CA.2020.10: Strafrechtliche Verwertbarkeit von Aussagen im Rahmen eines FINMA-Enforcementverfahrens

Im Urteil CA.2020.10 vom 2. August 2021 entsch­ied das Bun­desstrafgericht über die Frage der strafrechtlichen Ver­w­ert­barkeit von Aus­sagen im Rah­men eines Enforce­mentver­fahrens der FINMA. Hin­ter­grund war ein Ver­fahren der FINMA gegen einen Beauf­sichtigten, in dessen Folge das EFD ein Ver­wal­tungsstrafver­fahren eröffnet hat­te. Zum Zeit­punkt der Ein­ver­nahme durch die FINMA galt der Ein­ver­nommene jedoch noch nicht als Beschuldigter, weshalb im Raum stand, ob der “nemo tenetur”-Grundsatz gewahrt wor­den war.

Den Beauf­sichtigten trifft im ver­wal­tungsrechtlichen Enforce­mentver­fahren eine Mitwirkungspflicht (Art. 29 Abs. 1 FINMAG), im Strafver­fahren ste­ht ihm jedoch ein umfassendes Aus­sagev­er­weigerungsrecht zu (Art. 113 Abs. 1 StPO). Die Straf­be­hör­den und die Gerichte ziehen Akten ander­er Ver­fahren bei, wenn dies für den Nach­weis des Sachver­halts oder die Beurteilung der beschuldigten Per­son erforder­lich ist (Art. 194 Abs. 1 StPO). Die beizuziehen­den Akten kön­nen ins­beson­dere aus Ver­wal­tungsver­fahren stam­men. Zwangsmit­tel, Gewal­tan­wen­dung, Dro­hun­gen, Ver­sprechun­gen, Täuschun­gen und Mit­tel, welche die Denk­fähigkeit oder die Wil­lens­frei­heit ein­er Per­son beein­trächti­gen kön­nen, sind bei der Beweis­er­he­bung unter­sagt (Art. 140 Abs. 1 StPO). Beweise, die in Ver­let­zung dieser Bes­tim­mung erhoben wur­den oder die von der StPO als unver­w­ert­bar beze­ich­net wer­den, sind in keinem Fall gegen den Beschuldigten ver­w­ert­bar (Art. 141 Abs. 1 StPO; E. 2.1.3).

Gemäss Art. 111 Abs. 1 StPO gilt als beschuldigte Per­son, wer in ein­er Strafanzeige, einem Strafantrag oder von ein­er Straf­be­hörde in ein­er Ver­fahren­shand­lung ein­er Straftat verdächtigt, beschuldigt oder angeklagt wird. Entschei­dend für die Begrün­dung der Beschuldigten­stel­lung ist der materielle Beschuldigten­be­griff. Danach ist die betr­e­f­fende Per­son erst dann als Beschuldigte zu betra­cht­en, wenn konkrete Ver­dachts­gründe für die Beteili­gung an ein­er Straftat sprechen. Der formelle Beschuldigten­be­griff spielt insofern eine zweitrangige Rolle und begrün­det die Beschuldigten­stel­lung spätestens dann, wenn die betr­e­f­fende Per­son mit­tels förm­lich­er Mit­teilung der Strafver­fol­gungs­be­hör­den ein­er Straftat beschuldigt wird. Die Ein­räu­mung ein­er Beschuldigten­stel­lung set­zt entsprechend stets einen Wil­len­sakt der Strafver­fol­gungs­be­hör­den voraus, mit dem sie zum Aus­druck bringt, gegen den Beschuldigten ermit­teln zu wollen, wie die förm­liche Eröff­nung ein­er Stra­fun­ter­suchung oder die Vor­nahme von Unter­suchung­shand­lun­gen (E. 2.1.4.2).

Um auch in einem Straf­prozess ver­w­ertet wer­den zu kön­nen, ist im Ver­wal­tungsver­fahren erforder­lich, dass die beschuldigte Per­son auf ihr Recht hingewiesen wird, jede Mitwirkung und ins­beson­dere die Aus­sagen zu ver­weigern. Zudem darf die beschuldigte Per­son keinem Druck und keinem Zwang aus­ge­set­zt wer­den (Art. 140 Abs. 1 StPO). Nach der Prax­is des Bun­des­gerichts ist für die Beurteilung der Ver­let­zung des Selb­st­be­las­tung­spriv­i­legs auf die Natur und den Grad des angewen­de­ten Zwangs zur Erlan­gung des Beweis­mit­tels, die Vertei­di­gungsmöglichkeit­en sowie den Gebrauch des Beweis­ma­te­ri­als abzustellen (6B_439/2010 vom 29. Juni 2010 E. 5.3). Da dem Beschuldigten vor­liegend in den bei­den Ein­ver­nah­men im Enforce­mentver­fahren für den Fall der Aus­sagev­er­weigerung keine solchen unzuläs­si­gen Zwangsmit­tel ange­dro­ht wur­den und die FINMA bei ihrer Befra­gung auf die grund­sät­zliche Mitwirkungspflicht und die Möglichkeit der Berück­sich­ti­gung der Aus­sagev­er­weigerung im Rah­men der freien Beweiswürdi­gung hingewiesen hat­te, durften die Aus­sagen des Beschuldigten in den bei­den fraglichen Ein­ver­nah­men auch zu Zweck­en der Strafver­fol­gung ver­wen­det wer­den (E. 2.1.5.9).