5A_361/2022: Güterrechtliche Bewertung von personenbezogenen Unternehmen

Im Urteil 5A_361/2022 vom 24.11.2022 stellt das Bun­des­gericht klar, dass bei der Bew­er­tung von per­so­n­en­be­zo­ge­nen Unternehmen zwis­chen der per­so­n­en­be­zo­ge­nen und der unternehmens­be­zo­ge­nen Ertragskraft zu unter­schei­den ist. Nur let­ztere ist auf dem freien Markt real­isier­bar und damit für den Verkehr­swert rel­e­vant. Die weit ver­bre­it­ete Prak­tik­er­meth­ode ermit­telt den Ertragswert unter Ein­schluss der per­so­n­en­be­zo­ge­nen Ertragskraft und ist daher für per­so­n­en­be­zo­gene Unternehmen ungeeignet.

Urteil­szusam­men­fass­sung

Das Bun­des­gericht set­zte sich im hier besproch­enen Fall unter anderem mit der güter­rechtlichen Bew­er­tung ein­er von der Ehe­frau als Einzelun­ternehmen geführten Prax­is für Kiefer­orthopädie auseinan­der. Die Vorin­stanzen gin­gen für die Wertbes­tim­mung des Einzelun­ternehmens von der sog. Prak­tik­er­meth­ode aus (Verkehr­swert = [1 * Sub­stanzw­ert + 2 * Ertragswert] / 3). Dabei gin­gen sie (man­gels eigen­em Kap­i­tal des Einzelun­ternehmens) von einem Sub­stanzw­ert von Fr. 0.– und einem Ertragswert von Fr. 3’066’877.40 aus. In Abwe­ichung der Prak­tik­er­meth­ode berück­sichtigten die Vorin­stanzen den Sub­stanzw­ert zu 90 % und den Ertragswert zu 10 % und bew­erteten das Unternehmen mit Fr. 306’700.–. Dies sollte dem Umstand Rech­nung tra­gen, dass das Einzelun­ternehmen stark von der Per­sön­lichkeit der Ehe­frau geprägt sei und sich ein Kun­den­stamm nicht ohne Weit­eres über­tra­gen liesse. Dage­gen wehrte sich die Ehe­frau vor Bun­des­gericht. Sie rügte es sei willkür­lich, dass die Vorin­stanzen bei der Unternehmens­be­w­er­tung den Ertragswert mit 10 % berück­sichtigt hät­ten. Dieser müsse unberück­sichtigt bleiben.

Das Bun­des­gericht erwog, Ver­mö­gens­ge­gen­stände, worunter auch Unternehmen fall­en, seien bei der güter­rechtlichen Auseinan­der­set­zung zu ihrem Verkehr­swert einzuset­zen sein. Verkehr­swert sei der Wert, der bei einem Verkauf auf dem freien Markt real­isier­bar wäre; welchen sub­jek­tiv­en Wert der betr­e­f­fende Ver­mö­gens­ge­gen­stand für die Ehe­gat­ten habe, sei irrel­e­vant. Unternehmen seien nach anerkan­nten Grund­sätzen der Betrieb­slehre zu bew­erten. Je nach dem, ob das Unternehmen weit­erge­führt werde oder nicht, sei der Fort­führungswert oder der Liq­ui­da­tion­swert zu ermit­teln. Der Fort­führungswert werde in der Regel auf­grund ein­er zukun­fts­be­zo­ge­nen Ertrags­be­w­er­tung ver­bun­den mit ein­er aktuellen Sub­stanzbe­w­er­tung bes­timmt. Auch eine Bew­er­tung auss­chliesslich zum Ertragswert sei allerd­ings nicht aus­geschlossen, wenn der Eigen­tümer das Unternehmen voraus­sichtlich während län­ger­er Zeit nicht verkaufen werde (E. 3.3.1.1 f.).

Die Betrieb­swirtschaft­slehre kenne ver­schiedene Bew­er­tungsmeth­o­d­en. Bei KMU’s werde häu­fig die Prak­tik­er­meth­ode angewen­det, obwohl diese in der Bew­er­tungslehre nie­mand mehr als the­o­retisch richtig erachte. Es han­dle sich dabei um eine Mis­chung aus Sub­stanz- und Ertragswert, wobei der Ertragswert im Ver­hält­nis zum Sub­stanzw­ert dop­pelt gewichtet wer­den ([1 * Sub­stanzw­ert + 2 * Ertragswert] / 3). Inzwis­chen sei ein Trend in Rich­tung Ertragswert­meth­o­d­en zu verze­ich­nen. Da mehrere Meth­o­d­en zu einem angemesse­nen Ergeb­nis führen kön­nen, beste­he in Bezug auf die Wahl der Meth­ode ein gewiss­er Ermessen­spiel­raum. Die gewählte Meth­ode müsse jedoch nachvol­lziehbar, plau­si­bel und anerkan­nt sein.  Sie müsse in ver­gle­ich­baren Fällen ver­bre­it­ete Anwen­dung find­en, begrün­de­ter­massen bess­er oder min­destens eben­so bewährt sein wie andere Meth­o­d­en und den Ver­hält­nis­sen im konkreten Einzelfall Rech­nung tra­gen (E. 3.3.1.3).

Bei Unternehmen, die stark per­so­n­en­be­zo­gen seien, sei zu prüfen, ob und inwiefern die Ertragskraft des Unternehmens tat­säch­lich auf Dritte über­trag­bar sei. Es sei daher zwis­chen der per­so­n­en­be­zo­ge­nen und der unternehmens­be­zo­ge­nen Ertragskraft zu unter­schei­den. Die rein per­so­n­en­be­zo­gene Ertragskraft, namentlich der Wert der eige­nen Leis­tung der Unternehmerin, sei nicht über­trag­bar. Sie sei somit auf dem freien Markt nicht real­isier­bar und damit nicht wertrel­e­vant. Es sei mit anderen Worten der Wert des Unternehmens ohne die Unternehmerin zu ermit­teln. Werthaltig sei nur noch das einge­set­zte Kap­i­tal bzw. dessen angemessene Verzin­sung (Kap­italkosten) und die Prämie für die Unternehmerin (sog. Übergewinn oder Good­will). Der Good­will enthalte wiederum eine per­so­n­en­be­zo­gene und eine geschäfts­be­zo­gene Kom­po­nente. Vom Käufer werde nur let­ztere entschädigt. Ihr Wert richte sich nach dem Zeitraum, während dem der Käufer noch vom guten Ruf der Verkäuferin prof­i­tieren könne (E. 3.3.1.4).

Im vor­liegen­den Fall ste­he fest, dass die Prax­is für Kiefer­orthopädie sehr stark von der Per­sön­lichkeit der Ehe­frau abhänge und sich der Kun­den­stamm nicht ohne Weit­eres auf eine Käufer­schaft über­tra­gen lasse. Daher sei der Wert des Unternehmens ohne den Wert der Leis­tun­gen der Ehe­frau zu ermit­teln. Die Prak­tik­er­meth­ode ermit­tle den Ertragswert indes unter Ein­schluss ihrer Leis­tun­gen, weshalb sie im vor­liegen­den Kon­text als ungeeignet erscheine. Die Vorin­stanzen hät­ten dem insofern Rech­nung zu tra­gen ver­sucht, als sie lediglich 10 % des Ertragswerts angerech­net hät­ten. Eine Analyse der Über­trag­barkeit und damit eine Unter­schei­dung zwis­chen unternehmens­be­zo­gen­er Ertragskraft und per­so­n­en­be­zo­gen­er Ertragskraft habe jedoch nicht stattge­fun­den. Es sei unklar, worin die 10 % bzw. Fr. 306’700.– unternehmens­be­zo­gene Ertragskraft beste­hen sollen. Nach­dem das Einzelun­ternehmen der Ehe­frau über kein eigenes Kap­i­tal ver­füge (Sub­stanzw­ert Fr. 0.–) und ein Käufer offen­sichtlich nichts dafür zu bezahlen bere­it wäre, müssten die ermit­tel­ten Fr. 306’700.– ein­er (hypo­thetis­chen) Entschädi­gung für den geschäfts­be­zo­ge­nen Good­will entsprechen. Es fehle aber jegliche Erk­lärung dafür, weshalb ein Käufer bere­it sein solle, für einen schw­er über­trag­baren Kun­den­stamm Fr. 306’700.– zu bezahlen. Die Vorin­stanzen scheinen ein­fach einen unge­fähren Betrag als Wert des Einzelun­ternehmens der Ehe­frau genom­men zu haben, was method­isch unzuläs­sig sei. Der ermit­telte Verkehr­swert erweise sich als willkür­lich (E. 3.3.4).

Das Bun­des­gericht hiess die Beschw­erde in diesem Punkt gut, hob das Urteil auf und wies die Sache zur Neubeurteilung an die Vorin­stanz zurück.

Kom­men­tar

Die Bew­er­tung von Unternehmen ist in der anwaltlichen und gerichtlichen Prax­is her­aus­fordernd. Entsprechend sind die aus­führlichen the­o­retis­chen Erwä­gun­gen des Bun­des­gerichts zur Unternehmens­be­w­er­tung im All­ge­meinen und zur Bew­er­tung von per­so­n­en­be­zo­ge­nen Unternehmen im Beson­deren sehr zu begrüssen. Das Urteil zeigt, dass bei der Ertrags­be­w­er­tung von per­so­n­en­be­zo­ge­nen Unternehmen keine all­ge­me­ingülti­gen Formeln herange­zo­gen wer­den kön­nen, auch wenn man denen in der Prax­is oft­mals noch immer begeg­net. Vielmehr ist einzelfall­be­zo­gen zu prüfen, was ein Käufer auf dem freien Markt für den geschäfts­be­zo­ge­nen Good­will zu zahlen bere­it wäre. Dies macht die Unternehmens­be­w­er­tung für die Parteien in hohem Mass unvorherse­hbar. Gutacht­en sind unumgänglich und dürften auf­grund der geforderten Einzelfal­l­analyse Zeit in Anspruch nehmen und kost­spielig sein. Dies wiederum macht Ver­gle­iche in diesem Bere­ich äusserst attraktiv.