Im vorliegenden Urteil hatte sich das Bundesgericht mit der Frage zu befassen, ob die Quotenvermächtnisnehmerin den Willensvollstrecker mit einer Verantwortlichkeitsklage auf Ersatz des Schadens belangen kann, den sie dadurch erlitten haben will, dass der Willensvollstrecker durch die vorwerfbar pflichtwidrige Berechnung seines Honorars das Reinvermögen des Nachlasses vermindert und so das Quotenvermächtnis der Vermächtnisnehmerin geschmälert hat.
Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde:
A. war eine von elf Vermächtnisnehmerinnen im Nachlass von C. Gemäss letztwilliger Verfügung von C. sollte der Vermächtnisnehmerin A. ein Zwanzigstel des Nettonachlasses zukommen. Der Erblasser hatte als einzigen Erben den D. eingesetzt. Als Willensvollstrecker amtete Advokat und Notar B. B. unterbreitete in der Folge dem einzigen Erben und sämtlichen Vermächtnisnehmern seine Nachlassabrechnung. Demnach betrug der Nettonachlass CHF 54 Mio. und das Vermächtnis der A. rund CHF 2,7 Mio. Für die Honorare des Willensvollstreckers und der Bank wurde der Betrag von CHF 600’000 angegeben. Der Alleinerbe D. genehmigte die Abrechnung. A. verlangte in der Folge klageweise, B. sei zu verurteilen, über seine Tätigkeit als Willensvollstrecker Rechenschaft abzulegen, insbesondere habe er seinen Zeitaufwand detailliert auszuweisen. Sie verlangte die gerichtliche Festlegung des Honorars nach Massgabe der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen. Weiter beantragte sie die Verurteilung von B. zur Bezahlung eines Betrags von CHF 35’800 unter Vorbehalt der Mehrforderung. Das Zivilgericht wies die Klage ab. Die dagegen erhobene Berufung wurde ebenfalls abgewiesen. A. erhob Beschwerde beim Bundesgericht. Das Bundesgericht wies die Beschwerde mit der folgenden Begründung ab:
- Das Bundesgericht hielt vorab fest, dass es sich nicht um den erbrechtlichen Anspruch auf Auslieferung des Vermächtnisses, sondern um eine gegen den Willensvollstrecker persönlich gerichtete Forderung handelt (E. 5.2.1.). Gemäss Bundesgericht richtet sich die Verantwortlichkeitsklage gegen den Willensvollstrecker nach Auftragsrecht und nach Art. 97 OR (E. 5.2.2.).
- Weiter verwies das Bundesgericht auf ein Urteil aus dem Jahr 1975, in welchem das Bundesgericht festgehalten habe, dass die Verantwortlichkeitsklage gegen den Willensvollstrecker “im Prinzip” (“en principe”) den Erben und den anderen vom Erblasser begünstigten Personen zustehe (BGE 101 II 47 E. 1). Für einen Teil der Lehre bedeute diese Passage, dass als vom Erben begünstigte Personen auch die Vermächtnisnehmer grundsätzlich zur Verantwortlichkeitsklage gegen den Willensvollstrecker berechtigt seien. Andere Autoren fänden, der erwähnte BGE 101 II 47 könne nicht als Grundsatzentscheid zur Untermauerung der Auffassung angeführt werden, dass jeder einzelne Vermächtnisnehmer eine Verantwortlichkeitsklage gegen den Willensvollstrecker erheben könne. Einen Schritt weiter gingen diejenigen Stimmen in der Lehre, die den Vermächtnisnehmern eine direkte Verantwortlichkeitsklage gegen den Willensvollstrecker versagen würden und der Meinung seien, die Vermächtnisnehmer müssten sich nach Massgabe von Art. 562 Abs. 3 ZGB zwingend an die Erben halten (E. 5.4.3.).
- Das Bundesgericht stellt klar, dass die Rechtsprechung aus dem Jahr 1975 mit Blick auf die zu beurteilende Verantwortlichkeitsklage einer Quotenvermächtnisnehmerin nicht als Präjudiz gelten kann, zumal in diesem Entscheid nicht zu beurteilen gewesen sei, ob einer Vermächtnisnehmerin gegen den Willensvollstrecker Verantwortlichkeitsansprüche zustehen (E. 5.2.4.).
- Gemäss Bundesgericht besteht kein Grund, den Willensvollstrecker gegenüber den Vermächtnisnehmern zur Rechenschaft und zur sorgfältigen Besorgung eines Auftrages zu verpflichten oder ihn für allfällige Verfehlungen oder Versäumnisse zur Verantwortung zu ziehen und zu diesem Zweck zwischen ihm und den Vermächtnisnehmern ein Schuldverhältnis zu konstruieren, wenn das (angeblich) fehlbare Verhalten des Willensvollstreckers mit der Ausrichtung des Vermächtnisses nicht unmittelbar zusammenhängt (E. 5.2.5.).
- Schädige der Willensvollstrecker das Nachlassvermögen, so schädige er die Erben, denen der Nachlass als Ganzes mit dem Tode des Erblassers kraft Gesetzes zufalle. Die Vermächtnisnehmer seien davon grundsätzlich nicht direkt betroffen. Nach der klaren gesetzlichen Ordnung von Art. 562 Abs. 1 ZGB beschwere das Vermächtnis weder das Nachlassvermögen noch den Willensvollstrecker, sondern als persönliche (obligatorische) Verbindlichkeit ausschliesslich den oder die Erben. Dementsprechend könne ein Vermächtnisnehmer die beschwerten Erben nach Massgabe von Art. 562 Abs. 3 ZGB auf Schadenersatz belangen, falls diese ihrer Verpflichtung nicht nachkommen (E. 5.2.6.).
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Das Bundesgericht kommt zum Schluss, dass wenn die Pflicht zur gehörigen Ausrichtung des Vermächtnisses nicht in Frage steht, es an einer Verhaltensnorm fehlt, die einen allfälligen Schaden des Vermächtnisnehmers aus der Sicht des Willensvolltreckers als widerrechtlich zugefügten Direktschaden erscheinen lässt und die es dem Vermächtnisnehmer ermöglichen würde, den Willensvollstrecker auf Ersatz dieses Schadens zu belangen. Dies gilt gemäss Bundesgericht auch im Streit um die angemessene Vergütung des Willensvollstreckers (Art. 517 Abs. 3 ZGB) (E. 5.2.6.).
- Gemäss Bundesgericht besteht kein Grund, den Willensvollstrecker direkt gegenüber dem Vermächtnisnehmer für die Folgen einer allfälligen Pflichtverletzung verantwortlich zu machen oder seinen Vergütungsanspruch in Frage zu stellen (E. 5.2.6.).
Das Bundesgericht verneinte somit das Vorliegen einer Haftungsgrundlage, gestützt auf welche die Quotenvermächtnisnehmerin den Willensvollstrecker unter dem Titel einer Verantwortlichkeitsklage für angeblich überhöhe Honorarforderungen ins Recht hätte fassen können.