2C_399/2021, 2C_427/2021, 2C_565/2021: öffentliches Beschaffungswesen, Koordinationspflicht im Beschwerdeverfahren (amtl. Publ.)

Das Bun­des­gericht klärte in diesem Urteil, dass eine Beschw­erde­in­stanz — vor­liegend das Bun­desver­wal­tungs­gericht — Beschw­er­den mehrerer unter­legen­er Anbi­eter nicht unab­hängig voneinan­der beurteilen dürfe, son­dern diese zeitlich koor­dinieren müsse. Zudem müsse die Beschw­erde­in­stanz den Parteirecht­en aller Beschw­erde­führer hin­re­ichend Rech­nung tra­gen und die Ver­fahren in der gle­ichen Beset­zung entschei­den.

Gegen­stand war das im offe­nen Ver­fahren aus­geschriebene Pro­jekt “Erneuerung Weis­senstein­tun­nel Umset­zung BehiG an den Bahn­höfen Ober­dorf und Gäns­brun­nen”, in welchem A. den Zuschlag erhielt. Die Zweit­platzierte B. und die Viert­platzierte F. reicht­en Beschw­erde gegen die Zuschlagsver­fü­gung ein. Die Ver­gabestelle zog in der Folge ihre Zuschlagsver­fü­gung “in Wieder­erwä­gung” und “wider­rief die Ver­fü­gung”. Das Bun­desver­wal­tungs­gericht schrieb in der Folge die Beschw­erde von F. als gegen­stand­s­los gewor­den ab, wies den Antrag auf Abschrei­bung der Beschw­erde der B. indessen ab. Daraufhin hiess das Bun­desver­wal­tungs­gericht die Beschw­erde von B. gut und erteilte B. den Zuschlag. Es begrün­dete dies damit, dass das Ange­bot der A. auszuschliessen sei sowie dass wed­er A. noch die Ver­gabestelle konkrete Argu­mente gegen den direk­ten Zuschlag an B. vorge­bracht hät­ten und dieses Ange­bot in der Eval­u­a­tion zweitrang­iert gewe­sen sei. Sowohl A. als auch F. reicht­en gegen diese Urteil Beschw­erde beim Bun­des­gericht ein. Par­al­lel dazu erteilte die Ver­gabestelle den Zuschlag erneut an A., woraufhin F. erneut Beschw­erde gegen diese zweite Zuschlagsver­fü­gung ein­re­ichte. Das Bun­desver­wal­tungs­gericht wies die Beschw­erde von F. gegen die zweite Zuschlagsver­fü­gung ab, woraufhin F. auch in diesem Ver­fahren an das Bun­des­gericht gelangte.

Das Bun­des­gericht erin­nerte zunächst an die sog. ungeteilte Wirkung der Zuschlagsver­fü­gung, mithin dass der Zuschlag in ein- und der­sel­ben Ver­gabesache nur an einen Anbi­eter erteilt wer­den könne. In ein­er solchen Kon­stel­la­tion wirke sich die Entschei­dung des einen Rechtsmit­telver­fahrens unmit­tel­bar auf das Ergeb­nis eines anderen Rechtsmit­telver­fahrens gegen densel­ben Zuschlagsentscheid aus (E. 2.2.4). Aus dieser Inter­de­pen­denz par­al­lel­er sub­mis­sion­srechtlich­er Beschw­erde­v­er­fahren kön­nten sich naturgemäss kom­plexe Anforderun­gen an die Ver­fahrens­führung durch die Beschw­erde­in­stanz ergeben. So gehe es darum, wider­sprüch­liche Entschei­de zu ver­mei­den. Zudem liege es ins­beson­dere nicht ohne Weit­eres auf der Hand, wie die Parteirechte (namentlich der Anspruch auf rechtlich­es Gehör; Art. 29 Abs. 2 BV) aller (noch) am Ver­fahren beteiligten Anbi­eter gewahrt wer­den kön­nten. An ein­er höch­strichter­lichen Klärung dieser spez­i­fisch sub­mis­sion­srechtlichen Frage beste­he (auch) aus Sicht der Vorin­stanzen des Bun­des­gerichts in Bund und Kan­to­nen ein emi­nentes Inter­esse, zumal der Lit­er­atur dies­bezüglich kaum Hin­weise zu ent­nehmen seien (E. 2.2.5).

Sodann erwog das Bun­des­gericht, dass die Qual­i­fika­tion der Zuschlagsver­fü­gung als “unteil­bare, ein­heitliche Ver­fü­gung” bei der Anfech­tung durch mehrere Anbi­eter auch auf Beschw­erdeebene eine materiell koor­dinierte Entschei­dung bedinge. Vor­liegend hätte eine Gutheis­sung des (Eventual-)Antrags von F. auf Abbruch des Ver­fahrens die Gegen­stand­slosigkeit des von B. ange­hobe­nen Beschw­erde­v­er­fahrens zur Folge gehabt, da dies­falls das Ver­gabev­er­fahren inte­gral abzubrechen gewe­sen wäre. Umgekehrt hat­te die Gutheis­sung der Beschw­erde von B. unmit­tel­bar zur Folge, dass die — an diesem Ver­fahren nicht beteiligte — F. bei der Ver­gabe nicht mehr zum Zug kom­men könne (E. 4.1).

Die prozes­suale Kon­stel­la­tion der “ungeteil­ten Wirkung” der Urteile des Bun­desver­wal­tungs­gerichts lasse sich, so das Bun­des­gericht weit­er, ver­gle­ichen mit der Sit­u­a­tion ein­er (uneigentlichen) notwendi­gen Stre­itgenossen­schaft im Zivil­prozess, wo dem Rechtsmit­te­lentscheid “Gestal­tungswirkung gegenüber nicht am Prozess beteiligten Per­so­n­en” zukomme. Die zivil­prozes­suale Lehre pos­tuliere für solche Fälle eine formelle und materielle Koor­di­na­tion durch die Rechtsmit­telin­stanz, was in der Lit­er­atur zum öffentlichen Prozess­recht indessen nur teil­weise Wider­hall finde, indem nur eine materielle, nicht aber auch eine formelle Koor­di­na­tion gefordert werde. Zwar werde auch hier vertreten, dass die Beschw­erde­in­stanz ein­heitlich entschei­den müsse. Diese ein­heitliche Entschei­dung bedinge nicht zwin­gend eine ein­heitliche Ver­fahrens­führung unter der­sel­ben Geschäft­snum­mer, denn solange dieselbe Beschw­erde­in­stanz über ver­schiedene Beschw­er­den gegen das­selbe Anfech­tung­sob­jekt entschei­de, sei die Gefahr sich wider­sprechen­der Entschei­de ver­schwindend; erforder­lich sei nur, dass der­selbe Spruchkör­p­er zum Zuge komme (E. 4.2).

Das Bun­des­gericht erachtet diesen Ansatz im sub­mis­sion­srechtlichen Kon­text als überzeu­gend. Auch wenn es unter prak­tis­chen Gesicht­spunk­ten in der Regel am ein­fach­sten sein dürfte, mehrere par­al­lel gegen eine Zuschlagsver­fü­gung erhobene Beschw­er­den im gle­ichen Ver­fahren zu vere­ini­gen, beste­he keine bun­desrechtliche Vorschrift, die das Bun­desver­wal­tungs­gericht zu ein­er formellen Koor­di­na­tion verpflicht­en würde. Erforder­lich sei jedoch eine materielle Koor­di­na­tion, die wie fol­gt sicherzustellen sei (E. 4.3):

(i) Zeitliche Koor­di­na­tion der Beschw­erdeentschei­de (E. 4.3.1): Sämtliche beim Bun­desver­wal­tungs­gericht anhängi­gen Beschw­er­den gegen eine Zuschlagsver­fü­gung seien par­al­lel zu instru­ieren und zu entschei­den, zumin­d­est wenn auf Beschw­er­den unter­schiedlich­er Anbi­eter einge­treten werde. Nur so sei gewährleis­tet, dass sich das Bun­desver­wal­tungs­gericht in der einen Beschw­erde­sache nicht sein­er Entschei­dungs­frei­heit in der anderen Beschw­erde­sache begebe. Fern­er hät­ten die Vorin­stanzen des Bun­des­gerichts alle erforder­lichen Vorkehrun­gen zu tre­f­fen, um zu ver­mei­den, dass das Bun­des­gericht in Unken­nt­nis über ein vorin­stan­zlich noch hängiges Rechtsmit­tel eines anderen Anbi­eters recht­skräftig (Art. 61 BGG) über eine Ver­gabesache entscheide.

(ii) Wahrung der Ver­fahren­srechte aller an den ver­schiede­nen Ver­fahren beteiligten Anbi­eter (E. 4.3.2): Aus verfahrens(grund)rechtlicher Per­spek­tive sei zu bedenken, dass sich die Sub­mis­sions­beschw­erde ein­er Anbi­eterin an das Bun­desver­wal­tungs­gericht in erster Lin­ie gegen die Berück­sich­ti­gung der ursprünglichen Zuschlagsempfän­gerin bzw. gegen die Nicht­berück­sich­ti­gung des eige­nen Ange­bots durch die Ver­gabestelle richte. In ihrer Beschw­erde beziehe sich die nicht berück­sichtigte Anbi­eterin in erster Lin­ie entwed­er auf all­ge­meine Aspek­te der Auss­chrei­bung, auf die Würdi­gung des eige­nen Ange­bots oder aber auf die Würdi­gung des Ange­bots der Zuschlagsempfän­gerin. Von ihr könne im Grund­satz nicht erwartet wer­den, dass sie in ihrer Sub­mis­sions­beschw­erde (vor­sor­glich) auch auf Offer­ten weit­er­er Konkur­rentin­nen einge­he, zumal im Zeit­punkt der Beschw­erdeer­he­bung meist nicht fest­ste­he, ob und gegebe­nen­falls welche Konkur­rentin­nen die Zuschlagsver­fü­gung eben­falls ange­focht­en hät­ten bzw. anfecht­en wür­den. Werde eine Zuschlagsver­fü­gung von mehreren Anbi­eterin­nen ange­focht­en, müsse den anderen beschw­erde­führen­den Anbi­eterin­nen auf­grund des Anspruchs auf rechtlich­es Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) die Möglichkeit gewährt wer­den, sich zu den Rechts­stand­punk­ten der betr­e­f­fend­en Konkur­rentin zu äussern. Dies gelte in gesteigertem Masse, wenn die Rechtsmit­telin­stanz in einem der par­al­lel geführten Fälle eine Gutheis­sung der Beschw­erde und eine neue Zuschlagserteilung in Betra­cht ziehe.

(iii) Entscheid in der­sel­ben Beset­zung über die par­al­le­len Ver­fahren (E. 4.3.3): Mit Blick auf die inhaltliche Abstim­mung ver­schieden­er Sub­mis­sions­beschw­erde­v­er­fahren müsse in allen Par­al­lelver­fahren der­selbe Spruchkör­p­er zum Zug kom­men. Anson­sten bestünde die Gefahr, dass jene Rich­terin­nen und Richter, die nicht in allen Ver­fahren mitwirken, nicht über alle Aspek­te der Angele­gen­heit im Bilde wären. Dies stünde in Wider­spruch zur Unteil­barkeit des Zuschlagsentscheids.

Vor­liegend hat­te das Bun­desver­wal­tungs­gericht sämtlichen der drei vorste­hend dargestell­ten Anforderun­gen nicht Rech­nung getra­gen (E. 4.4), weshalb die Beschw­er­den von F. gut­ge­heis­sen und die Angele­gen­heit zur neuen Beurteilung an das Bun­desver­wal­tungs­gericht zurück­gewiesen wurde (E. 5).