2C_1060/2017: öffentliches Beschaffungsrecht, subjektiver Geltungsbereich (amtl. Publikation)

Das Bun­des­gericht bejahte in diesem Urteil, dass eine von ein­er Gemeinde gegrün­dete pri­va­trechtliche Stiftung für den Bau von Sozial­woh­nun­gen als Ein­rich­tung des öffentlichen Rechts unter den sub­jek­tiv­en Gel­tungs­bere­ich des öffentlichen Beschaf­fungsrechts falle.

Zum Hin­ter­grund dieses Ver­fahrens: Die pri­va­trechtliche Fon­dazione Focus di Arbe­do-Cas­tione ist eine von der Tessin­er Gemeinde Arbe­do-Cas­tione gegrün­dete Stiftung. Gemäss Han­del­sreg­is­ter bezweckt die Stiftung die Real­isierung und Ver­wal­tung von Sozial­woh­nun­gen und Woh­nun­gen für ältere Men­schen und/oder Behin­derte (bei­de mit einem gewis­sen Grad der Selb­stver­sorgung), zu mod­er­at­en Miet­zin­sen, allerd­ings im Wesentlichen selb­st­fi­nanziert. Auf Auf­forderung der Stiftung hin unter­bre­it­eten drei Unternehmen (A. SA, B. SA und C. SA) je ein Ange­bot als Gen­er­alun­ternehmer für den Bau eines Mehrfam­i­lien­haus­es. In den Auss­chrei­bung­sun­ter­la­gen wurde darauf hingewiesen, dass es darum gehe, Struk­turen von öffentlichem Inter­esse zu schaf­fen, indem andere in diesem Sek­tor tätige Insti­tu­tio­nen mit ein­be­zo­gen wer­den. Der Auf­trag werde unter Berück­sich­ti­gung der Kri­te­rien “Wirtschaftlichkeit — Preis”, “Qual­ität des Pro­jek­ts”, “Qual­ität des Unternehmens”, “Fris­ten — Ter­mine” (sowie jew­eils mit Unterkri­te­rien) vergeben. Schliesslich wurde fest­ge­hal­ten, dass dieses Pro­jekt nicht dem öffentlichen Beschaf­fungsrecht unter­ste­he, da als Auf­tragge­berin eine pri­va­trechtliche Stiftung handle.

Nach­dem die drei Unternehmen ihre Ange­bote ein­gere­icht hat­ten, bew­ertete die Stiftung diese und gelangte zu fol­gen­der Ran­gliste: Den 1. Platz belegte die C. SA, gefol­gt von der A. SA und der B. SA. Anlässlich ein­er Sitzung äusserte der Stiftungsrat indessen seine Präferenz für das Pro­jekt der drittplatzierten B. SA. Da deren Preis als zu hoch betra­chtet wurde, kam es zu Nachver­hand­lun­gen, in welchen mit­geteilt wurde, dass der Auf­trag anson­sten der C. SA erteilt wer­den müsse. Schlussendlich kon­nte mit der B. SA eine Eini­gung erzielt wer­den, woraufhin die Stiftung die anderen Unternehmen schriftlich darüber informierte, dass sie das Pro­jekt mit der B. SA real­isieren werde.

Die A. SA gelangte daraufhin an das Ver­wal­tungs­gericht des Kan­tons Tessin und beantragte die Aufhe­bung dieses Entschei­ds. Im Wesentlichen machte die A. SA gel­tend, die Stiftung unter­liege dem öffentlichen Beschaf­fungsrecht und hätte ein offenes Ver­gabev­er­fahren durch­führen müssen. Das Ver­wal­tungs­gericht hiess die Beschw­erde gut und das Bun­des­gericht wies die von der Stiftung ein­gere­ichte Beschw­erde ab.

Zu den Erwä­gun­gen: Zunächst bejahte das Bun­des­gericht das Vor­liegen ein­er Rechts­frage von grund­sät­zlich­er Bedeu­tung i.S.v. Art. 83 lit. f BGG, näm­lich der Frage, ob eine von ein­er Gemeinde für den Bau von Sozial­woh­nun­gen gegrün­dete pri­va­trechtliche Stiftung, als Ein­rich­tung des öffentlichen Rechts i.S.v. Art. 8 Abs. 1 lit. a IVöB zu qual­i­fizieren sei, die in den sub­jek­tiv­en Gel­tungs­bere­ich des öffentlichen Beschaf­fungsrechts falle. Diese Frage sei bis­lang unbeant­wortet geblieben und stelle sich in der Prax­is in ein­er Rei­he ähn­lich­er Fälle. Entsprechend liess das Bun­des­gericht die Beschw­erde in öffentlich-rechtlich­er Angele­gen­heit zu (E. 1.2.2).

Sodann erin­nerte das Bun­des­gericht daran, dass Art. 8 Abs. 1 IVöB der Umset­zung staatsver­traglich­er Verpflich­tun­gen aus dem GPA in das kan­tonale Recht diene. Die Ausle­gung dieser Bes­tim­mung habe fol­glich gestützt auf das GPA, genauer auf Fuss­note 1 Annex 3 Anhang 1 GPA zu erfol­gen, wobei auch auf die Prax­is zur entsprechen­den EU-Richtlin­ie (Art. 1 Abs. 9 der Richtlin­ie 2004/18/EG respek­tive neu Art. 2 Abs. 1 4. Lem­ma der Richtlin­ie 2014/14/EU) Bezug genom­men wer­den solle. Als “Ein­rich­tung des öffentlichen Rechts” im Sinne dieser Vorschriften gelte, so das Bun­des­gericht, jede Ein­rich­tung, die (1) zu dem beson­deren Zweck gegrün­det wor­den sei, im All­ge­mein­in­ter­esse liegende Auf­gaben nicht gewerblich­er Art zu erfüllen, (2) Rechtsper­sön­lichkeit besitze, (3) über­wiegend vom Staat, von Gebi­et­skör­per­schaften oder von anderen Ein­rich­tun­gen des öffentlichen Rechts finanziert oder von diesen kon­trol­liert werde oder deren Verwaltungs‑, Leitungs- oder Auf­sicht­sor­gan mehrheitlich aus Mit­gliedern beste­he, die vom Staat, von Gebi­et­skör­per­schaften oder von anderen Ein­rich­tun­gen des öffentlichen Rechts ernan­nt wor­den seien (E. 4.1). Vor­liegend war das Vor­liegen der ersten und drit­ten Voraus­set­zung umstritten.

Ad (1) Grün­dung zum Zweck, im All­ge­mein­in­ter­esse liegende Auf­gaben nicht gewerblich­er Art zu erfüllen: Diese Voraus­set­zung umfasse, so das Bun­des­gericht in Bestä­ti­gung sein­er Recht­sprechung, kumu­la­tiv (a) die Grün­dung zu beson­derem Zweck, (b) die im All­ge­mein­in­ter­esse liegende Auf­gabe und © der nicht­gew­er­liche Charak­ter ihrer Erfül­lung. Das Bun­des­gericht erachtete sämtliche Tatbe­stand­se­le­mente als gegeben. Die Stiftung sei zum Zweck der Errich­tung ein­er bes­timmten Wohnan­lage gegrün­det wor­den (E. 4.2.1). Das zweite Ele­ment sei in einem weit­en Sinn zu ver­ste­hen, welch­es über die streng dem Staat vor­be­hal­te­nen Auf­gaben hin­aus­ge­he und alle Tätigkeit­en umfasse, die ein kollek­tives Inter­esse ver­fol­gen und auf die Gesellschaft aus­gerichtet seien. Unter Ver­weis auf die Prax­is des EuGH erwog das Bun­des­gericht ins­beson­dere, dass unter dieses All­ge­mein­in­ter­esse auch der Bau von Sozial­woh­nun­gen für einkom­menss­chwache Per­so­n­en und Fam­i­lien gehöre (E. 4.2.2.1). Entsprechend gehöre auch der Bau von Woh­nun­gen für ältere und behin­derte Men­schen zu den sozialpoli­tis­chen Zie­len, welche in Art. 41 BV fest­gelegt und im Tessin durch das “legge del 30 novem­bre 2010 con­cer­nente il pro­movi­men­to, il coor­di­na­men­to e il finanzi­a­men­to delle attiv­ità a favore delle per­sone anziane” umge­set­zt wor­den seien (E. 4.2.2.2). Entsprechend sei das Ver­wal­tungs­gericht zu Recht zum Schluss gekom­men, dass — anders als es die Stiftung gerügt hat­te — unab­hängig davon, ob eine aus­drück­liche geset­zliche Del­e­ga­tion beste­he, der Bau von alters- und behin­derten­gerecht­en Wohn­häusern durch die Grün­dung ein­er pri­va­trechtlichen Stiftung im All­ge­mein­in­ter­esse liege (E. 4.2.2.3). Schliesslich sei auch der nicht­gewerbliche Charak­ter gegeben. Dieser müsse, so das Bun­des­gericht, unter Berück­sich­ti­gung der Struk­tur und der beson­deren Merk­male des Mark­tes, auf dem die Ein­rich­tung tätig sei, und der Art und Weise, wie sie ver­wal­tet werde, geprüft wer­den. Erneut unter Ver­weis auf die Recht­sprechung des EuGH erwog das Bun­des­gericht, dass der Begriff so auszule­gen sei, dass er den Zie­len des öffentlichen Beschaf­fungsrechts gerecht werde, welch­es unter anderem sich­er­stellen solle, dass öffentliche Aufträge nicht unter diskri­m­inieren­den und unwirtschaftlich­er Weise vergeben wer­den. Die Möglichkeit, so das Bun­des­gericht weit­er, als pri­vates Wirtschaftssub­jekt aufzutreten, set­ze eine Konkur­ren­zsi­t­u­a­tion zu Pri­vat­en auf funk­tion­ieren­den Märk­ten voraus und müsse in jedem Einzelfall geprüft wer­den. Dabei sei beispiel­sweise auch denkbar, dass auf einem bes­timmten Markt tat­säch­lich Wet­tbe­werb herrsche, der sich jedoch nicht im Ver­hal­ten der öffentlichen Ein­rich­tung in Bezug auf ihre Einkäufe wider­spiegle (E. 4.2.3.1). Im vor­liegen­den Fall verfin­gen die Argu­mente der Stiftung, welche gel­tend machte, sie han­dle dur­chaus in ein­er Konkur­ren­zsi­t­u­a­tion, nicht. Das Bun­des­gericht wies ins­beson­dere darauf hin, dass die Gemeinde die fragliche, ad hoc gegrün­dete Stiftung nicht dergestalt aus­ges­tat­tet hätte, dass diese sämtliche mit ihrer Tätigkeit ver­bun­de­nen wirtschaftlichen Risiken selb­st tra­gen müsse. Vielmehr sei die Stiftung gegrün­det wor­den, um ver­schiedene, in diesem Sek­tor tätige Insti­tu­tio­nen mit einzubeziehen (E. 4.2.3.2–4.2.3.3). Die Stiftung sei somit, so das Bun­des­gericht, mit eigen­er Rechtsper­sön­lichkeit geschafften wor­den, um eine im All­ge­mein­in­ter­esse liegende Auf­gabe nicht (oder zumin­d­est nicht über­wiegend) gewerblich­er Art zu erfüllen. Sie geniesse eine Rei­he von finanziellen Vorteilen und sei nicht in der Lage, als pri­vates Wirtschaftssub­jekt zu han­deln. Bei der Ver­gabe ihrer Aufträge werde die Stiftung daher nicht zu einem unternehmerischen Ver­hal­ten nach rein ökonomis­ch­er Logik ver­an­lasst (E. 4.2.4).

Ad (3) Staats­ge­bun­den­heit: Mit Bezug auf diese Voraus­set­zung schützte das Bun­des­gericht die Erwä­gun­gen des Ver­wal­tungs­gerichts, wonach der Stiftungsrat als das über­ge­ord­nete Organ, das für die Ver­wal­tung der Stiftung ver­ant­wortlich sei, voll­ständig aus Mit­gliedern beste­hen würde, die von der Ver­wal­tung der Gemeinde Arbe­do-Cas­tione ernan­nt wür­den. Die Gemeinde habe das Recht, drei Vertreter in den Stiftungsrat zu bestellen und ernenne die anderen vier Mit­glieder auf Vorschlag der Pfar­rei Cas­tione (zwei Mit­glieder) sowie von zwei anderen Insti­tu­tio­nen (je ein Mit­glied). Ungeachtet der Tat­sache, dass vier von sieben Mit­glieder von anderen Gremien als der Gemein­de­v­er­wal­tung vorgeschla­gen wür­den, entste­he ein sehr enges Abhängigkeitsver­hält­nis. Selb­st wenn, so das Ver­wal­tungs­gericht und diesem fol­gend das Bun­des­gericht, davon auszuge­hen sei, dass die Gemeinde tat­säch­lich lediglich drei Mit­glieder des Stiftungsrats direkt ernen­nen dürfe, sei zu berück­sichti­gen, dass die Pfar­rei als eine Kör­per­schaft des öffentlichen Rechts mit Rechtsper­sön­lichkeit des öffentlichen Rechts zwei weit­ere Stiftungsratsmit­glieder vorschlage. Eine Mehrheit von fünf Mit­glieder des Leitung­sor­gans der Stiftung werde damit von der öffentlichen Kör­per­schaft ernan­nt (E. 4.3.1). Die Rügen der Stiftung überzeugten dage­gen nicht. Ent­ge­gen deren Ansicht werde, so das Bun­des­gericht, die Staats­ge­bun­den­heit nicht durch den im konkreten Fall unmit­tel­bar aus­geübten Ein­fluss bes­timmt, son­dern durch die blosse Möglichkeit, Entschei­dun­gen durch den Ein­bezug nichtwirtschaftlich­er Erwä­gun­gen in der Auf­tragsver­gabe zu bee­in­flussen und damit den Wet­tbe­werb zu ver­fälschen. Nach dem Wort­laut von Fuss­note 1 Annex 3 Anhang 1 GPA könne ein solch­er Ein­fluss auch aus­geübt wer­den, wenn die Mehrheit der Stim­men auf mehrere ver­schiedene öffentliche Ein­rich­tun­gen und Ein­rich­tun­gen des öffentlichen Rechts — vor­liegend die Gemeinde und die Pfar­rei — verteilt sei. Dies ungeachtet der Tatsche, dass das wirk­same Funk­tion­ieren dieser Mehrheit eine interne Vere­in­barung zwis­chen den Ein­rich­tun­gen voraus­set­ze, denn die Möglichkeit ein­er solchen Vere­in­barung reiche aus (E. 4.3.2).