Im Entscheid 4A_342/2019 vom 6. Januar 2020 befasste sich das Bundesgericht mit der objektiven Tragweite einer Schiedsvereinbarung.
Im Rahmen eines Bieterverfahrens erteilte die Klägerin der Beklagten den Zuschlag für ein Projekt zur Lieferung bestimmter Geräte. Anlässlich der Verhandlungen unterzeichneten die Parteien einen als “Quality Assurance Agreement” bezeichneten Vertrag (“QAA”). Das QAA regelte insbesondere die Qualitätssicherung. Artikel 9(3) QAA enthielt die folgende Schiedsklausel:
If all parties in a dispute have their headquarters in Germany, the sole place of jurisdiction for any contract dispute is Stuttgart. For processes in front of district courts, Stuttgart District Court (70190 Stuttgart) is the responsible court in this case. In all other cases, contract disputes shall be settled definitively in accordance with the Rules of Arbitration of the International Chamber of Commerce by one or several arbitrators appointed in accordance with this ordinance. The place of arbitration is Zurich, Switzerland, unless the parties in dispute agree a different location. The language for the arbitral proceedings is English. The parties in dispute shall handle all information that they receive in respect of arbitral proceedings in accordance with this provision with the utmost confidence, including the existence of arbitral proceedings. In a court and/or arbitral proceeding, they shall only disclose such information as is required to exercise their rights. The chairman or arbitrator must be a different nationality to the parties in dispute. The parties in dispute shall continue to meet their agreements affected by the dispute subject to a different decision by the arbitral court.
Die Parteien verhandelten auch das “Corporate Agreement” (“CA”) sowie die allgemeinen Geschäftsbedingungen (“AGB”), konnten sich aber nicht einigen. Das CA und die AGB wurden in der Folge nicht unterzeichnet. Das nicht unterschriebene CA enthielt eine Schiedsklausel zugunsten eines ICC Schiedsgerichts mit Sitz in Zürich. Die von der Klägerin vorgeschlagenen AGB enthielten zwar eine Gerichtsstandsklausel, doch bestand die Beklagte darauf, die Gerichtsstandsklausel durch eine Schiedsklausel zu ersetzen.
Die Beklagte informierte schliesslich die Klägerin, das Projekt aufzugeben. Die Klägerin leitete daraufhin ein ICC Schiedsverfahren gegen die Beklagte ein und klagte auf Schadenersatz. Die Beklagte bestritt die Zuständigkeit. Mit dem “Partial Award on Jurisdiction and Liability” bejahte das ICC Schiedsgericht mit Sitz in Zürich seine Zuständigkeit. Die Beklagte erhob gegen diesen Entscheid Beschwerde.
Gemäss Bundesgericht könne aus der Verwendung des Begriffs “contract disputes” in Artikel 9(3) QAA nicht abgeleitet werden, dass die Parteien damit einzig unmittelbar aus dem QAA sich ergebende Streitigkeiten einem Schiedsgericht unterbreiten wollten, unter Ausschluss von Streitigkeiten betreffend die eigentliche Lieferverpflichtung. Das QAA habe vielmehr Bestandteil des vorgesehenen vertraglichen Regelwerks betreffend die Lieferbeziehung gebildet.
Das QAA betreffe spezifische Punkte der Lieferbeziehung zwischen den Parteien. Aus dem von der Beklagten ins Feld geführten Umstand, dass neben Artikel 9(3) QAA auch die weiteren — nicht unterzeichneten — Vertragsdokumente jeweils eine Schiedsklausel enthielten, könne nicht geschlossen werden, dass innerhalb derselben Lieferbeziehung je eigenständige Streiterledigungsmechanismen für einzelne Ansprüche vorgesehen werden sollten. Vielmehr sei aus objektiver Sicht davon auszugehen, dass damit jeweils die für das gesamte Lieferverhältnis gewählte Streiterledigung durch ein ICC Schiedsgericht mit Sitz in Zürich bekräftigt werden sollte.
Angesichts der zwischen den Parteien ausgetauschten Willenserklärungen durfte die Beklagte nach Treu und Glauben nicht davon ausgehen, dass Ansprüche betreffend Qualitätssicherung im Rahmen des Lieferverhältnisses vor einem Schiedsgericht geltend gemacht werden müssten, für andere Streitigkeiten betreffend die eigentliche Lieferverpflichtung jedoch die staatlichen Gerichte zuständig bleiben würden. Entgegen der in der Beschwerde vertretenen Ansicht gehe es dabei nicht um eine Ausweitung der Schiedsklausel auf weitere eigenständige Verträge, sondern darum, dass die Beklagte die Schiedsklausel in Artikel 9(3) QAA nach Treu und Glauben nicht so hätte verstehen dürfen, dass davon einzig spezifische Aspekte des Lieferverhältnisses erfasst würden. Die Beklagte hätte die Klausel so verstehen müssen, dass die gewählte Form der Streiterledigung für das gesamte Lieferverhältnis gelten sollte.
Das Schiedsgericht habe demnach in korrekter Auslegung von Artikel 9(3) QAA geschlossen, dass mit dem in der Schiedsklausel verwendeten Begriff “Vertragsstreitigkeiten” (“contract disputes”) sämtliche das fragliche Lieferverhältnis betreffende Streitigkeiten — also auch solche betreffend den Bestand einer Lieferverpflichtung — verstanden werden mussten. Dementsprechend wies das Bundesgericht die Beschwerde ab.