2C_113/2017: Vertrieb von Tickets im Hallenstadion Zürich, Verstoss gegen Art. 5 und 7 KG bejaht

Das Bun­des­gericht bestätigte den Entscheid des Bun­desver­wal­tungs­gerichts weit­ge­hend, wonach das von der Aktienge­sellschaft Hal­len­sta­dion (AGH) und der Tick­et­corner AG prak­tizierte Sys­tem im Ver­trieb von Tick­ets für das Hal­len­sta­dion Zürich die Tatbestände von Art. 5 Abs. 1 KG sowie Art. 7 Abs. 2 lit. f KG erfülle.

Die Beurteilung basierte zusam­menge­fasst auf fol­gen­dem Sachver­halt: Die AGH hat­te sich gegenüber Tick­et­corner verpflichtet, sicherzustellen und durchzuset­zen, dass Ver­anstal­ter, welche das Hal­len­sta­dion für einen Anlass mieten, das Tick­et­ing min­destens zu 50% an die AGH über­tra­gen, welch­es dann von Tick­et­corner als Tick­et­ing-Koop­er­a­tionspart­ner der AGH zu Stan­dard­kon­di­tio­nen durchge­führt wird (nach­fol­gend “Tick­et­ing-Koop­er­a­tionsklausel”). Diese Verpflich­tung set­zte die AGH mit­tels ein­er Klausel in ihren all­ge­meinen Geschäfts­be­din­gun­gen um (nach­fol­gend “Tick­et­ingk­lausel”).

Die Weko hat­te das Ver­fahren ursprünglich wegen fehlen­der Mark­t­macht und fehlen­der unzuläs­siger Wet­tbe­werb­sabrede eingestellt. Das Bun­desver­wal­tungs­gericht hob diese Ein­stel­lungsver­fü­gung auf und wies die Sache zur Neubeurteilung im Sinne der Erwä­gun­gen an die Weko zurück.

Das Bun­des­gericht erwog zunächst, in diesem beson­ders gelagerten Fall die selb­ständi­ge direk­te Anfech­tung dieses Zwis­ch­enentschei­ds zuzu­lassen. Dies, weil aus dem Urteil des Bun­desver­wal­tungs­gerichts klar her­vorge­he, dass sowohl eine Ver­let­zung von Art. 5 als auch eine von Art. 7 KG vor­liege. Es bedürfe daher, ent­ge­gen den unklaren Erwä­gun­gen des Bun­desver­wal­tungs­gerichts, kein­er detail­liert­eren Sachver­haltsabklärun­gen mehr. Die unglück­lichen For­mulierun­gen seien wohl vor allem dem Umstand geschuldet, dass die Weko die Sank­tion­ierung noch zu bes­tim­men habe. Mit dem strit­ti­gen Entscheid seien indessen die Tatbe­stand­se­le­mente von Art. 49a Abs. 1 KG erfüllt (E. 1.3).

In materieller Hin­sicht erwog das Bun­des­gericht hin­sichtlich des sach­lich rel­e­van­ten Mark­ts, dass das Hal­len­sta­dion mit seinen unter­schiedlichen Leis­tun­gen nicht nur einen Markt, son­dern mehrere betr­e­ffe. Die Mark­t­ge­gen­seite frage denn auch nicht nach dem Hal­len­sta­dion an sich, son­dern nach diesem in einem bes­timmten Lay­out nach, wolle sie doch einen Dar­bi­etenden für die Durch­führung eines bes­timmten Anlass­es gewin­nen (E. 5.3.3). Für die sach­liche Mark­tab­gren­zung sei vor­liegend von Musik­grossan­lässen i.S.v. Rock- und Pop­konz­erten, welche im Hal­len­sta­dion auf dem Lay­out der Are­na basiere, als Mark­t­ge­gen­stand auszuge­hen (E. 5.3.4). Gestützt auf diesen Umstand erachtete das Bun­des­gericht die fol­gen­den zwei Ele­mente als entschei­dend für die sach­liche Mark­tab­gren­zung: Die Lokalität müsse erstens ein Fas­sungsver­mö­gen von min­destens 7301 Per­so­n­en aufweisen. Zweit­ens müsse die Anlage so beschaf­fen sein, dass Musik­grossan­lässe durchge­führt wer­den kön­nten. Reine Eishock­eysta­di­en sowie Anla­gen, welche Musikan­lässe gar nicht anbi­eten wür­den, kämen damit nicht als Sub­sti­tut in Betra­cht. Entschei­dend dabei sei die Real­ität und nicht die the­o­retis­chen Möglichkeit­en. Dementsprechend wür­den — sach­lich — die Grosshallen Are­na Genf, Pati­noire de Mal­ley, Forum Fri­bourg, St. Jakob­shalle Basel sowie allen­falls die Post­Fi­nance Are­na Bern als Sub­sti­tute in Betra­cht fall­en (E. 5.3.5). Eben­so wenig seien offene Sta­di­en, welche eine grössere Besucher­menge aufnehmen kön­nen, keine Sub­sti­tute. Dies inbeson­dere auf­grund der unter­schiedlichen Kosten, des unter­schiedlichen Aufwands für die Her­stel­lung der Bühne und der Event­tech­nik sowie — mit Bezug auf Fuss­ball­sta­di­en — die kurze zeitliche Ver­füg­barkeit. Das Hal­len­sta­dion werde denn auch ergänzend gebucht, wenn keine “Freiluftkonz­erte” möglich seien (E. 5.3.6.).

Den räum­lich rel­e­van­ten Markt gren­zte das Bun­des­gericht übere­in­stim­mend mit dem Bun­desver­wal­tungs­gericht auf die Sprachre­gion Deutschschweiz ab (die Weko hat­te noch die ganze Schweiz als räum­lich rel­e­van­ten Markt definiert). Dabei stellte das Bun­des­gericht — wie auch das Bun­desver­wal­tungs­gericht — auf den Durch­schnittskon­sumenten bzw. den vernün­ftig durch­schnit­tlichen, hier indi­rek­ten, Nach­frager des Hal­len­sta­dions ab, da die Ver­anstal­ter das Hal­len­sta­dion nicht für sich, son­dern für die End­kon­sumenten, d.h. die Konz­ertbe­such­er, buchen. Entschei­dend sei dabei der Anreiseweg und damit die Erre­ich­barkeit der Lokalität. Anla­gen im (gren­z­na­hen) Aus­land seien dabei für einen vernün­fti­gen durch­schnit­tlichen indi­rek­ten Nach­frager keine val­ablen Sub­sti­tute, da sie etwa zwei Tage für einen Konz­ertbe­such aufwen­den müssten. Angesichts der Reisewege in der Schweiz sei nicht zu bean­standen, dass das Einzugs­ge­bi­et für Ver­anstal­tun­gen des Hal­len­sta­dions auf die Deutschschweiz einge­gren­zt werde (E. 5.4.2).

In dem so definierten Markt verüfge die AGH, so das Bun­des­gericht weit­er, auf­grund ihres ausseror­dentlich hohen Mark­tan­teils von 75% über eine mark­t­be­herrschende Stel­lung. Selb­st wenn gewisse sachver­haltliche Unklarheit­en bestün­den, wäre die “kri­tis­che Schwelle” von 50% jeden­falls bei weit­em über­schrit­ten. Sodann fehle es an der Möglichkeit eines Mark­tein­tritts von poten­tiellen Konkur­renten. Weit­er komme den Ver­anstal­tern keine beson­dere Ver­hand­lungs­macht zu. Grund dafür seien vor­ab die fehlen­den Auswe­ich­möglichkeit­en. In Betra­cht käme lediglich die St. Jakob­shalle, welche allerd­ings in der Real­ität keine wirk­liche Alter­na­tive darstelle. Dass den Ver­anstal­tern keine Ver­hand­lungs­macht zukomme, zeige auch, dass die 50% des Tick­et-Kon­ti­gents sich fak­tisch wie eine 100%-Klausel auswirken wür­den. Schliesslich spreche die beson­dere Funk­tion­al­ität des Hal­len­sta­dions und der ausseror­dentlich gute Stan­dort im Herzen der Deutschschweiz für die mark­t­be­herrschende Stel­lung der AGH (E. 5.5.2).

Sodann bestätigte das Bun­des­gericht, dass die AGH ihre mark­t­be­herrschende Stel­lung durch die Ver­wen­dung der Tick­et­ingk­lausel im Sinne eines Kop­pelungs­geschäfts i.S.v. Art. 7 Abs. 2 lit. f KG miss­braucht habe. Erstens seien der Geschäfts­ge­gen­stand der Ver­anstal­tungslokalität und der­jenige des Tick­et­ings offen­sichtlich unter­schiedliche Pro­duk­te, welche für einen unter­schiedlichen Bedarf konzip­iert seien und für welche eigene Märk­te mit ein­er eige­nen Nach­frage beste­hen wür­den. Zweit­ens habe die AGH durch die Ver­wen­dung der Tick­et­ingk­lausel gegenüber Ver­anstal­tern als Mark­t­ge­gen­seite das Haupt­pro­dukt (die Ver­mi­etung von Ver­anstal­tungslokalitäten im Hal­len­sta­dion) mit einem sach­lich nicht zusam­men­hän­gen­den Zusatzpro­dukt (der Pflicht, 50% aller Tick­ets der jew­eili­gen Ver­anstal­tung über Tick­et­corner zu vertreiben) verknüpft. Der Tatbe­stand eines Kop­pelungs­geschäfts sei grund­sät­zlich vol­len­det, wenn das Haupt­geschäft mit der Verpflich­tung zur Abnahme des Zusatzgeschäfts vere­in­bart werde. Dies tre­ffe vor­liegend offen­sichtlich zu, weshalb offen gelassen wer­den könne, ob auch der in der Lit­er­atur vertrete­nen Auf­fas­sung, dass ein tat­säch­lich­er Abschluss nicht notwendig sei, gefol­gt wer­den könne. Drit­tens führe auch das strit­tige Kop­pelungs­geschäft zu nachteili­gen Wet­tbe­werb­sef­fek­ten: Zum einen wür­den die Ver­anstal­ter aus­ge­beutet, weil deren Auswahl­frei­heit hin­sichtlich des von ihnen gewün­scht­en Tick­et­ing­part­ners eingeschränkt werde. Zum anderen seien Kop­pelungsverträge miss­bräuch­lich, wenn die für das Kop­pelung­spro­dukt beherrschende AGH mit Hil­fe ihrer Stel­lung den Wet­tbe­werb auf dem Markt für das gekop­pelte Pro­dukt (d.h. Tick­et­ing) auss­chalte oder beschränke (Hebel­wirkung). Dass die AGH auf dem Markt für Tick­etver­trieb nicht tätig sei, spiele daher keine Rolle. Viertens seien keine Rechts­fer­ti­gungs­gründe erkennbar (E. 6.2.3). Den von den Beschw­erde­führerin vorge­bracht­en Argu­menten könne, so das Bun­des­gericht, nicht gefol­gt wer­den. Ein­er­seits hät­ten keine Abwe­ichun­gen der all­ge­meinen Geschäfts­be­din­gun­gen belegt wer­den kön­nen; es wür­den offen­sichtlich keine solchen existieren. Auch wenn sodann der Ver­anstal­ter für 50% der Tick­ets frei sei, diese selb­st oder durch andere Unternehmen zu vertreiben, werde seine Hand­lungs­frei­heit durch das Kop­pelungs­geschäft wesentlich eingeschränkt. Sofern der Tick­etver­trieb zudem nur durch ein einziges Tick­etver­trieb­sun­ternehmen erfol­gen solle, komme dafür nur die Tick­et­corner in Betra­cht. Das Bun­desver­wal­tungs­gericht habe sodann nachvol­lziehbar und sachver­haltlich willkür­frei fest­gestellt, dass die Ver­anstal­ter auf­grund der fehlen­den Kon­nex­ität der ver­schiede­nen Tick­et­sys­teme, der Kom­plex­ität der Sys­teme und der daraus fol­gen­den Fehler­an­fäl­ligkeit und des Zusatza­ufwands auf mehrere Tick­etver­trieb­sun­ternehmen verzicht­en und den Tick­etver­trieb bloss durch ein einziges Unternehmen vornehmen lassen wür­den. Die 50%-Klausel wirke somit in den aller­meis­ten Fällen wie eine 100%-Klausel und der gesamte Tick­etverkauf liege fak­tisch in den Hän­den der Tick­et­corner (E. 6.2.4).

Weit­er bestätigte das Bun­des­gericht, dass die zwis­chen der AGH und Tick­et­corner vere­in­barte Tick­et­ing-Koop­er­a­tionsklausel eine unzuläs­sige erhe­bliche Wet­tbe­werb­s­beschränkung i.S.v. Art. 5 Abs. 1 KG darstelle. Sowohl auf dem Markt für Lokalitäten für Musik­grossan­lässe von Rock- und Pop­konz­ern­ten als auch auf dem Markt für Tick­et­ing habe die Abrede auf­grund der Summe der qual­i­ta­tiv­en und quan­ti­ta­tiv­en Aspek­te die Erhe­blichkeitss­chwelle über­schrit­ten. Ob dies bere­its auf­grund des qual­i­ta­tiv­en Aspek­ts für sich genom­men der Fall wäre, könne offen bleiben. Art. 5 Abs. 1 KG ver­lange, in Anlehnung an die Erwä­gun­gen in den Gaba-Urteilen, nur eine Erhe­blichkeit. Quan­ti­ta­tive und qual­i­ta­tive Erhe­blichkeit wür­den sich wie zwei kom­mu­nizierende Röhren ver­hal­ten, wobei qual­i­ta­tive Kri­te­rien vor­rangig seien. Mit Bezug auf das qual­i­ta­tive Ele­ment erwog das Bun­des­gericht, dass die vere­in­barte 50%-Klausel (bzw. deren Umset­zung in den AGB der AGH) fak­tisch wie eine 100%-Klausel wirke. Es sei offen­sichtlich, dass mit dieser Tick­et­ing-Koop­er­a­tionsklausel andere Tick­et­ing-Anbi­eter vom Markt fer­nge­hal­ten bzw. aus­geschlossen wer­den soll­ten. Dieses qual­i­ta­tive Ele­ment sei indessen nicht der­art gewichtig, dass auf eine quan­ti­ta­tive Bes­tim­mung der Erhe­blichkeit verzichtet wer­den könne. Hin­sichtlich des quan­ti­ta­tiv­en Aspek­ts ver­wies das Bun­des­gericht auf BGE 129 II 81, E. 5.2.1, wo es obiter dic­tum erwäh­nt habe, dass in Anlehnung an die Prax­is der EU bei einem Mark­tan­teil von etwa 5–10% die Schwelle für das Vor­liegen ein­er Erhe­blichkeit erre­icht sei. Die AGH habe auf dem Markt für Lokalitäten von Musik­grossan­lässen von Rock- und Pop­konz­erten einen Mark­tan­teil von 75%. Auf dem Markt für Tick­et­ing weise die CTS-Gruppe bei der Über­nahme der Tick­et­corner einen Mark­tan­teil von rund 60% aus. Den Erwä­gun­gen des Bun­desver­wal­tungs­gerichts, wonach die Beurteilung der von der Weko vorgenomme­nen Kor­rek­turen offen­ge­lassen wer­den könne, da eine Addierung des von der Weko fest­gestell­ten quan­ti­ta­tiv­en Aspek­ts von unter 10% mit dem qual­i­ta­tiv­en Aspekt ins­ge­samt ergebe, dass die Erhe­blichkeitss­chwelle über­schrit­ten sei, sei daher zuzus­tim­men (E. 7.3.3).

Das Bun­desver­wal­tungs­gericht hat­te schliesslich erwogen, dass die Tick­et­ing-Koop­er­a­tionsklausel und der sich daraus ergebende Ein­satz der Tick­et­ingk­lausel eine unzuläs­sige Beschränkung des Wet­tbe­werbs i.S.v. Art. 7 KG darstelle, da  Tick­et­corner auf den rel­e­van­ten Märk­ten des Tick­et­ings mark­be­herrschend sei und diese Stel­lung miss­brauche, indem sie andere Unternehmen bei der Auf­nahme oder Ausübung des Wet­tbe­werbs behin­dere oder die Mark­t­ge­gen­seite benachteiligt habe, ohne dass Recht­fer­ti­gungs­gründe vor­liegen wür­den. Dies­bezüglich hies das Bun­des­gericht die Beschw­erde gut. Das Bun­desver­wal­tungs­gericht habe sich hin­sichtlich dieser Frage auf keine Sachver­halts­fest­stel­lun­gen, erhobe­nen Dat­en und Aus­führun­gen der Weko abstützen kön­nen. Vielmehr hätte die Weko eine solche Ver­let­zung über­haupt nicht geprüft, weshalb entsprechende Dat­en fehlen wür­den (E. 8.3).

Die Weko werde nun die Ver­fü­gung der entsprechen­den Ver­wal­tungssank­tio­nen nachzu­holen haben. Hin­sichtlich ein­er unzuläs­si­gen Ver­hal­tensweise der Tick­et­corner AG seien, so das Bun­des­gericht, weit­ere Abklärun­gen vorzunehmen (E. 10.2).