1B_150/2018: “Chinese Walls”, Vertretungsverbot für Anwälte (amtl. Publ.)

Das Bun­des­gericht äusserte sich in diesem Ver­fahren im Zusam­men­hang mit der Pflicht von Anwäl­ten, Inter­essenkon­flik­te zu ver­mei­den, zu den soge­nan­nten “Chi­nese Walls” in Anwalt­skan­zleien. Es erwog, dass bei einem Kan­zlei­wech­sel eines Anwalts dessen neue Kan­zlei die Man­date nieder­legen muss, an denen der Anwalt in der früheren Kan­zlei mit­gewirkt hat­te. “Chi­nese Walls” bieten gemäss Bun­des­gericht keinen hin­re­ichen­den Schutz vor Inter­essenkon­flik­ten.

Dem Ver­fahren lag zusam­menge­fasst fol­gen­der Sachver­halt zugrunde: Die A GmbH reichte, vertreten durch die Anwälte B und C der Anwalt­skan­zlei E, eine Strafanzeige gegen einen ehe­ma­li­gen Mitar­beit­er ein. Der Mitar­beit­er liess sich durch die Anwalt­skan­zlei F vertreten. Im Zeit­punkt der Man­datierung der Anwalt­skan­zlei F (14. Jan­u­ar 2015) war Anwalt G, ein Fachan­walt SAV für Arbeit­srecht, bei dieser Kan­zlei angestellt. Anwalt G erhielt — was unbe­strit­ten war — im Zuge sein­er Tätigkeit in der Kan­zlei F Ken­nt­nis vom Dossier betr­e­f­fend den ehe­ma­li­gen Mitar­beit­er der A GmbH. Im Feb­ru­ar 2017 wech­selte Anwalt G von der Anwalt­skan­zlei F zur Anwalt­skan­zlei E (E. A).

Der ehe­ma­lige Mitar­beit­er beantragte, mit­tler­weile durch einen neuen Anwalt vertreten, das Min­istère pub­lic de l’ar­rondisse­ment de la Côte solle den Anwälte B und C die Vertre­tung der A GmbH ver­bi­eten, da inner­halb der Anwalt­skan­zlei E mit dem Beitritt von Anwalt G ein Inter­essenkon­flikt beste­he. Nach­dem das Min­istère pub­lic den Antrag ablehnte, ver­bot die Cham­bre des recours pénale des Tri­bunal can­ton­al vau­dois auf Rekurs hin den Anwäl­ten B und C sowie/oder sämtlichen anderen, bei der Anwalt­skan­zlei E täti­gen Anwäl­ten, die A GmbH im Rah­men des Strafver­fahrens zu berat­en und/oder zu vertreten. 

Das Bun­des­gericht wies die von der A GmbH sowie den Anwäl­ten B und C erhobene Beschw­erde ab.

Es rief zunächst seine Recht­sprechung im Zusam­men­hang mit dieser “règle car­di­nale” des Anwalts­berufs in Erin­nerung. Ins­beson­dere erin­nerte es daran, dass die Pflicht eines Anwalts, Inter­essenkon­flik­te zu ver­mei­den (Art. 12 lit. c BGFA), dem Schutz der Inter­essen des Klien­ten des Anwalts dient. Gle­ichzeit­ig soll diese Beruf­spflicht helfen, das Funk­tion­ieren der Recht­spflege sicherzustellen. Dabei wies das Bun­des­gericht auf die von ihm entwick­el­ten Kri­te­rien hin, anhand welch­er geprüft werde, ob im konkreten Einzelfall ein Inter­essenkon­flikt vor­liegt (E. 2.1). Sodann erin­nerte das Bun­des­gericht daran, dass sich die Unfähigkeit eines Anwalts, jeman­den zu vertreten, auch auf seine Part­ner der­sel­ben Kan­zlei erstreckt. Der per­sön­liche Inter­essenkon­flikt eines Anwalts erfasst, so gemäss Recht­sprechung des Bun­des­gerichts, auch die Kan­zlei- oder Büro­ge­mein­schaft in ihrer Gesamtheit und damit sämtliche, in dieser Kan­zlei- oder Büro­ge­mein­schaft täti­gen Anwälte. Dies gilt unab­hängig vom Sta­tus des Anwalts (Part­ner oder Mitar­beit­er) und der Schwierigkeit­en, mit welchen Kan­zleien bes­timmter Grösse bei der Ein­hal­tung dieser sich aus den anwaltlichen Beruf­s­regeln ergeben­den Anforderun­gen kon­fron­tiert sind (E. 2.2).

Das Bun­des­gericht weist sodann auf die in der Lehre herrschen­den unter­schiedlichen Ansicht­en hin, wie mit Inter­essenkon­flik­ten zu ver­fahren ist, welche im Zusam­men­hang mit dem Wech­sel eines als Mitar­beit­er angestell­ten Anwalts auftreten (E. 2.2). Es schloss sich der Mehrheitsmei­n­ung an, wonach bei Auftreten von Inter­essenkon­flik­ten auf­grund des Kan­zlei­wech­sels eines Anwalts die neue Kan­zlei das Man­dat niederzulege habe (E: 2.3):

(…) la con­nais­sance par le col­lab­o­ra­teur en rai­son de son précé­dent emploi d’un dossier traité par le nou­v­el employeur con­stitue l’élé­ment déter­mi­nant pour retenir la réal­i­sa­tion d’un con­flit d’in­térêts con­cret qui doit être évité, ce que per­met la résil­i­a­tion du man­dat par le second. 

Diese Grund­sätze recht­fer­ti­gen, so das Bun­des­gericht, das Ver­bot für die Anwälte B und C sowie sämtlich­er weit­eren, für die Anwalt­skan­zlei E täti­gen Anwälte, die Inter­essen der A GmbH zu vertreten. Dies ins­b­son­dere vor dem Hin­ter­grund, dass die juris­tis­chen Ver­fahren gegen den ehe­ma­li­gen Mitar­beit­er der A GmbH noch am Laufen seien und somit das Risiko, dass ver­trauliche Dat­en gegen den Mitar­beit­er ver­wen­det wer­den kön­nten, nicht bloss the­o­retis­ch­er Natur, son­dern ganz konkret sei (E. 2.3).

Kein Gehör fand das Bun­des­gericht für das von den Beschw­erde­führerin vorge­brachte Argu­ment, wonach die Anwalt­skan­zlei E interne Mass­nah­men ergrif­f­en hätte, um den Zugang von Anwalt G auf das Dossier den ehe­ma­li­gen Mitar­beit­er der A GmbH betr­e­f­fend zu ver­hin­dern (“Chi­nese Walls”). Solche Bar­ri­eren oder Abschot­tun­gen seien, so das Bun­des­gericht, generell ungeeignet, die sich im Zusam­men­hang mit Inter­essenkon­flik­ten beste­hen­den Prob­leme zu ver­hin­dern, vor allem weil sie nicht sämtlichen, z.B. mündlichen Aus­tausch zwis­chen den Anwäl­ten der­sel­ben Kan­zlei ver­hin­dern kön­nten (E. 2.4):

En effet, les bar­rières ou cloi­son­nements qui peu­vent, le cas échéant, être mis en place dans la nou­velle étude (“chi­nese walls”) sont générale­ment impro­pres à éviter les prob­lé­ma­tiques liées à l’ex­is­tence de con­flits d’in­térêts, faute en par­ti­c­uli­er de pou­voir empêch­er tout échange, par exem­ple oral, entre les avo­cats d’une même étude (…). 

Dabei schloss sich das Bun­des­gericht ins­beson­dere der Ansicht von Chap­puis an, der die interne Organ­i­sa­tion der Kan­zlei nach Tätigkeits­ge­bi­eten und die Aufteilung der Anwälte gemäss deren Spezial­i­sa­tion als kün­stlich (“arti­fi­cielle”) und rein kos­metis­ch­er Natur (“pure­ment cos­mé­tique”) beze­ich­net (E. 2.4).

Zweifel­haft war für das Bun­des­gericht sodann, dass der Wille der neuen Anwalt­skan­zlei und Arbeit­ge­berin von Anwalt G, diesen nicht bei einem Man­dat mitwirken zu lassen, in dessen Zusam­men­hang er bere­its bei seinem früheren Arbeit­ge­ber tätig war, die für den Schutz vor Inter­essenkon­flik­ten notwendi­gen Garantien ver­schafft. Ohne die Integrität der involvierten Anwälte in Frage stellen zu wollen, ver­wies das Bun­des­gericht dabei ins­beson­dere auf das vom Betrof­fe­nen getra­gene Risiko, dass von ihm gegenüber der früheren Kan­zlei offen­gelegte ver­trauliche Infor­ma­tio­nen gegen ihn ver­wen­det wer­den kön­nten. Der Betrof­fene könne denn auch, so das Bun­des­gericht, gar nicht über­prüfen, ob die neue Anwalt­skan­zlei und/oder deren angestell­ter Anwalt die beruf­s­rechtlichen Verpflich­tun­gen ein­hal­ten (E. 2.4).

Dem Bun­des­gericht war bewusst, dass die von ihm vertretene Ansicht schw­er­wiegende Fol­gen haben könne und ins­beson­dere das Recht der A GmbH auf Rechts­bei­s­tand gemäss Art. 127 Abs. 1 StPO ein­schränke. Eben­so anerkan­nte das Bun­des­gericht, dass sich durch diesen Entscheid Fol­gen für den Umfang von Über­prü­fun­gen und/oder Ein­schränkun­gen bei der Anstel­lung von Anwäl­ten ergeben kön­nten. Diese Ein­schränkun­gen seien indessen auf­grund der Wichtigkeit des Ver­bots von Inter­essenkon­flik­ten, welch­es eben­falls dem Funk­tion­ieren der Recht­spflege diene, gerecht­fer­tigt (E. 2.5):

Certes, la solu­tion retenue — oblig­a­tion de met­tre un terme au man­dat, respec­tive­ment inter­dic­tion de plaider — peut paraître sévère. (…)
Cela étant, elle se jus­ti­fie eu égard à l’im­por­tance de la con­fi­ance que doivent pou­voir avoir les man­dants dans leurs con­seils, soit que les secrets con­fiés dans le cadre de leur défense ne seront pas trans­mis à la par­tie adverse et util­isés ensuite à leur détri­ment. Cet élé­ment essen­tiel con­tribue égale­ment à la bonne marche des insti­tu­tions judi­ci­aires. A cela s’a­joutent encore la nature pénale de la cause, ain­si que le statut de prévenu de l’in­timé dans celle-ci. Par­tant, la bonne admin­is­tra­tion de la jus­tice, ain­si que l’in­térêt de l’in­timé à avoir une défense exempte de con­flit d’in­térêts pri­ment en l’oc­cur­rence le droit de la recourante à se voir assis­ter par les deux avo­cats recourants ou par l’un de ceux exerçant au sein de l’é­tude E.________; en tout état, elle con­serve le choix de ses futurs conseils.