6B_384/2020: Erfolgreiche Beschwerde gegen Busse wegen Parkzeitüberschreitung (amtl. Publ.)

Im Urteil 6B_384/2020 vom 23. August 2021 hiess das Bun­des­gericht die Beschw­erde ein­er Per­son gut, die um 18.15 Uhr in Luzern ihr Fahrzeug parkierte und Parkge­bühren bis 19.51 Uhr entrichtete. Ihr wurde vorge­wor­fen, dass dieses Fahrzeug um 20.19 Uhr immer noch auf dem Park­platz ges­tanden sei, sie damit während 28 Minuten keine Parkge­bühr entrichtet und somit gegen das für dieses Are­al erlassene gerichtliche Ver­bot ver­stossen habe. Dass sie damit ihre Parkzeit über­zo­gen hat­te, bezweifelte die Fahrzeughal­terin nicht. Jedoch war sie lediglich bere­it, die dafür ange­dro­hte Busse von Fr. 40.– zu bezahlen, jedoch nicht den Schuld­spruch der Wider­hand­lung gegen ein gerichtlich­es Ver­bot und die ihr aufer­legten Gebühren und die damit ein­herge­hende Rech­nung von Fr. 910.– zu akzeptieren.

Das besagte Parkare­al befind­et sich im Eigen­tum des Kan­tons Luzern. Gemäss Sig­nal­isierung beste­ht ein amtlich­es Ver­bot des Amts­gerichts, wonach allen Unberechtigten ver­boten wird, dieses Grund­stück zu befahren oder darauf Fahrzeuge abzustellen. Aus­nah­men vom Ver­bot seien sig­nal­isiert. Zuwider­hand­lun­gen wür­den mit Haft oder Busse bestraft. Die Parkge­bühr sei Mon­tag bis Fre­itag 17:00 bis 6:00 und Sam­stag bis Son­ntag 00:00 bis 24:00 zu entricht­en. Im Zuge dieser Parkzeitüber­schre­itung sprach die Staat­san­waltschaft Luzern die Fahrzeughal­terin mit Straf­be­fehl der Wider­hand­lung gegen ein gerichtlich­es (all­ge­meines) Ver­bot nach § 20 UeStG/LU schuldig. Nach einem Freis­pruch vom Vor­wurf des Ver­stoss­es gegen ein gerichtlich­es Ver­bot durch das Bezirks­gericht sprach das Kan­ton­s­gericht die Per­son wiederum schuldig.

Gegen dieses Urteil erhob die Hal­terin des Fahrzeugs Beschw­erde in Straf­sachen ans Bun­des­gericht. Sie rügte eine Ver­let­zung des Legal­ität­sprinzips (Art. 1 StGB) sowie des Willkürver­bots (Art. 9 BV) und machte zusam­menge­fasst gel­tend, für eine Verurteilung fehle es an ein­er gülti­gen geset­zlichen Grund­lage. Das Sig­nal “Parkieren gegen Gebühr” kennze­ichne Park­plätze, auf denen Motor­wa­gen nur gegen Gebühr und gemäss den an der Parkuhr ver­merk­ten Bes­tim­mungen abgestellt wer­den dürften. Das Über­schre­it­en der zuläs­si­gen Parkzeit bis zwei Stun­den auf öffentlichen Strassen sei gestützt auf die Ord­nungs­bussen­verord­nung (OBV) mit ein­er Busse von Fr. 40.– zu ahn­den und damit bere­its abschliessend geregelt. Für den Ver­stoss gegen ein gerichtlich­es Ver­bot im Sinne von § 20 UeStG/LU bzw. Art. 285 ZPO beste­he kein Raum (E. 1.1).

Eine Strafe oder Mass­nahme darf nach dem Legal­ität­sprinzip nur wegen ein­er Tat ver­hängt wer­den, die das Gesetz aus­drück­lich unter Strafe stellt (Art. 1 StGB). Der Grund­satz “nul­la poe­na sine lege” ist ver­let­zt, wenn jemand wegen eines Ver­hal­tens strafrechtlich ver­fol­gt wird, das im Gesetz über­haupt nicht als straf­bar beze­ich­net wird. Der Grund­satz gilt für das gesamte Strafrecht, mithin auch für das kan­tonale Übertre­tungsstrafrecht (E. 1.3.1).

Nach der bun­des­gerichtlichen Recht­sprechung kann der Strafrichter den Erlass eines gerichtlichen Ver­bots im Rah­men eines Strafver­fahrens wegen Mis­sach­tung des­sel­ben auf seine Recht­mäs­sigkeit hin über­prüfen (BGE 141 III 195 E. 2.2). Ist das vor­liegende Ver­bot nicht zuläs­sig, kann kein Schuld­spruch wegen Wider­hand­lung gegen § 20 UeStG/LU erge­hen (E. 1.3.2). Festzuhal­ten bleibt jedoch, dass die Beschw­erde­führerin nicht gebüsst wor­den war, weil sie auf dem fraglichen Are­al werk­tags zwis­chen 6 Uhr und 17 Uhr parkiert hat­te, son­dern weil sie für die Zeit von 19.51 Uhr bis 20.19 Uhr keine Parkge­bühr entrichtete. Somit werde ihr lediglich vorge­wor­fen, sie habe die bezahlte (und somit zuläs­sige Parkzeit) über­schrit­ten. Als Vor­frage war daher nicht die Rechtsmäs­sigkeit des werk­tags zwis­chen 6 Uhr und 17 Uhr gel­tenden Parkver­bots des gerichtlichen (all­ge­meinen) Ver­bots zu prüfen. Vielmehr stellte sich die Frage, wie es sich mit dem zugle­ich einge­führten, ent­geltlichen, an den Randzeit­en gel­tenden Parkierungsregime ver­hält, d.h. ob es zwin­gend auf öffentlich-rechtlichem Weg hätte ange­ord­net wer­den müssen (E. 1.3.2). Das gerichtliche Ver­bot stellt eine beson­dere Form des strafrechtlichen Schutzes von Grun­deigen­tum dar, der zum zivil­rechtlichen Besitzess­chutz nach Art. 928 ff. ZGB hinzutritt. Es richtet sich im All­ge­meinen an einen offenen/unbestimmten Adres­satenkreis und kann durch Aus­nah­men per­sön­lich, örtlich oder zeitlich beschränkt wer­den (E. 1.4.1).

Öffentlich-rechtliche Kör­per­schaften kön­nen für ihr Finanz- und Ver­wal­tungsver­mö­gen die Aussprechung von gerichtlichen Ver­boten nach Art. 258 ZPO beantra­gen. Im Bere­ich öffentlich­er Sachen im Gemeinge­brauch ist ihr dies jedoch nicht möglich. Will sie den Gemeinge­brauch aufheben oder ein­schränken, muss sie auf öffentlich-rechtlichem Weg vorge­hen. Soll der Gemeinge­brauch an öffentlichen Strassen durch sog. “funk­tionelle Verkehrsanord­nun­gen” i.S.v. Art. 3 Abs. 4 SVG (etwa Parkierungsvorschriften) beschränkt wer­den, sind dabei die mass­ge­blichen Vorschriften des Bun­desrechts zu beacht­en. Das Gemein­we­sen darf die öffentlich-rechtlichen Vorschriften nicht umge­hen, indem es beim Zivil­richter ein Ver­bot erwirkt (E. 1.4.1). Ein solch­er Wille muss gemäss Art. 5 Abs. 1 SVG Drit­ten durch ein sig­nal­isiertes Ver­bot oder durch eine Abschrankung ken­ntlich gemacht sein. Fehlen solche ein­deuti­gen Vorkehren, bleibt der Charak­ter des Are­als als öffentliche Strasse erhal­ten (E. 1.4.2), weshalb die Beschw­erde­führerin vom Vor­wurf der Wider­hand­lung gegen ein gerichtlich­es Ver­bot freizus­prechen sei (E. 1.5).

In diesem Sinne hiess das Bun­des­gericht die Beschw­erde der Fahrzeughal­terin durch Bestä­ti­gung der Recht­mäs­sigkeit ein­er Busse von lediglich Fr. 40.– gut und wies den ange­focht­e­nen Entscheid an die Vorin­stanz zurück (E. 2).