4A_416/2019: Schlichtungsverfahren, Teilnahmepflicht des Klägers auch bei vorgängiger Mitteilung des Beklagten, er werde an der Schlichtungsverhandlung nicht erscheinen (amtl. Publ.)

Das Bun­des­gericht entsch­ied in diesem Urteil, dass die Schlich­tungs­be­hörde am bere­its fest­ge­set­zten Ter­min festzuhal­ten und die Parteien allen­falls erneut auf die Erschei­n­ungspflicht aufmerk­sam zu machen habe, wenn der Beklagte ihr gegenüber vor­ab erk­läre, an der ein­berufe­nen Schlich­tungsver­hand­lung nicht teilzunehmen. Die Schlich­tungs­be­hörde dürfe den Kläger in diesem Fall nicht von der Schlich­tungsver­hand­lung dis­pen­sieren und der Kläger habe trotz Mit­teilung des Beklagten, er werde nicht kom­men, an der Ver­hand­lung teilzunehmen, allen­falls einzig um die Klage­be­wil­li­gung abzuholen.

Hin­ter­grund war ein Schlich­tungsver­fahren, in welchem der Rechtsvertreter des Beklagten dem Frieden­srichter mit­geteilt hat­te, dass wed­er der Beklagte noch er selb­st an der Frieden­srichter­ver­hand­lung teil­nehmen werde. Dieses Schreiben stellte der Frieden­srichter dem Recht­san­walt des Klägers zu. Dieser beantragte daraufhin, sein Man­dant und er seien vom per­sön­lichen Erscheinen an der Schlich­tungsver­hand­lung zu dis­pen­sieren und es sei ihm ohne Ver­hand­lung direkt eine Klage­be­wil­li­gung auszustellen. Der Frieden­srichter erteilte dem Kläger die Klage­be­wil­li­gung und ver­fügte dabei aus­drück­lich, dass dem Kläger “ohne durchge­führte Schlich­tungsver­hand­lung die Klage­be­wil­li­gung erteilt” werde.

Das Bezirks­gericht trat auf die in der Folge ein­gere­ichte Klage man­gels gültiger Klage­be­wil­li­gung nicht ein. Das Oberg­ericht wies die gegen diesen Entscheid erhobene Beru­fung ab. Es erwog, dass keine in der ZPO enthal­tene Aus­nah­mebes­tim­mung greife, namentlich kein gemein­samer Verzicht auf das Schlich­tungsver­fahren gestützt auf Art. 199 Abs. 1 ZPO vor­liege. Der Kläger stellte sich demge­genüber auf den Stand­punkt, dass sich der Beklagte ein­seit­ig nicht auf das Schlich­tungsver­fahren ein­ge­lassen habe. Die beklagte Partei müsse ein Recht darauf haben, sich auf ein unnötiges und unnützes Schlich­tungsver­fahren nicht einzu­lassen. In der Lehre werde für diesen Fall vertreten, dass die Schlich­tungsver­hand­lung aus Grün­den der Prozessökonomie nicht durchge­führt wer­den müsse und der kla­gen­den Partei die Klage­be­wil­li­gung per Post zugestellt wer­den könne.

Vor Bun­des­gericht verf­ing diese Argu­men­ta­tion indes nicht. Das Bun­des­gericht ver­wies ins­beson­dere auf den, in der Botschaft zum Aus­druck gebracht­en his­torischen Willen des Geset­zge­bers (E. 4.1.2), eine bloss beschränk­te Verzichtsmöglichkeit betr­e­f­fend das Schlich­tungsver­fahren zuzu­lassen, weshalb grund­sät­zlich die Schlich­tungspflicht gelte (E. 4.1.3). Die Parteien kön­nten bei ver­mö­gen­srechtlichen Stre­it­igkeit­en erst ab einem Stre­itwert von CHF 100’000 gemein­sam auf das Schlich­tungsver­fahren verzicht­en. Im Umkehrschluss hät­ten die Parteien bei einem Stre­itwert unter dieser Gren­ze, unter Vor­be­halt der geset­zlichen Aus­nah­men von Art. 198 und Art. 199 Abs. 2 ZPO, in jedem Fall ein Schlich­tungsver­fahren durchzuführen, auch wenn sie dies gemein­sam nicht wollen. Wie sin­nvoll es sei, eine Schlich­tungsver­hand­lung durchzuführen, die bei­de Parteien nicht wollen und nicht als nutzvoll eracht­en wür­den, sei eine Frage, welche der Geset­zge­ber entschei­den müsse und habe (E. 4.1.4).

Vor­liegend, so das Bun­des­gericht weit­er, hät­ten die Parteien nicht auf das Schlich­tungsver­fahren, son­dern übere­in­stim­mend auf die Schlich­tungsver­hand­lung verzichtet (E. 4.2.1). Das Schlich­tungsver­fahren beste­he aber im Wesentlichen aus der Schlich­tungsver­hand­lung. W¨rden die Parteien der Schlich­tungs­be­hörde nach der Ein­leitung des Schlich­tungsver­fahrens übere­in­stim­mend mit­teilen, sie woll­ten nicht an der Schlich­tungsver­hand­lung teil­nehmen, komme dies einem gemein­samen Verzicht auf das Schlich­tungsver­fahren gle­ich, was bei einem Stre­itwert unter CHF 100’000 aus­geschlossen sei. Andern­falls kön­nten die Parteien das vom Geset­zge­ber vorge­se­hene Schlich­tung­soblig­a­to­ri­um unter­laufen. Dieser Verzicht der Parteien beruhe in aller Regel einzig auf deren Auf­fas­sung, dass ihnen eine Schlich­tungsver­hand­lung nichts bringe. Bei ein­er Stre­it­igkeit von unter CHF 100’000 sei aber diese Entschei­dung der Pri­vatau­tonomie der Parteien ent­zo­gen (E. 4.2.2.). Erk­lärt der Beklagte, er werde an der Schlich­tungsver­hand­lung nicht teil­nehmen, dürfe die Schlich­tungs­be­hörde somit den Kläger nicht von der Schlich­tungsver­hand­lung dis­pen­sieren (E. 4.2.3.).

Auch die in der Lehre vertrete­nen Auf­fas­sun­gen überzeugten das Bun­des­gericht nicht. Vielmehr habe es der Kläger hinzunehmen, dass er, nicht aber der Beklagte, an der Schlich­tungsver­hand­lung teil­nehmen müsse, wenn er die Klage­be­wil­li­gung erhal­ten wolle. Insoweit sei der Kläger, der die Klage gegen den Beklagten ein­leit­ete, zu ein­er Fahrt zur Schlich­tungs­be­hörde gezwun­gen, auch wenn der Beklagte vorgängig mit­teilte, er werde an der Ver­hand­lung nicht erscheinen (E. 4.3.2). Eben­so wenig greife die Auf­fas­sung, die Rüge eines säu­mi­gen Beklagten, wonach eine Schlich­tungsver­hand­lung nicht richtig durchge­führt wor­den wäre, sei rechtsmiss­bräuch­lich. Vielmehr müsse das Gericht das Vor­liegen ein­er gülti­gen Klage­be­wil­li­gung von Amtes wegen über­prüfen (E. 4.4.2). Schliesslich könne der Ansicht nicht gefol­gt wer­den, wonach die Teil­nahme des Klägers an der Schlich­tungsver­hand­lung nicht ver­langt wer­den könne, wenn von vorn­here­in fest­ste­he, dass die Schlich­tungsver­hand­lung nicht durchge­führt und deren Zweck damit nicht erre­icht wer­den könne. Zwar möge es aus der Sicht des Klägers unbe­friedi­gend erscheinen, an der Schlich­tungsver­hand­lung teilzunehmen, obschon der Beklagte vor­ab mit­teilte, er werde nicht erscheinen. Ist der Beklagte an der Ver­hand­lung nicht anwe­send, könne eine Aussprache zwis­chen den Parteien und damit der Zweck des Schlich­tungsver­fahrens nicht mehr erre­icht wer­den. Ob aber ein per­sön­lich­es Gespräch zwis­chen den Parteien an der Schlich­tungsver­hand­lung stat­tfind­en könne, ergebe sich erst an der Ver­hand­lung. Erst dann werde mit let­zter Sicher­heit klar, ob der Beklagte nicht doch zur Ver­hand­lung erscheine (E. 4.4.3).