4A_623/2018: Zustimmung zur Übertragung von Aktien und Eintragung im Aktienbuch (Business Judgment Rule, Durchgriff; amtl. Publ.)

Dem Urteil lag vere­in­facht fol­gen­der Sachver­halt zugrunde: Die C. AG als Haup­tak­tionärin der A. AG (Beklagte und Beschw­erde­führerin in diesem Ver­fahren) verkaufte ihre Aktien, woraufhin B (Klägerin und Beschw­erdegeg­ner­in in diesem Ver­fahren) ein ihr zuste­hen­des Vorkauf­s­recht gel­tend machte. Das Bezirks­gericht Plessur verpflichtete die C. AG auf Klage von B hin, 963 einzeln beze­ich­nete Name­nak­tien blanko indossiert und Zug um Zug gegen Barzahlung oder Vor­lage eines unwider­ru­flichen Zahlungsver­sprechens ein­er Schweiz­er Bank in der Höhe von rund CHF 1.7 Mio. auf B zu über­tra­gen. Nach­dem das Kan­ton­s­gericht Graubün­den die Beru­fung der C. AG abwies, deponierte diese die Aktien blanko indossiert beim Ver­wal­tungsrat der Beklagten (der A. AG) und beantragte die Über­tra­gung der Aktien an B.

Ein Ver­wal­tungsrat­sauss­chuss der A. AG führte in der Folge Gespräche mit ihrem Geschäfts­führer und später auch mit der Klägerin, um sie und ihre Zukun­ftsab­sicht­en für das Unternehmen ken­nen zu ler­nen. Der Geschäfts­führer gab bei diesen Gesprächen unter anderem an, er würde die A. AG ver­lassen, wenn eine Drittper­son wie B die Aktien­mehrheit übernehmen würde. Nach diesen Gesprächen erk­lärte der Ver­wal­tungsrat der Beklagten gegenüber B, er ver­weigere die Zus­tim­mung zu ein­er Über­tra­gung der Aktien an die Klägerin und werde diese nicht ins Aktien­buch ein­tra­gen. Sodann übe sie, die A. AG, das statu­tarische Ankauf­s­recht aus und werde die Aktien auf Rech­nung Drit­ter, des Geschäfts­führers, erwer­ben, sofern dieser dem Ver­wal­tungsrat ein Kau­fange­bot in annehm­bar­er Höhe mache, welch­es dann der C. AG unter­bre­it­et würde. Der Geschäfts­führer reichte daraufhin zuhan­den der Bekalgten ein Ange­bot für die Aktien im Betrag von rund CHF 2 Mio. ein.

B klagte daraufhin erneut vor dem Bezirks­gericht Plessur, dieses Mal gegen die A. AG, und beantragte im Wesentlichen, diese sei zu verpflicht­en, die Zus­tim­mung zur Über­tra­gung von 963 (einzeln beze­ich­neten) Name­nak­tien von der C. AG auf sie zu erteilen und sie als Aktionärin ins Aktien­buch einzu­tra­gen. Zudem sei die Beklagte zu verpflicht­en, die bei ihr hin­ter­legten 963 Aktien an die Klägerin her­auszugeben. Das Region­al­gericht (ehe­mals Bezirks­gericht) Plessur und das Kan­ton­s­gericht Graubün­den schützten die Klage, woraufhin die A. AG an das Bun­des­gericht gelangte.

Das Bun­des­gericht bejahte zunächst, dass die Klägerin legit­imiert war, eine Ver­let­zung von Art. 685b OR gel­tend zu machen. Es erwog, dass der vom Veräusser­er ursprünglich aus­gewählte, nun durch die Gesellschaft abgelehnte Erwer­ber eigentlich als Nich­tak­tionär keine Klage gegen die Gesellschaft hätte. Es fol­gte indessen der Ansicht der Befür­worter ein­er Klage­berech­ti­gung des Erwer­bers, wonach das geset­zliche Ankauf­s­recht der Gesellschaft gemäss Art. 685b Abs. 1 OR in jeden Kaufver­trag über vinkulierte nicht kotierte Name­nak­tien ein­greife und deshalb bei Wider­rechtlichkeit der Ablehnung auch der Erwer­ber aktivle­git­imiert sein müsse. Dass vor­liegend nicht ein Kaufver­trag zwis­chen B und der Mehrheit­sak­tionärin C. AG, son­dern das vor­erwäh­nte Urteil des Kan­ton­s­gerichts, mit welchem dieses die C. AG zur Über­tra­gung der Aktien an B verpflichtete, Grund­lage der Leis­tungsklage sei, ändere daran nichts (E. 2).

Anschliessend prüfte das Bun­des­gericht, ob das Kan­ton­s­gericht Graubün­den Art. 685b OR ver­let­zte, indem es seine Prü­fungs­befug­nis über­schritt, als es die einzel­nen Gründe für die Ablehnung der Ein­tra­gung von B im Detail auf ihre ange­bliche “Vertret­barkeit” hin unter­suchte, obwohl es den Ablehnungsentscheid nur auf Willkür und Rechtsmiss­brauch hätte prüfen dür­fen. Es erwog, dass die “Busi­ness Judg­ment Rule”, auf welche sich das Kan­ton­s­gericht berufen hat­te, vor­liegend keine Rolle spiele. Das Bun­des­gericht erin­nerte daran, dass sich die Ein­schränkung sein­er Über­prü­fung und den dies­bezüglichen Voraus­set­zun­gen auf Geschäft­sentschei­de beziehe. Demge­genüber wür­den sich andere Auf­gaben des Ver­wal­tungsrats, namentlich Kon­toll- und Organ­i­sa­tion­sauf­gaben, für eine jus­tizmäs­sige Nachkon­trolle eignen. Ein Entscheid des Ver­wal­tungsrats, mit welchem er von der geset­zlichen (hier auch statu­tarischen) Befug­nis gemäss Art. 685a Abs. 1 OR zum Ankauf eigen­er Aktien und der Ver­weigerung der Über­tra­gung auf einen anderen Erwer­ber Gebrauch mache, falle somit ent­ge­gen der Vorin­stanz nicht in den Anwen­dungs­bere­ich der Über­prü­fungs­beschränkung gemäss der “Busi­ness Judg­ment Rule” (E. 3.1).

Inhaltlich erkan­nte das Bun­des­gericht keine Ver­let­zung von Art. 685b Abs. 1 OR. Es erwog, dass bei einem Über­nah­meange­bot zum wirk­lichen Wert keine wichti­gen Gründe vor­liegen und über­haupt keine Gründe genan­nt wer­den müssten. Indessen müssten gewisse Randbe­din­gun­gen beachtet wer­den, ins­beson­dere das Gle­ich­be­hand­lungsange­bot und der Entscheid dürfe nicht rechtsmiss­bräuch­lich sein. Für die Recht­fer­ti­gung eines Beschlusses durch vernün­ftige wirtschaftliche Erwä­gun­gen sei auf die Inter­essen der Gesellschaft und der Gesamtheit der Aktionäre abzustellen, wobei keine Prü­fung sein­er Angemessen­heit erfolge (E. 3.2.1). Vor­liegend erkan­nte das Bun­des­gericht wed­er eine Ungle­ich­be­hand­lung ver­schieden­er Aktionärs­grup­pen noch dass die Beschw­erde­führerin ihren Entscheid auf Gründe gestützt hätte, die nicht in der Inter­essen­sphäre der Gesellschaft liegen wür­den. Der Entscheid des Ver­wal­tungsrat­sauss­chuss­es bzw. des Ver­wal­tungsrats sei nicht miss­bräuch­lich gewe­sen, weil durch keine vernün­fti­gen wirtschaftlichen Über­legun­gen gerecht­fer­tigt (E. 3.2.2.).

Das Bun­des­gericht prüfte sodann die Even­tu­al­be­grün­dung des Kan­ton­s­gerichts Graubün­den, wonach mit­tels Durch­griffs die der C. AG aufer­legte Pflicht zur Her­aus­gabe und Über­tra­gung der 963 Name­nak­tien an B auf die Beschw­erde­führerin, die A. AG, erstreckt werde. Dabei ging es im Kern um die Erstreck­ung ein­er ver­traglichen Vorkaufsverpflich­tung (E. 4). Das Bun­des­gericht erin­nerte zunächst an seine Recht­sprechung im Zusam­men­hang mit dem aktien­rechtlichen Durch­griff (E. 4.2) und stellte fest, dass es vor­liegend nicht um einen Haf­tungs­durch­griff gehe, son­dern um die Erstreck­ung ein­er dem (Mehrheits-)Aktionär obliegen­den Ver­tragspflicht auf die Gesellschaft bzw. die Verpflich­tung der Gesellschaft, B die Aktionärsstel­lung zu ver­schaf­fen (E. 4.3).

Das Bun­des­gericht erwog sodann, dass vor­liegend mit der Erfül­lung des ver­traglichen Vorkauf­sanspruchs von B eine kör­per­schaftliche Bes­tim­mung, die Vinkulierung, aus­ge­he­belt würde. Es sei strik­te zwis­chen der kör­per­schaftlichen und der ver­tragsrechtlichen Ebene zu unter­schei­den, was sich auch die Beschw­erdegeg­ner­in hätte bewusst gewe­sen sein müssen. B hätte erken­nen bzw. erken­nen kön­nen, dass die Vinkulierungs­bes­tim­mung ihrem Vorkauf­s­recht ent­ge­gen­ste­hen kön­nte. Das Bun­des­gericht erwog sodann, dass B sowie die Vorin­stanz im Kern der C. AG vor­war­fen, dass es diese als beherrschende Aktionärin in der Hand gehabt hätte, im Ver­wal­tungsrecht, allen­falls durch dessen Neubestel­lung, für eine Durch­set­zung des Vorkauf­s­rechts zu sor­gen. Mit Blick auf die Sit­u­a­tion bei Aktionärbindungsverträ­gen erwog das Bun­des­gericht indessen, dass Gren­ze der Befol­gung von Weisun­gen für Organ­per­so­n­en von Mehrheit­sak­tionären das Gesellschaftsin­ter­esse sei (E. 4.3.1).

Sodann erin­nerte es daran, dass strenge Anforderun­gen an den sog. umgekehrten Durch­griff gel­ten wür­den. Ein solch­er bedürfe ein­er “ganz beson­deren Begrün­dung”, denn es sei im Hin­blick auf die Gläu­biger der Gesellschaft nicht das gle­iche, ob der Alleinak­tionär beson­der­er Umstände wegen für Verbindlichkeit­en der Gesellschaft mithaften sollte, oder umgekehrt die Mithaf­tung der Gesellschaft für Verbindlichkeit­en des Alleinak­tionärs in Frage ste­he. Mit Blick auf die Prax­is zu Durch­grif­f­en, wo es solche beson­deren Gründe erkan­nt hat­te, erwog das Bun­des­gericht daraufhin, dass es nicht genü­gen könne, dass die C. AG die Beschw­erde­führerin als Mehrheit­sak­tionärin beherrsche. Vielmehr seien immer die Inter­essen der nicht mit dem Haup­tak­tionär ver­bun­de­nen Min­der­heit­sak­tionäre zu wahren, die es auss­chliessen wür­den, dass dessen per­sön­liche Verpflich­tun­gen der Gesellschaft aufge­bürdet wür­den. Die Voraus­set­zun­gen eines umgekehrten Durch­griffs seien deshalb nicht erfüllt (E. 4.3.2).

Ins­ge­samt könne somit, sowohl gestützt auf gesellschaft­srechtliche (E. 4.3.1) als auch unter Bezug­nahme auf das Insti­tut des umgekehrten Durch­griffs (E. 4.3.2) die der C. AG aufer­legte Verpflich­tung zur Her­aus­gabe und Über­tra­gung der 963 Name­nak­tien nicht auf die Beschw­erde­führerin erstreckt wer­den. Die Even­tu­al­be­grün­dung halte somit eben­falls nicht stand (E. 4.3.3).

Gestützt auf diese Erwä­gun­gen hob das Bun­des­gericht das Urteil des Kan­ton­s­gerichts Graubün­den auf und wies die Klage ab.