4A_536/2020: Tragweite von Art. 40 VVG

In einem neuen Entscheid (4A_536/2020) vom 19. Jan­u­ar 2021 befasste sich das Bun­des­gericht mit der Trag­weite von Art. 40 VVG.

Dem Entscheid lag fol­gen­der Sachver­halt zugrunde:

Gemäss den All­ge­meinen Ver­sicherungs­be­din­gun­gen der kollek­tiv­en Kranken­taggeld­ver­sicherung, welche die Arbeit­ge­berin für ihre Mitar­beit­er, und darunter den Ver­sicherten A, mit der Ver­sicherin B SA abgeschlossen hat­te, wer­den Leis­tun­gen während der Dauer eines Aus­land­saufen­thalts eingestellt, sofern die Ver­sicherin diesem Aus­land­saufen­thalt nicht vorgängig aus­drück­lich zustimmt:

“Lorsqu’un assuré malade part à l’é­tranger, le droit aux presta­tions cesse pen­dant toute la durée de son séjour hors de Suisse, sauf accord exprès de B [SA] don­né au préalable.”

A, welch­er Leis­tun­gen der B SA bezog, ersuchte die B SA um Bewil­li­gung eines Aufen­thaltes in Por­tu­gal zwis­chen dem 21. Juli 2015 und dem 20. August 2015. Die Ver­sicherin weigerte ihre Zus­tim­mung und präzisierte, dass die Leis­tun­gen für die Dauer des Aufen­thaltes nicht aus­gerichtet wür­den, sollte sich der Ver­sicherte trotz fehlen­der Zus­tim­mung im Aus­land aufhalten.

Der Ver­sicherte flog am 6. August 2015 nach Por­tu­gal. Am 10. August 2015 kon­tak­tierte ihn die Ver­sicherin, um einen Ter­min am sel­ben Tag zu vere­in­baren. Der Ver­sicherte ver­schwieg, wo er sich aufhielt und erk­lärte, dass er an diesem Tag nicht ver­füg­bar sei, da er sich im Wal­lis befinde. Daraufhin vere­in­barten die Parteien einen Ter­min am 11. August 2015 in Sit­ten. A flog am 10. August 2015 in die Schweiz zurück und nahm den Ter­min vom 11. August 2015 wahr, ohne die Reise nach Por­tu­gal zu erwäh­nen. Am 8. Sep­tem­ber 2015 legte der Ver­sicherte gegenüber der B SA offen, dass er die Tat­sache ver­schwiegen hat­te, dass er in Por­tu­gal war und dass er am 10. August 2015 zurück­ge­flo­gen war, um den Ter­min vom 11. August 2015 wahrzunehmen. Daraufhin stellte die Ver­sicherin die Leis­tun­gen per 30. Sep­tem­ber 2015 ein und erk­lärte, dass das Ver­hal­ten des Ver­sicherten unter Art. 40 VVG falle, weshalb sie gegenüber dem Ver­sicherten an den Ver­trag nicht gebun­den sei.

Das Tri­bunal région­al des Mon­tagnes et du Val-de-Ruz wies die Klage des Ver­sicherten auf Zahlung von Kranken­taggeldern zwis­chen  dem 30. Sep­tem­ber 2015 und dem 13. Okto­ber 2016 sowie die Widerk­lage der Ver­sicherin auf Rück­zahlung der bere­its bezahlten Kranken­taggelder ab. Das Gericht erwog, dass sich die Ver­sicherin auf Art. 40 VVG berufen durfte, dass der Rück­er­stat­tungsanspruch jedoch ver­jährt war. Der Cour d’ap­pel civile du Tri­bunal can­ton­al neuchâtelois wies die Beru­fung des Ver­sicherten sowie diejenige der Ver­sicherin ab und bestätigte den Entscheid der Vorin­stanz. Das Bun­des­gericht wies die Beschw­erde des Ver­sicherten ab, soweit darauf einzutreten war.


Vor Bun­des­gericht machte der Ver­sicherte eine Ver­let­zung von Art. 40 VVG gel­tend, da die Tatbe­standsmerk­male der Bes­tim­mung nicht erfüllt seien. Objek­tiv betra­chtet habe die fehlende Mit­teilung des Aus­lan­daufen­thaltes keinen Ein­fluss auf die Ursache der Arbeit­sun­fähigkeit; eben­sowenig bee­in­flusse es die Umstände im Zusam­men­hang mit der Fest­stel­lung der Ver­sicherungsleis­tun­gen, namentlich den Grad der Arbeit­sun­fähigkeit. Der Ver­sicherte habe Art. 39 VVG nicht ver­let­zt. Sub­jek­tiv betra­chtet habe er seinen Aufen­thalt im Aus­land nur ver­schwiegen, um einen Kon­flikt mit der Ver­sicherin zu ver­mei­den, die sich stets aggres­siv ver­hal­ten habe; es sei nicht sein Ziel gewe­sen, Kranken­taggelder während der Dauer seines Aus­land­saufen­thaltes zu erhalten.

Das Bun­des­gericht ver­warf die Argu­men­ta­tion des Ver­sicherten, und erwog, dass es für die Anwen­dung von Art. 40 VVG irrel­e­vant ist, dass sich die unrichti­gen Erk­lärun­gen auf die Ursachen der Arbeit­sun­fähigkeit oder deren Grad bezieht, da Art. 40 VVG nicht nur im Falle ein­er Ver­let­zung von Art. 39 VVG zur Anwen­dung kommt (E. 5.2):

Con­traire­ment à ce que sou­tient le recourant, il importe peu que ses déc­la­ra­tions inex­actes ne por­taient pas sur les caus­es de son inca­pac­ité de tra­vail ou le degré de celle-ci. Le fait qu’il ait été en inca­pac­ité totale de tra­vailler n’est pas non plus per­ti­nent dans ce con­texte. En réal­ité, le recourant fonde son argu­men­ta­tion sur une lec­ture stricte de l’art. 39 LCA, alors que la cour can­tonale n’a même pas exam­iné spé­ci­fique­ment cette dis­po­si­tion. L’art. 40 LCA ne s’ap­plique en effet pas seule­ment en cas de vio­la­tion de l’art. 39 LCA; il a une portée plus large […].”

In diesem Zusam­men­hang rief das Bun­des­gericht seine Rechtssprechung zu den Tatbe­standsmerk­malen von Art. 40 VVG in Erinnerung:

  • Gemäss Art. 40 VVG (“Betrügerische Begrün­dung des Versiche­rungs­anspruches”) ist der Ver­sicher­er gegenüber dem Anspruchs­berechtigten nicht an den Ver­trag gebun­den, wenn der Anspruchs­berechtigte oder sein Vertreter Tat­sachen, welche die Leis­tungspflicht des Ver­sicher­ers auss­chliessen oder min­dern wür­den, zum Zwecke der Täuschung unrichtig mit­geteilt oder ver­schwiegen hat oder wenn er die ihm nach Mass­gabe von Art. 39 VVG obliegen­den Mit­teilun­gen zum Zwecke der Täuschung zu spät oder gar nicht gemacht hat.
  • In objek­tiv­er Hin­sicht liegt eine betrügerische Begrün­dung des Ver­sicherungsanspruchs im Sinne von Art. 40 VVG vor, wenn der Anspruch­steller Tat­sachen wahrheitswidrig darstellt, die für den Ver­sicherungsanspruch Bedeu­tung haben, sei es für dessen Begrün­dung oder dessen Umfang; mit anderen Worten würde eine kor­rek­te Mit­teilung der Tat­sachen dazu führen, dass der Ver­sicher­er eine tief­ere Ver­sicherungsleis­tung oder gar keine ausrichtet.
  • Zusät­zlich zu den objek­tiv­en Voraus­set­zun­gen muss als sub­jek­tives Ele­ment die Täuschungsab­sicht hinzutreten, wonach der Anspruch­steller dem Ver­sicher­er mit Wis­sen und Willen unwahre Angaben macht, um einen Ver­mö­gensvorteil zu erlan­gen, wobei nicht mass­gebend ist, ob der Ver­sicherte einen solchen Ver­mö­gensvorteil tat­säch­lich erlangt.
  • Liegen die Tatbe­standsvo­raus­set­zun­gen vor, so darf der Ver­sicher­er die Leis­tung ver­weigern, und zwar selb­st wenn sich die Täuschung nur auf einen Teil des Schadens bezieht (E. 5.1).