4A_596/2018: Darlehensvertrag, Negativzinsen (amtl. Publ.)

Gegen­stand dieses Urteils bildete — vere­in­facht — ein am 20. Juli 2006 abgeschlossen­er Dar­lehensver­trag, in welchem die Parteien den 6‑Monats LIBOR-CHF-Zins zuzüglich 0.0375% als Zinssatz vere­in­bart hat­ten. Mit der Ein­führung von Neg­a­tivzin­sen sowie der Ankündi­gung der Aufhe­bung des CHF-EUR-Min­destkurs­es im Jan­u­ar 2015 durch die SNB kippte der 6‑Monats LIBOR-CHF-Satz ins Minus. Am 4. Sep­tem­ber 2015 forderte die Dar­lehen­snehmerin den Dar­lehens­ge­ber auf, den Zins gemäss ver­traglich fest­gelegter Formel zu berech­nen und ihr den daraus resul­tieren­den Neg­a­tivzins zu über­weisen. Der Dar­lehens­ge­ber wies die Forderung zurück und stellte sich auf den Stand­punkt, der Dar­lehensver­trag enthalte keine aus­drück­liche Regelung für den uner­warteten Fall, dass der 6‑Monats LIBOR-CHF-Satz ins Neg­a­tive falle. In jedem Fall sehe der Dar­lehensver­trag keine Zin­szahlung des Dar­lehens­ge­bers zugun­sten der Dar­lehen­snehmerin vor. Die Dar­lehen­snehmerin reichte Klage ein, unter­lag jedoch sowohl vor dem Gen­fer Tri­bunal de pre­mière instance sowie der Cham­bre civ­il de la Cour de jus­tice, welche die vom Dar­lehens­ge­ber vertretene Ver­tragsausle­gung schützte.

Das Bun­des­gericht erin­nerte zunächst daran, dass der Dar­lehen­szins das Ent­gelt und damit die Gegen­leis­tung für das Zurver­fü­gung­stellen von Kred­it darstelle (Ver­weis u.a. auf BGE 136 III 247, E. 5). Entsprechend dieser Def­i­n­i­tion stelle ein Neg­a­tivzins keinen Zins im juris­tis­chen Sinne gemäss den Bes­tim­mungen des OR dar (E. 3.3).

Sodann wies das Bun­des­gericht darauf hin, dass der Dar­lehen­snehmer grund­sät­zlich zur Rück­er­stat­tung von Sachen der näm­lichen Art in gle­ich­er Menge und Güte verpflichtet sei (Art. 312 Abs. 1 OR), die Parteien indessen frei seien, eine abwe­ichende Regelung zu tre­f­fen. Gemäss herrschen­der Lehre kön­nten die Parteien sog­ar vere­in­baren, dass der Dar­lehen­snehmer weniger zurück­zuer­stat­ten habe, als er vom Dar­lehens­ge­ber erhal­ten hätte, in welchem Fall die Dif­ferenz eine Schenkung darstelle. Heikel sei indessen die Frage, ob Neg­a­tivzinse mit dem Charak­ter eines Dar­lehensver­trags vere­in­bar seien. Immer­hin wür­den Neg­a­tivzinse das Gle­ichgewicht des Dar­lehensver­trags bee­in­flussen, da die Zinse nicht mehr die Gegen­leis­tung für das Zurver­fü­gung­stellen von Kred­it darstellen wür­den. Die Parteien seien indessen frei in ihrer Regelung und der Ver­trag sei gegeben­falls als atyp­is­ch­er Dar­lehensver­trag oder als Innom­i­natver­trag zu qual­i­fizieren (E. 3.5.2).

Da die Parteien ver­traglich nichts aus­drück­lich vere­in­bart hat­ten und der tat­säch­liche gemein­same Wille der Parteien nicht erstellt wer­den kon­nte, legte das Bun­des­gericht den Ver­trag in der Folge gemäss dem Ver­trauen­sprinzip aus (E. 3.5.2). Dabei ver­wies es zunächst auf die in der Lehre vertrete­nen Auf­fas­sun­gen über die Fol­gen, wenn der Ref­erenzzinssatz neg­a­tiv wird: Gemäss der ersten Lehrmei­n­ung ergäbe eine objek­tive Ver­tragsausle­gung, dass der Zinssatz nicht unter die vere­in­barte Marge fall­en könne, der Ref­erenzzinssatz somit nicht unter 0% fall­en könne. Der zweite Teil der Lehre ver­tritt die Ansicht, dass auch die Marge bis auf 0% fall­en könne. Gemäss der drit­ten Auf­fas­sung schliesslich könne der Zinssatz in Anwen­dung ein­er vere­in­barten Formel auch ins Neg­a­tiv fall­en, mit der Folge, dass der Dar­lehen­snehmer Zin­szahlun­gen vom Dar­lehens­ge­ber fordern könne (E. 3.5.3).

Das Bun­des­gericht stellte daraufhin fest, dass der Dar­lehensver­trag wed­er eine aus­drück­liche Regelung für den Fall enthielt, dass der 6‑Monats LIBOR-CHF-Zins ins Neg­a­tive falle, noch aus­drück­lich eine Marge von 0.0375% zugun­sten des Dar­lehens­ge­bers garantiere. Der Dar­lehensver­trag sehe nir­gends aus­drück­lich die Möglichkeit der Umkehrung der Zin­szahlungsverpflich­tung vor. Vielmehr wür­den mehrere Bes­tim­mungen aus­drück­lich auf die Zin­szahlungsverpflich­tung der Dar­lehen­snehmerin Bezug nehmen. Darüber hin­aus sei, so das Bun­des­gericht weit­er, wed­er ersichtlich, dass die Parteien bei Abschluss des Dar­lehensver­trags (20. Juli 2006) mit Neg­a­tivzin­sen gerech­net hät­ten, noch dass sie beab­sichtigt hät­ten, dass sich die Dar­lehen­snehmerin mit­tels Neg­a­tivzin­sen refi­nanzieren kön­nen soll. Aus ein­er objek­tiv­en Ausle­gung des Dar­lehensver­trags könne somit nach guten Treuen nicht der Sinn und Zweck abgeleit­et wer­den, dass die Dar­lehen­snehmerin Neg­a­tivzinse aus­bezahlt erhalte. Weit­er erwog das Bun­des­gericht, dass sich der ent­geltliche Charak­ter eines Dar­lehensver­trags grund­sät­zlich über die gesamte Ver­tragslaufzeit beurteile. Vor­liegend hät­ten die Parteien indessen eine Berech­nung nach bes­timmten Zinspe­ri­o­den vere­in­bart. Die Frage der Zins­be­we­gun­gen müsse dem­nach für jede einzelne, von den Parteien vere­in­barte Zinspe­ri­ode geprüft wer­den (E. 3.5.4).

In diesem Zusam­men­hang erwog das Bun­des­gericht zudem (E. 3.5.4):

  • Der Auf­fas­sung der Vorin­stanz, wonach sich die Parteien als Branchen­fach­leute den Fluk­tu­a­tio­nen des LIBOR-CHF-Zinssatzes bewusst waren, sei zuzus­tim­men. Daraus könne indessen nicht abgeleit­et wer­den, dass die Parteien eine, auch nur tem­poräre, Umkehrung der Zin­szahlungspflicht in Betra­cht gezo­gen hätten.
  • Die Dar­lehen­snehmerin könne aus dem Umstand, dass ihr aus anderen Dar­lehensverträ­gen, welche sie abgeschlossen oder an unbekan­nten Dat­en hätte abschliessen kön­nen, Neg­a­tivzinse aus­bezahlt wür­den, nichts zu ihren Gun­sten ableiten.
  • Die von der Dar­lehen­snehmerin zitierten Urteile aus Frankre­ich seien für die objek­tive Ver­tragsausle­gung des konkreten Dar­lehensver­trags nicht ein­schlägig, zumal diese Urteile die Anwen­dung des franzö­sis­chen Rechts betrof­fen hät­ten und die zugrunde liegen­den Sachver­halte weit­ge­hend unbekan­nt seien. Genau­so könne der Dar­lehens­ge­ber aus den von ihm zitierten Urteilen des öster­re­ichis­chen Ober­sten Gericht­shofes, gemäss welchen eine Neg­a­tiven­twick­lung des Ref­erenzzinssatzes nicht zu ein­er Zahlungsverpflich­tung des Dar­lehens­ge­bers führen könne, nichts zu seinen Gun­sten ableiten.

Schliesslich äusserte sich das Bun­des­gericht zur Frage, ob in Anwen­dung des Ver­trauen­sprinzips aus ein­er objek­tiv­en Ver­tragsausle­gung geschlossen wer­den könne, dass die Parteien unab­hängig der Entwick­lung des LIBOR-CHF-Zinssatzes eine Marge von 0.0375% zugun­sten des Dar­lehens­ge­bers hät­ten sich­er­stellen wollen, oder ob der Gesamtzinssatz ohne Garantie ein­er Marge höch­stens auf 0% fall­en könne. Die Vorin­stanz hat­te gestützt auf eine objek­tive Ver­tragsausle­gung erwogen, dass der Gesamtzinssatz bis auf 0% fall­en könne (E. B.b.). Das Bun­des­gericht erin­nerte daran, dass der vor­liegende Dar­lehensver­trag ent­geltlich i.S.v. Art. 313 Abs. 2 OR sei, wom­it die Dar­lehen­snehmerin — vor­be­hältlich ein­er ander­slau­t­en­den Vere­in­barung — zur Zahlung von Zin­sen an den Dar­lehens­ge­ber verpflichtet sei. Vor­liegend hät­ten die Parteien eine hal­b­jährige Zins­berech­nung und ‑zahlung vere­in­bart, mit der Möglichkeit der Ver­tragskündi­gung bei Zahlungsverzug. Gestützt darauf erscheine vertret­bar (“raisonnable”), dass Schwankun­gen im Ref­erenzzinssatz nicht zu einem Abbau der Marge führen wür­den. Diese namentlich auf­grund des Kred­itrisikos fest­gelegte Marge hänge nicht von der Entwick­lung des Ref­erenzzinssatzes ab. Die gegen­teilige Auf­fas­sung würde darauf hin­aus­laufen, die Unverän­der­lichkeit der zwis­chen den Parteien vere­in­barten Marge abzus­tre­it­en. Darüber hin­aus dürfe nicht auss­er Acht gelassen wer­den, dass die Parteien den Dar­lehensver­trag im Jahr 2006 abgeschlossen hät­ten, mithin zu ein­er Zeit, in welch­er es schwierig vorherzuse­hen gewe­sen sei, dass die Marge durch einen ins Neg­a­tive fal­l­en­den Ref­erenzzinssatz betrof­fen werde (E. 3.5.5).

Gestützt auf diese Erwä­gun­gen kam das Bun­des­gericht zum Schluss, dass sowohl die Auf­fas­sung der Vorin­stanz, als auch die Aufas­sung, wonach gestützt auf die Ver­tragsausle­gung davon auszuge­hen sei, dass die Parteien die Marge des Dar­lehens­ge­bers hät­ten erhal­ten wollen, vertret­bar sei. Man­gels Widerk­lage des Dar­lehens­ge­bers kon­nte das Bun­des­gericht die Frage vor­liegend offen lassen (E. 3.5.5).