili­gen. Der so errech­nete Betrag ist zum Nach­lass der Erblasserin hinzuzurech­nen (E. 8). Die Beschw­erde wurde entsprechend teil­weise gutgeheissen.