Im vorliegenden, zur amtlichen Publikation vorgesehenen Entscheid vom 20. September 2017 beschäftigte sich das BGer mit dem Begriff der notorischen Tatsachen. Der Beschwerdeführer wurde wegen Rassendiskriminierung gemäss Art. 261bis Abs. 1 StGB verurteilt, nachdem dieser auf seiner Facebookseite folgende Mitteilungen aufgeschaltet hatte: “J’organise une kristallnacht. Qui est partant pour aller bruler du muzz?” sowie darauffolgend “J’ai mon P226 qui doit bientôt arriver + le calibre 12.” Das kantonale Berufungsgericht wies die gegen dieses Urteil erhobene Berufung des Beschwerdeführers ab und hielt fest, dass sich der Aufruf des Beschwerdeführers auf seiner Facebookseite auf die muslimische Religionsgruppe bezog und entsprechend einen Aufruf zu Hass oder Diskriminierung einer religiösen Gruppe im Sinne von Art. 261bis Abs. 1 StGB darstelle.
Vor dem BGer stellte sich der Beschwerdeführer auf den Standpunkt, dass er sich mit dem Begriff “muzz” nicht auf Muslime in ihrer Gesamtheit bezogen habe, sondern lediglich auf die fanatischen Urheber von gewaltsamen Terrorakten. Das kantonale Berufungsgericht habe bei seiner Definition des Begriffes “muzz” aber alleine auf eine Definition aus dem Internet abgestellt und habe, ohne seine Stellungnahme zu diesem Begriff einzuholen, eine Rassendiskriminierung im Sinne von Art. 261bis Abs.1 StGB angenommen.
Das BGer prüfte, ob es sich beim Begriff “muzz” um eine allgemeine notorische Tatsache handelt, über welche kein Beweis geführt und dem Beschwerdeführer demnach kein Anspruch zur Stellungnahme gewährt werden muss (s. Art. 107 sowie Art. 139 Abs. 2 StPO). Das BGer erinnerte daran, dass eine Tatsache dann als notorisch gelte, wenn deren Bedeutung mittels eines Publikationsorgans überprüft werden könne, welches für jedermann zugänglich sei (mit Verweis auf BGE 135 III 88, E. 4.1 sowie BGE 134 III 224, E. 5.2). Nicht jede im Internet abrufbare Information könne indessen als notorisch angesehen werden (mit Verweis auf BGE 138 I 1, E. 2.4). Das BGer hielt in Bezug auf die im Internet abrufbaren Informationen entsprechend fest, dass nur solche Informationen als notorisch gelten können, welche von einer offiziellen Seite zur Verfügung gestellt werden (z.B. Bundesamt für Statistik, Handelsregisteramt, SBB Fahrplan).
Im vorliegenden Fall hatte das kantonale Berufungsgericht für die Definition des Begriffs “muzz” auf den Internet-Diktionär Wiktionnaire (https://fr.wiktionary.org/) abgestellt. Das BGer führte jedoch aus, dass Wiktionnaire nicht als ein anerkannter Diktionär qualifiziere und dessen Beiträge von beliebigen Nutzern aus dem Internet stammen, welche auch bereits bestehende Beiträge jederzeit abändern und anpassen können. Die Definition des Begriffs “muzz” gemäss Wiktionnaire, welche vom kantonalen Berufungsgericht zur Begründung seines Urteils verwendet wurde, könne somit nicht als notorisch gelten. Entsprechend hätte das Gericht den Beschwerdeführer zur Bedeutung des Begriffs “muzz” anhören müssen. Indem das kantonale Berufungsgericht aber keine Stellungnahme eingeholt habe, sei der Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör verletzt worden.
Das BGer erinnerte daran, dass für die strafrechtliche Beurteilung einer Äusserung in Bezug auf Art. 261bis StGB grundsätzlich der Sinn massgebend sei, welcher ihr der unbefangene durchschnittliche Dritte unter den gesamten konkreten Umständen beilege (mit Verweis auf BGE 140 IV 67, E.2.1.2). Das kantonale Berufungsgericht habe aber alleine aufgrund der auf Wiktionnaire abrufbaren Definition geschlossen, dass sich der Begriff “muzz” auf Muslime in ihrer Gesamtheit bezog. Das Berufungsgericht habe dabei ignoriert, dass der Begriff, wie vom Beschwerdeführer angeführt, sich allenfalls auf islamistische Terroristen beziehe, welche nicht durch Art. 261bis Abs. 1 StGB geschützt seien. Der alleinige Bezug auf die Kristallnacht, ohne dass die Bedeutung des Begriffs “muzz” geklärt sei, genüge jedoch nicht um anzunehmen, dass sich der Facebookeintrag des Beschwerdeführers auf eine gemäss Art. 261bis Abs. 1 StGB geschützte Gruppierung bezog.
In der Folge hob das BGer den Entscheid auf und wies ihn zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurück.