4A_581/2022: Zuständigkeit Handelsgericht, Klägerwahlrecht nach Art. 6 Abs. 3 ZPO (amtl. Publ.)

Das Bun­des­gericht klärte in diesem Urteil, dass sich eine im Han­del­sreg­is­ter einge­tra­gene Klägerin im Aberken­nung­sprozess gegen einen nicht im Han­del­sreg­is­ter einge­tra­ge­nen Beklagten nicht auf das Kläger­wahlrecht berufen könne mit dem Argu­ment, dass sie auf­grund der Ver­tauschung der Parteirollen in die Kläger­rolle gedrängt wor­den sei. Mass­gebend für den Anwen­dungs­bere­ich des Kläger­wahlrechts gemäss Art. 6 Abs. 3 ZPO sei nicht, welche Prozess­partei Gläu­bigerin oder Schuld­ner­in sei, son­dern wer formell als kla­gende und wer als beklagte Partei auftrete.

Hin­ter­grund war eine Auseinan­der­set­zung zwis­chen ein­er Schweiz­er Aktienge­sellschaft (Klägerin) und ein­er Gesellschaft bürg­er­lichen Rechts (GbR; Beklagte) nach deutschem Recht, die wed­er in Deutsch­land noch in der Schweiz im Han­del­sreg­is­ter einge­tra­gen ist. Die Parteien hat­ten einen Ver­trag abgeschlossen, mit dem sich die Beklagte verpflichtete, der Klägerin EUR 2’500’000 zur Ver­fü­gung zustellen. Nach­dem die Beklagte diesen Ver­trag gekündigt und erfol­g­los die Rück­zahlung ver­langt hat­te, leit­ete sie ein Betrei­bungsver­fahren gegen die Klägerin ein. Nach­dem in dieser Betrei­bung die pro­vi­sorische Recht­söff­nung erteilt wurde, erhob die Klägerin vor dem Han­dels­gericht des Kan­tons St. Gallen Aberken­nungsklage. Die Beklagte ihrer­seits erhob Widerk­lage. Das Han­dels­gericht St. Gallen trat man­gels sach­lich­er Zuständigkeit auf die Klage nicht ein und hiess die Widerk­lage teil­weise gut.

Vor Bun­des­gericht rügte die Klägerin erfol­g­los unter anderem eine Ver­let­zung von Art. 6 Abs. 3 ZPO durch das Han­dels­gericht. Sie berief sich dabei auf zwei Bun­des­gericht­sentschei­de, welche vom Bun­des­gericht indessen als nicht ein­schlägig erachtet wurden:

Die Klägerin berufe sich, so das Bun­des­gericht, zu Unrecht auf BGE 46 II 74. Jen­er Entscheid betr­e­ffe die direk­te Zuständigkeit des Bun­des­gerichts als einzige Zivilin­stanz, die nur greifen solle, wenn die Leis­tungspflicht des Bun­des im Stre­it ste­he. Entsprechend diesem Zweck sei nicht die formelle, son­dern die materielle Parteis­tel­lung im Prozess mass­gebend. Das Bun­des­gericht habe in jen­em Entscheid aber aus­drück­lich fest­ge­hal­ten, dass diese Aus­sage nicht ver­all­ge­mein­ert wer­den dürfe (E. 3.4.1).

Das Kläger­wahlrecht nach Art. 6 Abs. 3 ZPO bezwecke indessen, so das Bun­des­gericht weit­er, den nicht im Han­del­sreg­is­ter einge­tra­ge­nen Klägern die Möglichkeit einzuräu­men, die Vorteile der Han­dels­gerichts­barkeit zu nutzen, wenn die übri­gen Voraus­set­zun­gen erfüllt seien; es gehe mithin um die Priv­i­legierung kla­gen­der Nicht-Kau­fleute und nicht um die Garantie der Han­dels­gericht­szuständigkeit für die im Han­del­sreg­is­ter einge­tra­ge­nen Parteien. Deshalb könne sich die im Han­del­sreg­is­ter einge­tra­gene Klägerin im Aberken­nung­sprozess gegen einen nicht im Han­del­sreg­is­ter einge­tra­ge­nen Beklagten nicht auf das Kläger­wahlrecht berufen mit dem Argu­ment, dass sie auf­grund der Ver­tauschung der Parteirollen in die Kläger­rolle gedrängt wor­den sei. Es gehe nicht um ihren Schutz, in jedem Fall in den “Genuss” der Han­dels­gerichts­barkeit zu kom­men. Damit der Anwen­dungs­bere­ich des Kläger­wahlrechts eröffnet werde, sei nicht darauf abzustellen, welche Prozess­partei Gläu­bigerin oder Schuld­ner­in sei, son­dern wer formell als kla­gende und wer als beklagte Partei auftrete. Es entspreche wed­er dem Wort­laut noch dem Zweck von Art. 6 Abs. 3 ZPO, dass das Wahlrecht bei einem Parteirol­len­tausch wie im Falle ein­er Aberken­nungsklage auf die im Han­del­sreg­is­ter einge­tra­gene Partei überge­he (E. 3.4.1).

Auch aus BGE 143 III 495 könne die Klägerin nichts zu ihren Gun­sten ableit­en. In jen­em Entscheid sei die Zuständigkeit des Han­dels­gerichts für eine kon­nexe Widerk­lage trotz fehlen­dem Han­del­sreg­is­tere­in­trag des Wider­beklagten bejaht wor­den, wenn das Han­dels­gericht vom Kläger gestützt auf Art. 6 Abs. 3 ZPO angerufen wor­den sei. In casu kommt diese Aus­nahme für eine Widerk­lage nicht zum Tra­gen, weil ger­ade die umgekehrte Kon­stel­la­tion vor­liege. Bei dieser Kon­stel­la­tion könne sich einzig die nicht einge­tra­gene Widerk­lägerin auf das Kläger­wahlrecht nach Art. 6 Abs. 3 ZPO berufen (E. 3.4.2).

Auch die Tat­sache, dass die Beklagte als Widerk­lägerin von ihrem Wahlrecht nach Art. 6 Abs. 3 ZPO Gebrauch gemacht hätte, ändere nichts an dieser Beurteilung. Dadurch werde die man­gel­nde sach­liche Zuständigkeit des Han­dels­gerichts für die Haup­tk­lage nicht behoben. Aus der beim Han­dels­gericht erhobe­nen Widerk­lage könne daher nicht eine Art “Ein­las­sung” der nicht im Han­del­sreg­is­ter einge­tra­ge­nen beklagten Beklagten auf die Haup­tk­lage abgeleit­et wer­den (E. 3.5).

Das Bun­des­gericht räumt ein, dass sich bei ein­er solchen Kon­stel­la­tion der Nachteil ergebe, dass nicht das selbe Gericht für die Haupt- und die Widerk­lage sach­lich zuständig sei. Dieser Nachteil sei allerd­ings vor­liegend entschärft, weil die Haupt- und die Widerk­lage nicht nur kon­nex, son­dern spiegel­bildlich seien: Die Klägerin ver­lange mit ihrer Aberken­nungsklage die Fest­stel­lung, dass die Forderung über EUR 2’500’000 samt Zin­sen nicht beste­he, während die Beklagte mit ihrer Anerken­nungsklage begehre, dass ihr eben diese Forderung zuzus­prechen sei. Klage und Widerk­lage wür­den mithin die gle­iche Forderung betr­e­f­fen, was ein­er späteren Beurteilung der Klage durch das ordentliche Gericht ent­ge­gen­ste­hen dürfte (Art. 59 Abs. 2 lit. e ZPO), wenn denn eine solche Klage über­haupt noch frist­gerecht beim ordentlichen Gericht ein­gere­icht wer­den kön­nte (Art. 31 und 83 Abs. 2 SchKG i.V.m. Art. 63 Abs. 1 und 3 ZPO) (E. 3.6).