145 III 495: Ausdehnung der Pfandhaft auf Miet- und Pachtzinsforderungen; Wirkun-gen eines Verzichts darauf im Betreibungsbegehren (frz.)

Im vor­liegen­den Fall (BGE 145 III 495 = Urteil des BGer 5A_614/2019) unter­suchte das Bun­des­gericht, ob ein im Betrei­bungs­begehren geäussert­er Verzicht auf eine Miet- und Pachtzinssperre eine unwider­ru­fliche und endgültige Wirkung ent­fal­tet, und fol­glich einem späteren Begehren auf Aus­dehnung der Pfand­haft ent­ge­gen ste­ht. Dem Entscheid lag fol­gen­der Sachver­halt zugrunde:

Die Gläu­bigerin B. leit­ete gegen den Schuld­ner A. eine Betrei­bung auf Grundp­fand­ver­w­er­tung ein, um eine Forderung von rund CHF 2.9 Mio. zuzüglich Zin­sen zu voll­streck­en. Das Betrei­bungs­begehren hielt fest, dass eine «amtliche Ver­wal­tung des Grund­stücks nicht erforder­lich» sei.

Das Betrei­bungsamt stellte dem Schuld­ner einen Zahlungs­be­fehl zu. Der Rechtsvorschlag des Schuld­ners wurde vom Gericht durch pro­vi­sorische Recht­söff­nung beseit­igt. Als die Gläu­bigerin das Ver­w­er­tungs­begehren stellte, informierte das Betrei­bungsamt den Schuld­ner, dass zukün­ftige Miet- und Pachtzinse vom Betrei­bungsamt einge­zo­gen wür­den. Der Schuld­ner wehrte sich in der Folge mit ein­er Aberken­nungsklage. Daraufhin wies das Betrei­bungsamt das Ver­w­er­tungs­begehren zurück und teilte dem Schuld­ner mit, dass auch der vor­ange­hende Entscheid über die Leis­tung der Miet- und Pachtzinse pro­vi­sorisch aufge­hoben sei (Sachver­halt, Bst. A.).

Die Gläu­bigerin stellte daraufhin ein Begehren um Aus­dehnung des Pfan­drechts auf Miet- und Pachtzinse bis zur Erledi­gung der Aberken­nungsklage des Schuld­ners. Das Betrei­bungsamt teilte dem Schuld­ner dann erneut mit, dass zukün­ftige Miet- und Pachtzinse vom Betrei­bungsamt einkassiert wür­den. Hierge­gen erhob der Schuld­ner Beschw­erde, die von bei­den kan­tonalen Instanzen abgewiesen wurde. Auch das Bun­des­gericht wies seine Beschw­erde in Zivil­sachen ab (Sachver­halt, Bst. B.).

Vor Bun­des­gericht rügte der Schuld­ner u.a. eine falsche Anwen­dung von Art. 152 Abs. 2 SchKG. Er behauptete, dass die Gläu­bigerin durch ihre Erk­lärung im Betrei­bungs­begehren, eine amtliche Ver­wal­tung sei nicht erforder­lich, aus­drück­lich und unwider­ru­flich auf die Aus­dehnung ihres Pfan­drechts auf Miet- und Pachtzinse in einem späteren Sta­di­um des Ver­fahrens verzichtet habe (E. 2.2).

Das Bun­des­gericht erin­nerte zunächst an den Normin­halt und seine bish­erige Rechtsprechung:

Nach Art. 806 Abs. 1 ZGB erstreckt sich beim Grundp­fan­drecht die Pfand­haft auch auf die Miet- oder Pachtzins­forderun­gen, die seit Anhebung der Betrei­bung auf Grundp­fand­ver­w­er­tung bis zur Ver­w­er­tung auflaufen. Eine Aus­dehnung der Pfand­haft kann vom Gläu­biger bei Ein­re­ichung des Betrei­bungs­begehrens oder später ver­langt wer­den, doch muss der Gläu­biger diese aus­drück­lich ver­lan­gen. Wird die Aus­dehnung der Pfand­haft erst in einem späteren Ver­fahrenssta­di­um ver­langt, erfol­gt keine Rück­wirkung (E. 2.3.1). Zudem sei im Ver­w­er­tungs­begehren auch die Anord­nung ein­er amtlichen Ver­wal­tung des Grund­stücks enthal­ten, sofern der Gläu­biger nicht aus­drück­lich darauf verzichtet (Art. 101 Abs. 1 VZG; E. 2.3.2).

Weit­er habe das Kan­ton­s­gericht im vor­liegen­den Fall fest­gestellt, dass die Erk­lärung der Gläu­bigerin im Betrei­bungs­begehren keinen aus­drück­lichen und unwider­ru­flichen Verzicht auf eine mögliche spätere Aus­dehnung des Pfan­drechts darstelle, und deshalb kein Hin­der­nis für das Begehren der Gläu­bigerin sei (E. 2.1).

Das Bun­des­gericht erwog dann, dass die Aus­dehnung der Pfand­haft auf dem materiellen Recht beruhe (Art. 806 Abs. 1 ZGB), weshalb dieser Anspruch nicht durch Voll­streck­ungsrecht aus­ge­he­belt wer­den dürfe, indem es den Gläu­biger unter Andro­hung der Ver­wirkung zur Aus­dehnung des Pfan­drechts schon im Betrei­bungs­begehren zwinge (E. 2.3.3). Das Bun­des­gericht fol­gerte weit­er, wenn stillschweigend auf die Aus­dehnung der Pfand­haft verzichtet wer­den könne, ohne dass der Gläu­biger damit das Recht zur Aus­dehnung endgültig ver­liere, gebe es keinen Grund, anders zu entschei­den bei einem aus­drück­lichen Verzicht zu Beginn der Betrei­bung. Mit anderen Worten könne ein Gläu­biger, trotz Verzichts im Betrei­bungs­begehren, im Grund­satz zu einem späteren Sta­di­um der Betrei­bung immer noch die Aus­dehnung der Pfand­haft ver­lan­gen. Da das ange­focht­ene Urteil keinen Willen des Pfandgläu­bigers bei Ein­leitung der Betrei­bung fest­stellte, auf eine spätere Aus­dehnung der Pfand­haft zu verzicht­en, und da auch son­st kein Verzicht zu erken­nen und das Ver­hal­ten der Gläu­bigerin nicht wider­sprüch­lich sei, liege kein Hin­der­nis zur späteren Aus­dehnung der Pfand­haft vor (E. 2.3.3).

Ungeachtet ein­er Verzicht­serk­lärung im Betrei­bungs­begehren ver­liert der Pfandgläu­biger daher grund­sät­zlich nicht das Recht, zu einem späteren Zeit­punkt die Miet- und Pachtzinssperre zu beantra­gen (Regeste).