B‑3595/2021: Ausschreibung Projekt Justitia 4.0 / Plattform Justitia.Swss im öffentlichen Beschaffungswesen; fehlende Beschwerdelegitimation

Das Bun­desver­wal­tungs­gericht ist auf die Beschw­erde gegen die Auss­chrei­bung zur geplanten Jus­tiz­plat­tform «Justitia.Swiss», auf­grund der fehlen­den Beschw­erdele­git­i­ma­tion des Vere­ins «Dig­i­tale Gesellschaft» sowie ein­er Schweiz­erischen IT-/Soft­ware-Fir­ma, nicht eingetreten.

Hin­ter­grund des Entschei­des ist die geplante Schaf­fung eines ein­heitlichen schweiz­erischen Jus­tiz­por­tals. Die zen­trale E‑Jus­tiz-Plat­tform soll kün­ftig bei Gerichtsver­fahren den elek­tro­n­is­chen Rechtsverkehr zwis­chen den ver­schiede­nen Ver­fahrens­beteiligten sowie die Aktenein­sicht in allen Ver­fahrens­ab­schnit­ten ermöglichen. Die KKJPD als Auf­trags­ge­berin respek­tive das Pro­jekt Justi­tia 4.0 als Ver­gabestelle, schrieb den Dien­stleis­tungsauf­trag «Plat­tform Justitia.Swiss» im selek­tiv­en Ver­fahren öffentlich aus, woraufhin die Beschw­erde­führerin­nen Beschw­erde erhoben und beantragten, die ange­focht­ene Auss­chrei­bung sei als nichtig zu erklären.

Das Bun­desver­wal­tungs­gericht trat in der Folge auf die Beschw­erde man­gels Legit­i­ma­tion der Beschw­erde­führerin­nen nicht ein. Es erin­nerte daran, dass die Legit­i­ma­tion zur Beschw­erde (Art. 48 Abs. 1 VwVG) voraus­set­ze, dass die Beschw­erde­führerin­nen durch die ange­focht­ene Auss­chrei­bung beson­ders betrof­fen seien (lit. b) und ein schutzwürdi­ges Inter­esse an deren Aufhe­bung bzw. Abän­derung hät­ten (lit. c) (E. 4.1). Das Erforder­nis der formellen Beschw­er spiele im Rah­men der Anfech­tung ein­er Auss­chrei­bung keine Rolle, da die Auss­chrei­bung das Beschaf­fungsver­fahren erst ini­ti­iere (E. 4.2).

Der Vere­in Dig­i­tale Gesellschaft sei, so das Bun­desver­wal­tungs­gericht, nicht als poten­tielle Anbi­eterin in der vor­liegen­den Auss­chrei­bung aufge­treten und hätte nie gel­tend gemacht, eine Offerte ein­re­ichen zu wollen bzw. in unzuläs­siger Weise von der Beschaf­fung aus­geschlossen wor­den zu sein (E. 6.3.2). Entsprechend sei der Vere­in lediglich zur Beschw­erde befugt gewe­sen, wenn er die Voraus­set­zun­gen ein­er sog. ego­is­tis­chen Ver­bands­beschw­erde erfüllt hätte. Prax­is­gemäss wäre hier­für (i) ein enger, unmit­tel­bar­er Zusam­men­hang zwis­chen dem stat­u­ar­ischen Vere­in­szweck und der ange­focht­e­nen Ver­fü­gung ver­langt und (ii) von der Auss­chrei­bung ist min­destens eine grosse Anzahl Mit­glieder oder eine Mehrheit der­sel­ben betrof­fen und (iii) jedes dieser Mit­glieder wäre selb­st dazu legit­imiert, Beschw­erde zu führen (E. 6.3.3).

Als «Bürg­er­rechts- und Kon­sumenten­schut­zor­gan­i­sa­tion mit gemein­nützigem Charak­ter», so das Bun­desver­wal­tungs­gericht weit­er, bezwecke der Vere­in Dig­i­tale Gesellschaft offen­sichtlich nicht den Schutz poten­zieller Anbi­eter in der vor­liegen­den Auss­chrei­bung, und er sei auch selb­st kein poten­zieller Anbi­eter. Es sei ausser­dem nicht ersichtlich, inwiefern eine grosse Anzahl sein­er Mit­glieder von der Auss­chrei­bung betrof­fen sein solle. Entsprechend erfülle der Vere­in die Voraus­set­zun­gen für eine ego­is­tis­che Ver­bands­beschw­erde nicht (E. 6.3.4).

Vom Bun­desver­wal­tungs­gericht erwäh­nt, aber offen­ge­lassen wird sodann (E. 6.4), ob allen­falls eine sog. «mark­tord­nende Beschaf­fung» vor­liegen könne. So könne eine Legit­i­ma­tion prax­is­gemäss eben­so vor­liegen, wenn bei Beschaf­fungsvorhaben ein Markt in grund­sät­zlich­er Weise neu­ge­ord­net werde, mithin auch die nicht als poten­zielle Erbringer der Leis­tung anzuse­hen­den Mark­t­teil­nehmer mehr als bloss mit­tel­bar betrof­fen und dem­nach in eige­nen, schutzwürdi­gen Inter­essen berührt seien. Die Legit­i­ma­tion wäre dem­nach weit­er zu fassen, soweit die Mark­t­teil­nehmer im Ergeb­nis mit ein­er “wirtschaftsver­wal­tungsrechtlichen Ord­nung” kon­fron­tiert seien. Dabei wäre zu beacht­en, dass die Annahme ein­er mark­tord­nen­den Beschaf­fung eine erhe­bliche Nach­fragemacht der öffentlichen Hand im in Frage ste­hen­den Mark­t­seg­ment voraus­set­ze. Da sowohl dem Vere­in als auch ein­er grossen Anzahl sein­er Mit­glieder die mark­t­teil­nehmende Eigen­schaft fehle, brauche indessen auch nicht beant­wortet zu wer­den, ob dem Staat in Bezug auf die Dig­i­tal­isierung der Jus­tiz eine solche Nach­fragemacht zukomme.

Der IT-/Soft­ware-Fir­ma gelang es nicht, dem Bun­desver­wal­tungs­gericht den notwendi­gen Nach­weis für die Beschw­erdele­git­i­ma­tion zu erbrin­gen. So habe sie lediglich pauschal und nicht konkret aus­ge­führt, dass sie an der Aus­führung der aus­geschriebe­nen Aufträge inter­essiert und zur Erbringung der entsprechen­den Leis­tun­gen in der Lage wäre (E. 7.4.3). Sodann verkenne die Fir­ma, dass sie durch den ange­focht­e­nen Entscheid stärk­er als jed­er­mann betrof­fen sein und in ein­er beson­deren, beacht­enswerten, nahen Beziehung zur Stre­it­sache ste­hen müsse. Eine solche ergebe sich aber nicht bere­its daraus, dass sie sich für eine Frage aus ideellen Grün­den beson­ders inter­essiere oder sich aus per­sön­lich­er Überzeu­gung für oder gegen eine Sache engagiere (E. 7.4.4.). Es beste­he zwar ein Eigen­in­ter­esse an der Aus­führung der aus­geschriebe­nen Aufträge, jedoch konkretisiere die Beschw­erde­führerin nicht und es sei nicht ohne weit­eres ersichtlich, ob es sich bei ihr um eine poten­zielle Erbringerin der in Frage ste­hen­den Leis­tun­gen han­dle. Sie behafte sich auf unkonkrete und pauschale Aus­sagen, welche gemäss BVGer eher auf «eine poli­tis­che Bew­er­tung des noch bevorste­hen­den Geset­zge­bung­sprozess­es im Zusam­men­hang mit dem Pro­jekt Justi­tia 4.0» hin­deute (E. 7.4.5).

Offen liess das Bun­desver­wal­tungs­gericht in diesem Zusam­men­hang die Frage, ob vor dem Hin­ter­grund, dass die IT-/Soft­ware-Fir­ma unbe­strit­ten­er­massen keinen Antrag auf Teil­nahme am selek­tiv­en Ver­fahren gestellt hat­te, kein Anlass beste­he, vom Erforder­nis der formellen Beschw­er abzuse­hen, da der Beschw­erde­führerin 2 eine Teil­nahme am Ver­gabev­er­fahren möglich gewe­sen wäre (E. 7.3.2).

Der Redak­tor dankt MLaw Lau­rence Käp­peli, Trainee Lawyer bei Ever­sheds Suther­land AG, für die tatkräftige Unter­stützung beim Ver­fassen dieses Beitrags.