In diesem Entscheid äusserte sich das Bundesgericht zur Abgrenzung der zivil- und aufsichtsrechtlichen Verantwortlichkeit einer Willensvollstreckerin im Zusammenhang mit deren Auskunfts‑, Informations- und Rechenschaftspflichten.
Die Willensvollstreckerin ist gegenüber den Erben zur Auskunft und Rechenschaft verpflichtet (Art. 518 i.V.m. Art. 607 Abs. 3 und 610 Abs. 2 ZGB). Fehlende oder falsche Auskünfte können zu einer zivilrechtlichen Haftung führen (Art. 398 Abs. 2 analog, Art. 97 OR (E. 4.1.).
Davon zu unterscheiden ist die aufsichtsrechtliche Verantwortlichkeit der Willensvollstreckerin. Bei Pflichtverletzungen (insbes. bei Verletzung der Auskunfts- und Rechenschaftspflicht) kann die Aufsichtsbehörde angerufen werden. Als schärfste Massnahme kann die Aufsichtsbehörde die Absetzung der Willensvollstreckerin verfügen (E. 4.2.).
Sachverhalt und Prozessgeschichte
Der Erblasser hinterliess zwei Erbinnen: Seine beiden Töchter A und B. Eine dritte Tochter war bereits vorverstorben. Der Erblasser hatte mit seiner bereits vorverstorbenen Ehefrau einen Erbvertrag geschlossen, in welcher die Vertragsparteien die Tochter B als Willensvollstreckerin bezeichneten.
In einem ersten Verfahren gelangte die Tochter A an die Aufsichtsbehörde (juge de paix des Kantons Waadt) und verlangte die Absetzung der Tochter B als Willensvollstreckerin sowie die superprovisorische Anordnung von Weisungen zur Sicherung der Erbschaft. Die Aufsichtsbehörde wies die Willensvollstreckerin im Verfahren betreffend superprovisorische Massnahmen an, sämtliche Gegenstände, welche diese allenfalls ohne Information der Tochter A aus der Wohnung des Erblassers entwendet hatte, innert 72 Stunden zurückzubringen. Im Hauptverfahren wies sie den Antrag auf Absetzung der Willensvollstreckerin ab, machte diese aber auf ihre Pflichten aufmerksam.
Da die Erfüllung von Auskunfts‑, Informations- und Rechenschaftspflichten der Willensvollstreckerin weiterhin strittig blieb, gelangte die Tochter A mit einer zweiten Beschwerde an die Aufsichtsbehörde und ersuchte um diverse Weisungen an die Willensvollstreckerin, insbesondere betreffend die Erstellung eines Inventars sowie die Erfüllung Ihrer Rechenschaftspflicht betreffend ihre bisherigen Tätigkeiten. Für den Fall einer Verletzung der entsprechenden Weisungen beantragte sie die Absetzung der Willensvollstreckerin.
Die Aufsichtsbehörde (juge de paix) prüfte die geltend gemachten Pflichtverletzungen und wies die Aufsichtsbeschwerde ab. Sie erwog insbesondere, dass die Tochter A sich zu bestimmten Zeiten Zugang zur Wohnung verschaffen durfte, um Objekte ihrer Wahl ohne Vermerk auf einem Inventar zu entnehmen. Diese Regelung entsprach dem Entwurf eines Vergleichs, welchen die Aufsichtsbehörde anlässlich der zuvor stattgefundenen (Einigungs-)Verhandlung zu Protokoll genommen hatte. Die Tochter A hatte das Protokoll aber nicht unterzeichnet.
Die Tochter A wehrte sich gegen diesen Entscheid bei der oberen kantonalen Instanz (Tribunal cantonal vaudois). Diese verneinte die sachliche Zuständigkeit der Aufsichtsbehörde zur Prüfung der Beschwerde (siehe dazu untenstehend, Fazit). Das Bundesgericht hiess die Beschwerde der Tochter A gut und wies den Entscheid zur Neubeurteilung zurück an die Vorinstanz.
Zivilrechtliche Verantwortlichkeit der Willensvollstreckerin
Das Bundesgericht rief zunächst die Pflichten der Willensvollstreckerin nach Art. 517 f. ZGB in Erinnerung (E. 4.1.). Demnach stehe die Willensvollstreckerin in den Rechten und Pflichten eines Erbschaftsverwalters. Die Erblasserin könne die Rechte und Pflichten der Willensvollstreckerin im Vergleich zu denjenigen des Erbschaftsverwalters in Bezug auf bestimmte Vermögenswerte oder zeitlich ausweiten oder einschränken (Art. 518 Abs. 1 ZGB). Insbesondere habe die Willensvollstreckerin die Erben über wichtige Aspekte im Zusammenhang mit der Erbteilung zu informieren und über ihre Tätigkeit Rechenschaft abzulegen. Diese Informationsrechte der Erben fliessen auf dem materiellen Bundeszivilrecht. Bei einer Verletzung dieser Informationspflichten, beispielsweise durch Unterlassung oder Falschinformation, können die betroffenen Erben die Willensvollstreckerin vor dem Zivilgericht einklagen. Die Haftung des Willensvollstreckers richte sich nach Art. 398 Abs. 2 OR (analog).
Aufsichtsrechtliche Verantwortlichkeit der Willensvollstreckerin
Dass Bundesgericht äusserte sich zur sachlichen Zuständigkeit und Kognition der Aufsichtsbehörden sowie ferner zur Aktivlegitimation betreffend die Erhebung einer Aufsichtsbeschwerde (E. 4.2.). Die Willensvollstreckerin ist bekanntlich der behördlichen Aufsicht unterstellt (Art. 518 i.V.m. Art. 595 Abs. 3 ZGB). Das Bundesgericht betonte, dass die Aufsichtsbehörde lediglich eine Kontrollfunktion über die Tätigkeit der Willensvollstreckerin ausübe, nicht aber an ihrer Stelle handle. Die Beurteilung von materiell-rechtlichen Fragen sei den Zivilgerichten vorbehalten. Die Aufsichtsbehörde könne sowohl präventive (Empfehlungen, Weisungen) als auch sanktionierende Massnahmen (Abmahnung, Absetzung) ergreifen, wobei das Prinzip der Verhältnismässigkeit zu beachten sei.
Als schärfste disziplinarische Massnahme könne die Aufsichtsbehörde die Absetzung der Willensvollstreckerin verfügen. Die Absetzung der Willensvollstreckerin rechtfertige sich beispielsweise bei Unfähigkeit oder schwerer Pflichtverletzung. Vorausgesetzt sei überdies eine konkrete Gefährdung des Nachlassvermögens. Ein Schaden sei für ein Einschreiten der Aufsichtsbehörden jedoch nicht vorausgesetzt. Im Falle der Absetzung der Willensvollstreckerin durch die Aufsichtsbehörde sei diese nicht befugt, einen Ersatzwillensvollstrecker zu ernennen. Sofern der Erblasser keinen Ersatzwillensvollstrecker benannt habe, sei die Erbteilung bei Absetzung der Willensvollstreckerin durch die Aufsichtsbehörde Sache der Erben.
Fazit
Gemäss den Erwägungen des Bundesgerichts hatte die Vorinstanz zu Unrecht die sachliche Zuständigkeit der Aufsichtsbehörde (juge de paix) verneint (E. 4.3). Die Vorinstanz hatte erwogen, dass die in Frage stehenden Informationspflichten der Willensvollstreckerin (Art. 610 Abs. 2 ZGB) materiell-rechtlicher Natur seien (E. 3.1). Weiter hatte sie ausgeführt, dass die Erben eine Verletzung dieser Informationspflichten in einem kontradiktorischen Gerichtsverfahren und nicht vor der Aufsichtsbehörde geltend machen müssten. Die Erfüllung der Rechenschaftspflicht könne hingegen Gegenstand des Aufsichtsverfahrens sein – diese sei vorliegend aber nicht strittig.
Das Bundesgericht stellte unter Verweis auf einschlägige Lehrmeinungen klar, dass die Aufsichtsbehörde für die Beurteilung einer behaupteten Verletzung von Informationspflichten (und eine allfällige Absetzung des Willensvollstreckers) sachlich zuständig ist, soweit keine materiell-rechtlichen Fragen zu beurteilen sind (E. 4.3.).
Kommentar
Die Aufsichtsbehörden können aufgrund ihrer beschränkten Kognition nur die formelle Richtigkeit und Zweckmässigkeit bzw. Angemessenheit der Tätigkeit des Willensvollstreckers überprüfen. Die Beurteilung materiell-rechtlicher Fragen bleibt dem Zivilgericht vorbehalten. Das Urteil zeigt auf, dass die Abgrenzung zwischen formellen und materiell-rechtlichen Fragen in der Praxis nicht immer einfach ist. Die Vorinstanz hatte vorliegend zu Unrecht von der materiell-rechtlichen Natur der Informationsansprüche der Erben auf eine sachliche Unzuständigkeit der Aufsichtsbehörde geschlossen.
Zu beachten ist überdies, dass die zivilrechtliche Haftung des Willensvollstreckers einen Schaden voraussetzt, während eine Aufsichtsbeschwerde unabhängig von einem Schaden erhoben werden kann.
Schliesslich zeigt die Durchführung einer (Einigungs-)Verhandlung vor der Aufsichtsbehörde des Kantons Waadt, dass kantonale Unterschiede im Aufsichtsbeschwerdevefahren zu bedenken sind. Das Bundesgericht setzte sich im Entscheid nicht weiter mit dem Vergleichsentwurf auseinander, welcher die Aufsichtsbehörde protokolliert hatte.