6B_1010/2021: Rückweisung als nicht wiedergutzumachender Nachteil (amtl. Publ.)

Im Urteil 6B_1010/2021 vom 10. Jan­u­ar 2022 präzisierte das Bun­des­gericht dessen Recht­sprechung zum Vor­liegen eines nicht wieder gutzu­machen­den Nachteils bei Rück­weisung eines Entschei­ds als Kri­teri­um zur Erhe­bung ein­er Beschw­erde ans Bundesgericht. 

Hin­ter­grund war ein Strafver­fahren, dessen erstin­stan­zliche Hauptver­hand­lung abge­brochen wor­den war und die Parteien ihre Plä­doy­ers in der Folge stattdessen schriftlich ein­gere­icht hat­ten. Auf Beru­fung bei­der Parteien gegen das erstin­stan­zliche Urteil hin hob die Beru­fungsin­stanz das Urteil auf und wies die Sache zur Wahrung des Instanzen­zuges sowie zur Durch­führung eines geset­zmäs­si­gen Ver­fahrens an die Vorin­stanz zurück. Dage­gen erhob eine der Pri­vatk­lägerin­nen Beschw­erde in Strafsachen.

Gegen andere selb­st­ständig eröffnete Vor- und Zwis­ch­enentschei­de ist die Beschw­erde gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG nur zuläs­sig, wenn diese einen nicht wieder gutzu­machen­den Nachteil bewirken kön­nen. Die Möglichkeit eines Nachteils genügt, jedoch muss dieser rechtlich­er Natur sein, welch­er später nicht mehr durch einen Endentscheid oder einen anderen, für den Beschw­erde­führer gün­sti­gen Entscheid (im Sinne der Ver­fahren­sökonomie) wieder gut­gemacht wer­den kann (E. 1.1). Weist das erstin­stan­zliche Ver­fahren wesentliche Män­gel auf, die im Beru­fungsver­fahren nicht geheilt wer­den kön­nen, so hebt das Beru­fungs­gericht das ange­focht­ene Urteil auf und weist die Sache zur Durch­führung ein­er neuen Hauptver­hand­lung und zur Fäl­lung eines neuen Urteils an das erstin­stan­zliche Gericht zurück (Art. 409 Abs. 1 StPO). Die kas­satorische Erledi­gung durch Rück­weisung ist auf­grund des refor­ma­torischen Charak­ters des Beru­fungsver­fahrens die Aus­nahme und kommt nur bei der­art schw­er­wiegen­den, nicht heil­baren Män­geln des erstin­stan­zlichen Ver­fahrens in Betra­cht, in denen die Rück­weisung zur Wahrung der Parteirechte, in erster Lin­ie zur Ver­mei­dung eines Instanzen­ver­lusts, unumgänglich ist (E. 1.4.1).

Nach der Recht­sprechung des Bun­des­gerichts kann der von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG geforderte nicht wieder gutzu­machende (rechtliche) Nachteil nicht unbe­se­hen darin erkan­nt wer­den, dass im Zeit­punkt ein­er gegen den Endentscheid erhobe­nen Beschw­erde gemäss Art. 93 Abs. 3 BGG die Recht­sauf­fas­sung der Beru­fungsin­stanz in Erman­gelung eines aktuellen Rechtss­chutz­in­ter­ess­es nicht mehr über­prüf­bar wäre und erscheint das Her­anziehen der (Nicht-) Evi­denz und die damit ein­herge­hende materielle Beurteilung des fraglichen Ver­fahrens­fehlers als für die Ein­tretens­frage gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG untauglich­es Abgren­zungskri­teri­um. Umso weniger, als damit eine nicht vorge­se­hene Ein­tretensvo­raus­set­zung geschaf­fen wird, die zu Recht­sun­sicher­heit führt. Da Ein­tretens­fra­gen ein­fach und klar zu hand­haben sein sollen, präzisiert das Bun­des­gericht dessen Recht­sprechung ein­schränk­end dahinge­hend, dass gestützt auf Art. 409 Abs. 1 StPO erlassene Rück­weisungsentschei­de grund­sät­zlich keinen nicht wieder gutzu­machen­den Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG bewirken und entsprechend gegen let­ztin­stan­zlich kan­ton­al ergan­gene Rück­weisungsentschei­de grund­sät­zlich keine Beschw­erde ans Bun­des­gericht gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG gegeben ist (E. 2.3).

Eine Anfech­tung des Rück­weisungs­beschlusses ist jedoch nicht per se aus­geschlossen. Rügt die beschw­erde­führende Partei mit hin­re­ichen­der Begrün­dung eine Rechtsver­weigerung, kann auf das Erforder­nis des nicht wieder gutzu­machen­den Nachteils verzichtet wer­den. Eine Rechtsver­weigerung liegt namentlich vor, wenn ein Beru­fungs­gericht wieder­holt, mithin im Sinne ein­er eigentlichen Prax­is sys­tem­a­tisch Rück­weisungs­beschlüsse wegen eines Ver­fahrens­man­gels erlässt, der ent­ge­gen der gefes­tigten bun­des­gerichtlichen Prax­is nicht als schw­er­wiegend bzw. als heil­bar zu qual­i­fizieren ist. Damit geht ein­her, dass bere­its zum Zeit­punkt ein­er gestützt auf Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG erhobe­nen Beschw­erde erstellt ist, dass kein schw­er­er Ver­fahrens­man­gel gegeben ist, der eine Rück­weisung recht­fer­tigt, woraus sich eine ern­sthafte Gefahr der Ver­let­zung des Beschle­u­ni­gungs­ge­bots ergibt (E. 2.4).

Daraus fol­gt, dass gegen gestützt auf Art. 409 StPO ergan­gene Rück­weisungs­beschlüsse das Rechtsmit­tel der Beschw­erde gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. a. BGG nicht zur Ver­fü­gung ste­ht, sofern die beschw­erde­führende Partei nicht mit hin­re­ichen­der Begrün­dung eine Rechtsver­weigerung im Sinne der dargelegten Erwä­gun­gen rügt. Let­zteres war vor­liegend nicht der Fall, weshalb das Bun­des­gericht auf die Beschw­erde nicht ein­trat (E. 2.5). Auf die Beschw­erde wäre indes ohne­hin nicht einzutreten gewe­sen, da vor­liegend schw­er­wiegende, im Beru­fungsver­fahren nicht heil­bare Ver­fahrens­män­gel evi­dent waren. Der Ver­weis eines Teils der erstin­stan­zlichen Hauptver­hand­lung in das schriftliche Ver­fahren find­et in der Straf­prozes­sor­d­nung keine Stütze. Diese sta­tu­iert die Mündlichkeit des gesamten erstin­stan­zlichen Ver­fahrens (Art. 2 Abs. 2 StPO; E. 3).