1C_485/2017: Raststätte Gunzgen Nord / Entschädigungpflicht bei übermässigen Immissionen (amtl. Publ.)

Im zur amtlichen Pub­lika­tion vorge­se­henen Urteil vom 23. April 2019 beschäftigte sich das BGer mit Entschädi­gungsansprüchen wegen Bauar­beit­en. Die E. AG ist Inhab­erin eines selb­ständi­gen und dauern­den Bau­rechts für den Bau und Betrieb der Rast­stätte Gun­z­gen Nord an der Nation­al­strasse A1/A2. Bau­rechts­ge­ber ist der Kan­ton Solothurn. Der geplante Aus­bau der A1/A2 führte dazu, dass die Rast­stät­ten­z­u­fahrt tem­porär ges­per­rt wer­den musste. Mit Urteil vom 9. Mai 2016 wies der Präsi­dent der Eid­genös­sis­chen Schätzungskom­mis­sion, Kreis 8, Entschädi­gungs­forderun­gen der E. AG ab. Gegen dieses Urteil gelangte die E. AG bis vor BGer, welch­es die Beschw­erde teil­weise gutheisst.

In Zen­trum der Auseinan­der­set­zung vor BGer ste­ht die Frage, ob die Bau­recht­sliegen­schaft der E. AG bzw. ihr darauf befind­lich­er Betrieb über­mäs­sige Ein­wirkun­gen aus den Strassen­bauar­beit­en erlit­ten hat. Vor­ab lis­tet das BGer seine enteig­nungsrechtliche Prax­is auf und hält fest, dass es für die Über­mäs­sigkeit der vorüberge­hen­den Immis­sio­nen und damit für das Beste­hen ein­er Entschädi­gungspflicht spricht,

  • wenn die Beein­träch­ti­gung län­gere Dauer (Richtwert über ein halbes Jahr) anhält,
  • erhe­bliche pos­i­tive (Lärm, Staub usw.) oder neg­a­tive (Zugangser­schw­ernisse) Immis­sio­nen zu dulden sind, wobei die Inten­sität sich im Ver­lauf der Bauar­beit­en ändern kann,
  • die Beein­träch­ti­gung beim Geschäft eine erhe­bliche Umsatzein­busse (Richtwert 20 bis 30 %) oder einen erhe­blichen Zeitaufwand (wie für Reini­gung) verursacht.

Zu den Immis­sio­nen im konkreten Fall hält das BGer fol­gen­des fest:

Beson­ders ein­schnei­dend war die zwei­monatige Totalsper­rung der Zufahrt zur Rast­stätte Gun­z­gen Nord im zweit­en Bau­jahr. Anson­sten war diese Zufahrt zwar offen, die Baustel­len­ver­hält­nisse vor und bei der Zufahrt stell­ten sich aber jew­eils nach eini­gen Monat­en immer wieder anders dar. Am Anfang des ersten Bau­jahrs und dann vor allem im zweit­en Bau­jahr war die Zufahrt erhe­blich erschw­ert. Dazwis­chen lag eine Zwis­chen­phase, bei der die Zufahrt nicht anspruchsvoll war, aber wegen der noch umge­baut­en Fahrbahn den­noch der Ein­druck ein­er Gross­baustelle bestand. Dazu tru­gen Baulärm, Staub und Erschüt­terun­gen bei. Zu ein­er markan­ten wirtschaftlichen Erhol­ung kam es bei der Rast­stätte in dieser Zwis­chen­phase nicht. Das Zusam­men­spiel dieser Nachteile führte — vor allem in den Geschäft­s­jahren 2012, 2013 und 2014 — zu ein­er erhe­blichen Umsatzein­busse, die den Rah­men des nor­malen Betrieb­srisikos der Rast­stätte über­steigt. Demzu­folge sind die Voraus­set­zun­gen für eine grund­sät­zliche Entschädi­gungspflicht wegen über­mäs­si­gen Immis­sio­nen aus den fraglichen Strasse­nar­beit­en auf die Bau­recht­sliegen­schaft der Beschw­erde­führerin erfüllt. Die Beschw­erde ist in diesem Punkt begrün­det. (E. 7.7.)

Nicht abschliessend äussert sich das BGer zur Frage, gegen welch­es Gemein­we­sen bzw. welche Behörde sich der enteig­nungsrechtliche Entschädi­gungsanspruch der E. AG richtet. Es weist die Angele­gen­heit in diesem Punkt zur Neubeurteilung an die Eid­genös­sis­che Schätzungskom­mis­sion, Kreis 8, zurück.