7B_158/2023: Anwaltstätigkeit im Rahmen interner Untersuchungen

Im Urteil 7B_158/2023 vom 6. August 2024 befasste sich das Bun­des­gericht mit der Entsiegelung anwaltlich­er Sachver­halt­ser­mit­tlungsak­ten im Zusam­men­hang mit ein­er inter­nen Unter­suchung im Rah­men eines Strafver­fahrens wegen des Ver­dachts auf Wider­hand­lung gegen das Bun­des­ge­setz gegen den unlauteren Wet­tbe­werb. Die Vorin­stanz hat­te das Entsiegelungs­ge­such der Staat­san­waltschaft abgelehnt und die Rück­gabe der her­aus­gegebe­nen Doku­mente als geschützte Anwalt­sko­r­re­spon­denz angeordnet.

Nicht beschlagnahmt wer­den dür­fen nach Art. 264 Abs. 1 Bst. d StPO, ungeachtet des Ortes, wo sie sich befind­en, und des Zeit­punk­tes, in welchem sie geschaf­fen wor­den sind, namentlich Gegen­stände und Unter­la­gen aus dem Verkehr ein­er anderen (als der beschuldigten) Per­son mit ihrer Anwältin oder ihrem Anwalt, sofern die Anwältin oder der Anwalt nach dem Anwalts­ge­setz zur Vertre­tung vor schweiz­erischen Gericht­en berechtigt ist und im gle­ichen Sachzusam­men­hang nicht sel­ber beschuldigt ist.

Das Anwalts­ge­heim­nis bezweckt den Schutz des Ver­trauens des Man­dan­ten in seinen Recht­san­walt und stellt eine unverzicht­bare Voraus­set­zung für eine umfassende und vor­be­halt­lose Infor­ma­tion des Anwalts im Inter­esse ein­er wirk­samen Man­dats­führung dar. Es bildet einen notwendi­gen Bestandteil für eine ord­nungs­gemässe Ausübung des Anwalts­berufes und die Rechtsstaatlichkeit der Recht­spflege (E. 3.1).

Durch das Anwalts­ge­heim­nis geschützt sind Geheimnisse, die einem Recht­san­walt sowie dessen Hil­f­sper­so­n­en auf­grund dessen Berufes anver­traut wor­den sind oder die sie in dessen Ausübung wahrgenom­men haben (vgl. Art. 171 Abs. 1 StPO). Nicht vom Schutz des Anwalts­ge­heimniss­es erfasst sind demge­genüber Infor­ma­tio­nen, die einem Anwalt im Rah­men von Dien­stleis­tun­gen zukom­men, welche über die beruf­styp­is­che Tätigkeit hin­aus­ge­hen (E. 3.1).

Der Schutz des Anwalts­ge­heimniss­es beschränkt sich nicht auf den Monopol­bere­ich der Anwalt­stätigkeit, das heisst die (beruf­s­mäs­sige) Vertre­tung vor Gerichts­be­hör­den, son­dern umfasst sämtliche beruf­styp­is­chen anwaltlichen Tätigkeit­en. Zu diesen Tätigkeit­en gehört ins­beson­dere die rechtliche Beratung und das Ver­fassen von juris­tis­chen Doku­menten. Im Rah­men dieser Tätigkeit­en set­zt eine kor­rek­te und sorgfältige Man­dats­führung nicht bloss die Prü­fung der Recht­slage, son­dern auch die Abklärung des recht­ser­he­blichen Sachver­halts voraus. Die Sachver­halt­ser­mit­tlung gehört in diesem Kon­text zum Kern­bere­ich der anwaltlichen Tätigkeit und ist entsprechend grund­sät­zlich durch das Anwalts­ge­heim­nis geschützt, denn ohne Ken­nt­nis des recht­ser­he­blichen Sachver­halts ist eine fachgerechte rechtliche Beratung oder Vertre­tung nicht möglich (E. 3.1).

Als nicht vom Beruf­s­ge­heim­nis erfasste sog. akzes­sorische anwaltliche “Geschäft­stätigkeit” gilt demge­genüber beispiel­sweise die Geschäfts­führung bzw. Ver­wal­tung ein­er Gesellschaft oder die Ver­mö­gensver­wal­tung. Entschei­den­des Kri­teri­um für die Abgren­zung ist, ob bei den fraglichen Dien­stleis­tun­gen die kaufmän­nisch-oper­a­tiv­en oder die anwaltsspez­i­fis­chen Ele­mente objek­tiv über­wiegen. Keine anwalt­styp­is­che Tätigkeit liegt ins­beson­dere vor, wenn der Anwalt geset­zlich vorgeschriebene Com­pli­ance-Auf­gaben (ins­beson­dere Banken-Com­pli­ance im Zusam­men­hang mit der Geld­wäschereige­set­zge­bung) respek­tive die interne Auf­sicht (Controlling/Auditing) darüber wahrn­immt (E. 3.1).

Die Notwendigkeit des Beizugs ein­er Anwalt­skan­zlei ist gemäss Bun­des­gericht grund­sät­zlich kein tauglich­es Kri­teri­um zur Abgren­zung der typ­is­chen von der akzes­sorischen Anwalt­stätigkeit, weil von vorn­here­in nur die Tätigkeit im Monopol­bere­ich Recht­san­wältin­nen und Recht­san­wäl­ten vor­be­hal­ten ist. Mass­gebend ist vor­liegend vielmehr, ob geset­zlich vorgeschriebene Doku­men­ta­tions- und Auf­be­wahrungspflicht­en dadurch umgan­gen wer­den, dass sie an eine Anwalt­skan­zlei delegiert wer­den (E. 3.3).

Dies war vor­liegend nicht der Fall. Vielmehr war unbe­strit­ten, dass die zu beurteilende Sachver­halt­ser­mit­tlung im Zusam­men­hang mit der Beratung und Vertre­tung bezüglich bere­its beste­hen­der und noch dro­hen­der Rechtsstre­it­igkeit­en erfol­gt war. Entsprechend qual­i­fizierte die Vorin­stanz sie kor­rekt als klas­sis­che und damit vom Anwalts­ge­heim­nis erfasste Anwalt­stätigkeit. Das Bun­des­gericht entsch­ied aber nicht abschliessend darüber, ob kom­plexe interne Unter­suchun­gen (ins­beson­dere mit umfassenden Befra­gun­gen von Mitar­beit­ern ein­er Unternehmung) — oder Aufträge, die sich allen­falls gar auf die reine Ermit­tlung des Sachver­halts begren­zen — generell als anwalt­styp­is­che Tätigkeit­en qual­i­fiziert wer­den kön­nen (E. 3.3).