5A_396/2015: Keine Zuteilung der Lose durch den Richter (amtl. Publ.)

Im vor­liegen­den Entscheid hat­te das Bun­des­gericht erst­mals zu klären, ob dem Teilungs­gericht die Kom­pe­tenz zukommt, den Parteien direkt und ohne Befol­gung der geset­zlichen Teilungsvorschriften, d.h. nach objek­tiv­en Kri­te­rien und richter­lichem Ermessen Lose zuzuweisen. Das Bun­des­gericht entsch­ied, dass wenn die Voraus­set­zun­gen für die Bil­dung von Losen erfüllt sind und sich die Erben auf die Zuweisung der Lose nicht eini­gen kön­nen, das Gericht die Lose nicht nach eigen­em Ermessen an die einzel­nen Erben zuweisen darf. Der Richter bleibt an die im Gesetz vorge­se­henen Vorkehren gebunden.

Dem Urteil des Bun­des­gerichts vom 22. Juni 2017 lag zusam­menge­fasst der fol­gende Sachver­halt zugrunde: Aus der Ehe zwis­chen D. und C. gin­gen die Kinder A., B. und E. her­vor. Nach dem Tod des Vaters D. und des Sohnes E. lebten A. (Beschw­erde­führer) und B. (Beschw­erdegeg­ner­in) und die Mut­ter C. bis zu einem Ver­trag betr­e­f­fend par­tielle Erbteilung in ein­er Erbenge­mein­schaft. Im Novem­ber 1999 leit­ete der Beschw­erde­führer ein Erbteilungsver­fahren ein. Mit Urteil vom 14. Dezem­ber 2010 legte das Bezirks­gericht Plessur die Erb­berech­ti­gung der Parteien fest. Auf die Begehren um Ver­sil­berung bzw. real­er Teilung und Zuweisung von Gegen­stän­den trat das Bezirks­gericht nicht ein, da die reale Teilung dem Kreis­präsi­den­ten und nicht dem Bezirks­gericht obliege. Das Urteil erwuchs in Rechtskraft.

Im Jahr 2011 ver­langte der Beschw­erde­führer beim Bezirks­gericht Plessur die Teilung der Nach­lässe D. und E. unter Mitwirkung der zuständi­gen Behörde. Es sei gemäss Art. 612 Abs. 3 ZGB eine interne, eventuell eine öffentliche Ver­steigerung anzuord­nen. C. und die Beschw­erdegeg­ner­in beantragten Nichtein­treten, even­tu­aliter Abweisung des Gesuchs. Subeven­tu­aliter ver­langten sie die Bil­dung von Losen und stell­ten Anträge zur Realteilung.

Das Bezirks­gericht Plessur ord­nete für die Teilung der Nach­lässe von D. und E. eine interne Steigerung gemäss Art. 612 Abs. 3 ZGB an. Die dage­gen ein­gelegte Beru­fung hiess das Kan­ton­s­gericht gut und ord­nete die Real­teilung der Nach­lässe des D. und des E. an. Der Beschw­erde­führer ver­langt vor Bun­des­gericht die Aufhe­bung des Entschei­ds des Kan­ton­s­gerichts und die Bestä­ti­gung des Urteils des Bezirks­gerichts Plessur.

Das Bun­des­gericht hielt vor­ab zu den Teilungs­grund­sätzen fest, dass die Erben die Teilung, wo es nicht anders ange­ord­net ist, frei vere­in­baren kön­nen (Art. 607 Abs. 2 ZGB). Man­gels Eini­gung seien die Teilungsvorschriften des Erblassers für die Erben verbindlich, soweit nicht die Aus­gle­ichung ein­er vom Erblass­er nicht beab­sichtigten Ungle­ich­heit der Teile notwendig wird (Art. 608 Abs. 1 und 2 ZGB). Wo sich die Erben nicht eini­gen kön­nten und auch der Erblass­er keine Teilungsvorschriften aufgestellt habe, fän­den die geset­zlichen Teilungsregeln Anwen­dung (E. 4.2.). Gemäss Bun­des­gericht ist der Grund­satz der Anspruchs­gle­ich­heit ober­ste Richtschnur für die Erbteilung (E. 4.3.). Es rief in Erin­nerung, dass ein weit­er­er Teilungs­grund­satz aus Art. 612 Abs. 1 ZGB folge, wonach eine Erb­schaftssache, die durch die Teilung an Wert wesentlich ver­lieren würde, einem der Erben ungeteilt zugewiesen wer­den soll (E. 4.4.).  Zum Ver­hält­nis zwis­chen Art. 611 und Art. 612 Abs. 2 ZGB führte das Bun­des­gericht aus (E. 4.6.):

Es ist nach Art. 611 ZGB vorzuge­hen, solange die Erb­schaftssache in einem Los Platz hat und damit einem Erben zugewiesen wer­den kann. Sog­ar wenn die Erbteile klein­er sind als der Wert der Sache, ist die Zuweisung mit Aus­gle­ich­szahlung gegenüber der Veräusserung vorzuziehen, sofern die Dif­ferenz nicht erhe­blich ist […]. Die Zuläs­sigkeit ein­er Aus­gle­ich­szahlung ist auf Grund der Umstände des konkreten Einzelfalls nach Recht und Bil­ligkeit (Art. 4 ZGB) zu prüfen, wobei das richtige Ver­hält­nis zwis­chen Aus­gle­ichssumme und Wert des Erbteils nicht schema­tisch fest­gelegt wer­den kann […]. Ein Verkauf — oder auf Ver­lan­gen eines Erben die Ver­steigerung — ist nur möglich, wenn der Weg nach Art. 611 ZGB ver­schlossen ist […]. Ander­er­seits darf […] der Grund­satz der Bevorzu­gung der Zuweisung in natu­ra nicht der­art ver­standen wer­den, dass daraus die Zuläs­sigkeit ein­er behördlichen Zuweisung von Erb­schaftssachen an einen bes­timmten Erben oder an mehrere unter sich einige Erben abzuleit­en ist, wenn sich auf diese Weise ein Verkauf ver­mei­den liesse, denn son­st ver­löre Art. 612 Abs. 2 ZGB prak­tisch fast jede Bedeu­tung, was dem Sinn des Geset­zes wider­spricht, das bei Unmöglichkeit der kör­per­lichen Teilung und der Teilung auf dem Weg der Los­bil­dung und ‑ziehung die Ver­steigerung vor­sieht.

Die Vorin­stanz ging über die dargelegten geset­zlichen Teilungsregeln hin­aus, indem sie die Erb­schafts­ge­gen­stände auf die drei Parteien aufteilte und damit den Erbquoten entsprechende Lose bildete, die Verteilung der­sel­ben aber wed­er ein­er Parteivere­in­barung noch dem Losziehungsver­fahren gemäss Art. 611 Abs. 3 ZGB über­liess, son­dern nach eigen­em Ermessen und teil­weise expliz­it gegen die Anträge der Erben eine Zuteilung vor­nahm. Das Bun­des­gericht hat­te daher zu prüfen, ob der Vorin­stanz die Kom­pe­tenz zukam, den Parteien direkt und ohne Befol­gung der geset­zlichen Teilungsvorschriften, d.h. nach objek­tiv­en Kri­te­rien und richter­lichem Ermessen die Lose zuzuweisen (E. 5).

Das Bun­des­gericht verneint dies mit fol­gen­den Argu­menten (E. 5.9.): Das Teilungs­gericht ist dazu berufen, auf Antrag eines Erben hin Lose zu bilden (Art. 611 Abs. 2 ZGB).

Eini­gen sich die Erben nicht über die Zuteilung der so gebilde­ten Lose — oder auf ein anderes Vorgehen‑, so hat eine Losziehung gemäss Art. 611 Abs. 3 ZGB stattzufind­en, wenn die Erben die Durch­führung der Teilung und nicht lediglich die Behand­lung einzel­ner Teilaspek­te der Erbteilung ver­langt haben. Anders als die Teilungs­be­hörde kann der Richter das Ergeb­nis der Losziehung in sein Urteil aufnehmen und so die Erbteile verbindlich den Erben zuweisen, wom­it die Forderung nach einem voll­streck­baren Urteil erfüllt ist. Damit beste­ht auch keine Geset­zes­lücke, die Raum böte, dem Teilungs­gericht über das Gesetz hin­aus­ge­hende Kom­pe­ten­zen zuzugeste­hen. Zwar kann das Los­bil­dungsver­fahren bei ungle­ichen Erbquoten dazu führen, dass grössere, wertvolle Erb­schaftssachen und Sachge­samtheit­en nicht in die Lose passen und zu Las­ten des Prinzips der Nat­u­ral­teilung ver­sil­bert wer­den müssen. Dies ist insofern in Kauf zu nehmen, als das Prinzip der Erben­gle­ich­heit vorge­ht und das Gesetz diese Fälle in Art. 612 ZGB auch expliz­it regelt.” (E. 5.9.)

Gemäss Bun­des­gericht ist kein zwin­gen­des Argu­ment der Befür­worter ein­er freien richter­lichen Zuweisungskom­pe­tenz ersichtlich, weshalb der Erbteilungsrichter nicht an Art. 611 Abs. 3 ZGB gebun­den sein soll. Seien die Voraus­set­zun­gen für eine Anwen­dung von Art. 611 ZGB erfüllt, könne der Richter den Erben nicht nach eigen­em Gut­dünken Erb­schafts­ge­gen­stände zuweisen. Das Bun­des­gericht kam zum Schluss, dass die Vorin­stanz mit der direk­ten Zuweisung der Lose nach eigen­em richter­lichen Ermessen Bun­desrecht ver­let­zt hat (E.5.10.).