4A_85/2020: Säumnis im vereinfachten Verfahren (amtl. Publ.)

In diesem Urteil entsch­ied das Bun­des­gericht die bis­lang noch nicht höch­strichter­lich gek­lärte Rechts­frage von grund­sät­zlich­er Bedeu­tung, wie das Gericht im Rah­men eines vere­in­facht­en Ver­fahrens bei Säum­nis der beklagten Partei vorge­hen müsse. Bleibt die beklagte Partei im vere­in­facht­en Ver­fahren der Ver­hand­lung nach Art. 245 Abs. 1 ZPO unentschuldigt fern, sei, so das Bun­des­gericht, nicht in analoger Anwen­dung von Art. 223 Abs. 1 ZPO zu einem neuen Gericht­ster­min vozu­laden. Vielmehr könne das Gericht gestützt auf Art. 234 Abs. 1 ZPO fort­fahren, die Ver­hand­lung in Abwe­sen­heit der säu­mi­gen beklagten Partei durch­führen und einen Sachentscheid fällen.

In casu wurde die Ver­mi­eterin zur Hauptver­hand­lung vorge­laden, nach­dem der kla­gende Mieter eine Klage im vere­in­facht­en Ver­fahren mit­tels For­mu­lar gemäss Art. 400 Abs. 2 ZPO ein­geleit­et hat­te. Da die Klage keine den Anforderun­gen von Art. 221 ZPO genü­gende Begrün­dung enthielt, ver­fuhr das Bezirks­gericht nach Art. 245 Abs. 1 ZPO und lud die Parteien gle­ich zur Ver­hand­lung vor.

Das Bun­des­gericht ver­wies zunächst auf die in der Lehre und kan­tonalen Prax­is vertrete­nen Auf­fas­sun­gen. Gemäss der einen Mei­n­ung sei in dieser Sit­u­a­tion Art. 234 Abs. 1 ZPO anzuwen­den, mithin müsse nicht zu ein­er weit­eren Ver­hand­lung vorge­laden wer­den. Gemäss ander­er Mei­n­ung müsse Art. 223 Abs. 1 ZPO ana­log angewen­det wer­den. Über­tra­gen auf das vere­in­fachte Ver­fahren bedeute dies, dass bei unentschuldigter Abwe­sen­heit der beklagten Partei ein zweites Mal vorzu­laden sei (E. 2.2).

Sodann wies das Bun­des­gericht auf die grund­sät­zlich stren­gen Säum­n­is­fol­gen gemäss Art. 147 ZPO hin, welche dem Umstand Rech­nung tra­gen wür­den, dass die Parteien im Zivil­prozess regelmäs­sig ein unter­schiedlich gross­es Inter­esse an der gerichtlichen Beurteilung ihres Stre­its hät­ten. Diese Säum­n­is­fol­gen wür­den ver­hin­dern, dass eine Partei, typ­is­cher­weise die beklagte, das Ver­fahren zu Las­ten der Gegen­partei verzögern könne (E. 2.3). Sodann bezwecke, so das Bun­des­gericht, das vere­in­fachte Ver­fahren einen gegenüber dem ordentlichen Ver­fahren beschle­u­nigten Rechtsweg. Diesem vom Geset­zge­ber gewoll­ten Zweck sowie der daraus resul­tieren­den Vor­gabe gemäss Art. 246 Abs. 1 ZPO würde es indessen offen­sichtlich zuwider­laufen, wenn bei unentschuldigtem Nichter­scheinen der beklagten Partei zur Ver­hand­lung nach Art. 245 Abs. 1 ZPO neu vorge­laden wer­den müsste. Vielmehr trage es zur angestrebten Ver­fahrens­beschle­u­ni­gung bei, wenn in diesem Fall direkt die Säum­n­is­fol­gen ein­treten wür­den (E. 2.4).

Dem in der Lehre vorge­bracht­en Ein­wand, ein Vorge­hen nach Art. 234 Abs. 1 ZPO wider­spreche der Absicht des Geset­zge­bers, wonach das vere­in­fachte Ver­fahren auch der schwächeren Partei gerecht wer­den müsse, könne — so das Bun­des­gericht — nicht gefol­gt wer­den. Die Erle­ichterun­gen bei der Prozess­führung (weit­ge­hende Mündlichkeit, richter­liche Hil­festel­lung bei der Sachver­halt­ser­mit­tlung) wür­den nur greifen, wenn die Parteien zur Ver­hand­lung erscheinen. Auch von ein­er recht­sunkundi­gen und nicht anwaltlich vertrete­nen Partei könne indessen ohne Weit­eres erwartet wer­den, dass sie ein­er rechtzeit­ig und in vorgeschrieben­er Form zugestell­ten Vor­ladung zu einem Gericht­ster­min Folge leiste. Die Rück­sicht­nahme auf die schwächere Partei ver­lange nicht, dass im Falle der Säum­nis erneut zur Ver­hand­lung vorge­laden werde (E. 2.5).

Mehrere Autoren weisen sodann darauf hin, dass sich die beklagte Partei im vere­in­facht­en Ver­fahren an der Ver­hand­lung nach Art. 245 Abs. 1 ZPO zum ersten Mal über­haupt zur Klage äussern könne. Demge­genüber erhalte die säu­mige beklagte Partei im ordentlichen Ver­fahren gestützt auf Art. 223 ZPO eine zweite Chance. Aus dieser Bes­tim­mung, so das Bun­des­gericht, könne indessen nicht abgeleit­et wer­den, dass die beklagte Partei im Zivil­ver­fahren generell Anspruch darauf hätte, eine allfäl­lige Säum­nis bei ihrer ersten Äusserungsmöglichkeit ohne Recht­snachteile beheben zu kön­nen. Im Gegen­teil habe das Bun­des­gericht mit Bezug auf Recht­söff­nungsver­fahren entsch­ieden, dass dem Betriebe­nen bei ver­säumter Stel­lung­nahme keine Nach­frist anzuset­zen sei. Die im Gesetz vorge­se­hene Beschle­u­ni­gung des Recht­söff­nungsver­fahrens bedinge es, die Rechte des Gesuchs­geg­n­ers in dieser Sit­u­a­tion enger zu fassen als im ordentlichen Zivil­ver­fahren und daher Art. 223 ZPO nicht anzuwen­den. Dies müsse auch für den hier zu beurteilen­den Fall gel­ten. Die Vor­ladung zu ein­er neuen mündlichen Ver­hand­lung habe im Gegen­satz zur Nach­frist für eine schriftliche Eingabe nicht nur eine Ver­fahrensverzögerung zur Folge, son­dern bedeute auch, dass das Gericht einen weit­eren Ter­min fes­tle­gen und frei­hal­ten müsse. Sodann müsse auch die anwe­sende Partei erneut vor Gericht erscheinen. Dass aber eine Partei dem Gericht und der Gegen­partei durch ihre Säum­nis einen solchen Aufwand verur­sachen könne, wider­spreche dem Sinn und Zweck des vere­in­facht­en Ver­fahrens (E. 2.6).