BGer 5A_99/2023 vom 11. Juli 2023 (amtl. Publ.): Abgrenzung der zivil- und aufsichtsrechtlichen Verantwortlichkeit der Willensvollstreckerin

In diesem Entscheid äusserte sich das Bun­des­gericht zur Abgren­zung der ziv­il- und auf­sicht­srechtlichen Ver­ant­wortlichkeit ein­er Wil­lensvoll­streck­erin im Zusam­men­hang mit deren Auskunfts‑, Infor­ma­tions- und Rechenschaftspflichten.

Die Wil­lensvoll­streck­erin ist gegenüber den Erben zur Auskun­ft und Rechen­schaft verpflichtet (Art. 518 i.V.m. Art. 607 Abs. 3 und 610 Abs. 2 ZGB). Fehlende oder falsche Auskün­fte kön­nen zu ein­er zivil­rechtlichen Haf­tung führen (Art. 398 Abs. 2 ana­log, Art. 97 OR (E. 4.1.).

Davon zu unter­schei­den ist die auf­sicht­srechtliche Ver­ant­wortlichkeit der Wil­lensvoll­streck­erin. Bei Pflichtver­let­zun­gen (ins­bes. bei Ver­let­zung der Auskun­fts- und Rechen­schaft­spflicht) kann die Auf­sichts­be­hörde angerufen wer­den. Als schärf­ste Mass­nahme kann die Auf­sichts­be­hörde die Abset­zung der Wil­lensvoll­streck­erin ver­fü­gen (E. 4.2.).

Sachver­halt und Prozessgeschichte

Der Erblass­er hin­ter­liess zwei Erbin­nen: Seine bei­den Töchter A und B. Eine dritte Tochter war bere­its vorver­stor­ben. Der Erblass­er hat­te mit sein­er bere­its vorver­stor­be­nen Ehe­frau einen Erb­ver­trag geschlossen, in welch­er die Ver­tragsparteien die Tochter B als Wil­lensvoll­streck­erin bezeichneten.

In einem ersten Ver­fahren gelangte die Tochter A an die Auf­sichts­be­hörde (juge de paix des Kan­tons Waadt) und ver­langte die Abset­zung der Tochter B als Wil­lensvoll­streck­erin sowie die super­pro­vi­sorische Anord­nung von Weisun­gen zur Sicherung der Erb­schaft. Die Auf­sichts­be­hörde wies die Wil­lensvoll­streck­erin im Ver­fahren betr­e­f­fend super­pro­vi­sorische Mass­nah­men an, sämtliche Gegen­stände, welche diese allen­falls ohne Infor­ma­tion der Tochter A aus der Woh­nung des Erblassers entwen­det hat­te, innert 72 Stun­den zurück­zubrin­gen. Im Hauptver­fahren wies sie den Antrag auf Abset­zung der Wil­lensvoll­streck­erin ab, machte diese aber auf ihre Pflicht­en aufmerksam.

Da die Erfül­lung von Auskunfts‑, Infor­ma­tions- und Rechen­schaft­spflicht­en der Wil­lensvoll­streck­erin weit­er­hin strit­tig blieb, gelangte die Tochter A mit ein­er zweit­en Beschw­erde an die Auf­sichts­be­hörde und ersuchte um diverse Weisun­gen an die Wil­lensvoll­streck­erin, ins­beson­dere betr­e­f­fend die Erstel­lung eines Inven­tars sowie die Erfül­lung Ihrer Rechen­schaft­spflicht betr­e­f­fend ihre bish­eri­gen Tätigkeit­en. Für den Fall ein­er Ver­let­zung der entsprechen­den Weisun­gen beantragte sie die Abset­zung der Wil­lensvoll­streck­erin.

Die Auf­sichts­be­hörde (juge de paix) prüfte die gel­tend gemacht­en Pflichtver­let­zun­gen und wies die Auf­sichts­beschw­erde ab. Sie erwog ins­beson­dere, dass die Tochter A sich zu bes­timmten Zeit­en Zugang zur Woh­nung ver­schaf­fen durfte, um Objek­te ihrer Wahl ohne Ver­merk auf einem Inven­tar zu ent­nehmen. Diese Regelung entsprach dem Entwurf eines Ver­gle­ichs, welchen die Auf­sichts­be­hörde anlässlich der zuvor stattge­fun­de­nen (Einigungs-)Verhandlung zu Pro­tokoll genom­men hat­te. Die Tochter A hat­te das Pro­tokoll aber nicht unterzeichnet.

Die Tochter A wehrte sich gegen diesen Entscheid bei der oberen kan­tonalen Instanz (Tri­bunal can­ton­al vau­dois). Diese verneinte die sach­liche Zuständigkeit der Auf­sichts­be­hörde zur Prü­fung der Beschw­erde (siehe dazu unten­ste­hend, Faz­it). Das Bun­des­gericht hiess die Beschw­erde der Tochter A gut und wies den Entscheid zur Neubeurteilung zurück an die Vorinstanz.

Zivil­rechtliche Ver­ant­wortlichkeit der Willensvollstreckerin

Das Bun­des­gericht rief zunächst die Pflicht­en der Wil­lensvoll­streck­erin nach Art. 517 f. ZGB in Erin­nerung (E. 4.1.). Dem­nach ste­he die Wil­lensvoll­streck­erin in den Recht­en und Pflicht­en eines Erb­schaftsver­wal­ters. Die Erblasserin könne die Rechte und Pflicht­en der Wil­lensvoll­streck­erin im Ver­gle­ich zu den­jeni­gen des Erb­schaftsver­wal­ters in Bezug auf bes­timmte Ver­mö­genswerte oder zeitlich ausweit­en oder ein­schränken (Art. 518 Abs. 1 ZGB). Ins­beson­dere habe die Wil­lensvoll­streck­erin die Erben über wichtige Aspek­te im Zusam­men­hang mit der Erbteilung zu informieren und über ihre Tätigkeit Rechen­schaft abzule­gen. Diese Infor­ma­tion­srechte der Erben fliessen auf dem materiellen Bun­deszivil­recht. Bei ein­er Ver­let­zung dieser Infor­ma­tion­spflicht­en, beispiel­sweise durch Unter­las­sung oder Falschin­for­ma­tion, kön­nen die betrof­fe­nen Erben die Wil­lensvoll­streck­erin vor dem Zivil­gericht ein­kla­gen. Die Haf­tung des Wil­lensvoll­streck­ers richte sich nach Art. 398 Abs. 2 OR (ana­log).

Auf­sicht­srechtliche Ver­ant­wortlichkeit der Willensvollstreckerin

Dass Bun­des­gericht äusserte sich zur sach­lichen Zuständigkeit und Kog­ni­tion der Auf­sichts­be­hör­den sowie fern­er zur Aktivle­git­i­ma­tion betr­e­f­fend die Erhe­bung ein­er Auf­sichts­beschw­erde (E. 4.2.). Die Wil­lensvoll­streck­erin ist bekan­ntlich der behördlichen Auf­sicht unter­stellt (Art. 518 i.V.m. Art. 595 Abs. 3 ZGB). Das Bun­des­gericht betonte, dass die Auf­sichts­be­hörde lediglich eine Kon­troll­funk­tion über die Tätigkeit der Wil­lensvoll­streck­erin ausübe, nicht aber an ihrer Stelle han­dle. Die Beurteilung von materiell-rechtlichen Fra­gen sei den Zivil­gericht­en vor­be­hal­ten. Die Auf­sichts­be­hörde könne sowohl präven­tive (Empfehlun­gen, Weisun­gen) als auch sank­tion­ierende Mass­nah­men (Abmah­nung, Abset­zung) ergreifen, wobei das Prinzip der Ver­hält­nis­mäs­sigkeit zu beacht­en sei.

Als schärf­ste diszi­pli­nar­ische Mass­nahme könne die Auf­sichts­be­hörde die Abset­zung der Wil­lensvoll­streck­erin ver­fü­gen. Die Abset­zung der Wil­lensvoll­streck­erin recht­fer­tige sich beispiel­sweise bei Unfähigkeit oder schw­er­er Pflichtver­let­zung. Voraus­ge­set­zt sei überdies eine konkrete Gefährdung des Nach­lassver­mö­gens. Ein Schaden sei für ein Ein­schre­it­en der Auf­sichts­be­hör­den jedoch nicht voraus­ge­set­zt. Im Falle der Abset­zung der Wil­lensvoll­streck­erin durch die Auf­sichts­be­hörde sei diese nicht befugt, einen Ersatzwil­lensvoll­streck­er zu ernen­nen. Sofern der Erblass­er keinen Ersatzwil­lensvoll­streck­er benan­nt habe, sei die Erbteilung bei Abset­zung der Wil­lensvoll­streck­erin durch die Auf­sichts­be­hörde Sache der Erben.

Faz­it

Gemäss den Erwä­gun­gen des Bun­des­gerichts hat­te die Vorin­stanz zu Unrecht die sach­liche Zuständigkeit der Auf­sichts­be­hörde (juge de paix) verneint (E. 4.3). Die Vorin­stanz hat­te erwogen, dass die in Frage ste­hen­den Infor­ma­tion­spflicht­en der Wil­lensvoll­streck­erin (Art. 610 Abs. 2 ZGB) materiell-rechtlich­er Natur seien (E. 3.1). Weit­er hat­te sie aus­ge­führt, dass die Erben eine Ver­let­zung dieser Infor­ma­tion­spflicht­en in einem kon­tradik­torischen Gerichtsver­fahren und nicht vor der Auf­sichts­be­hörde gel­tend machen müssten. Die Erfül­lung der Rechen­schaft­spflicht könne hinge­gen Gegen­stand des Auf­sichtsver­fahrens sein – diese sei vor­liegend aber nicht strittig.

Das Bun­des­gericht stellte unter Ver­weis auf ein­schlägige Lehrmei­n­un­gen klar, dass die Auf­sichts­be­hörde für die Beurteilung ein­er behaupteten Ver­let­zung von Infor­ma­tion­spflicht­en (und eine allfäl­lige Abset­zung des Wil­lensvoll­streck­ers) sach­lich zuständig ist, soweit keine materiell-rechtlichen Fra­gen zu beurteilen sind (E. 4.3.).

Kom­men­tar

Die Auf­sichts­be­hör­den kön­nen auf­grund ihrer beschränk­ten Kog­ni­tion nur die formelle Richtigkeit und Zweck­mäs­sigkeit bzw. Angemessen­heit der Tätigkeit des Wil­lensvoll­streck­ers über­prüfen. Die Beurteilung materiell-rechtlich­er Fra­gen bleibt dem Zivil­gericht vor­be­hal­ten. Das Urteil zeigt auf, dass die Abgren­zung zwis­chen formellen und materiell-rechtlichen Fra­gen in der Prax­is nicht immer ein­fach ist. Die Vorin­stanz hat­te vor­liegend zu Unrecht von der materiell-rechtlichen Natur der Infor­ma­tion­sansprüche der Erben auf eine sach­liche Unzuständigkeit der Auf­sichts­be­hörde geschlossen.

Zu beacht­en ist überdies, dass die zivil­rechtliche Haf­tung des Wil­lensvoll­streck­ers einen Schaden voraus­set­zt, während eine Auf­sichts­beschw­erde unab­hängig von einem Schaden erhoben wer­den kann.

Schliesslich zeigt die Durch­führung ein­er (Einigungs-)Verhandlung vor der Auf­sichts­be­hörde des Kan­tons Waadt, dass kan­tonale Unter­schiede im Auf­sichts­beschw­erde­ve­fahren zu bedenken sind. Das Bun­des­gericht set­zte sich im Entscheid nicht weit­er mit dem Ver­gle­ich­sen­twurf auseinan­der, welch­er die Auf­sichts­be­hörde pro­tokol­liert hatte.