6B_1320/2020: Verzicht auf Teilnahme- und Konfrontationsrecht (amtl. Publ.)

Im Urteil 6B_1320/2020 vom 12. Jan­u­ar 2022 wies das Bun­des­gericht die Beschw­erde eines Beschuldigten ab, der eine Ver­let­zung sein­er Teil­nahme- und Kon­fronta­tion­srechte im Strafver­fahren gel­tend machte. Hin­ter­grund war ein Schuld­spruch u.a. wegen mehrfachen Raubes zu ein­er Frei­heitsstrafe von zehn Jahren, nach­dem der Beschuldigte bewaffnet zwei Tankstel­len­shops über­fall­en hatte.

Die Parteien haben das Recht, bei Beweis­er­he­bun­gen durch die Staat­san­waltschaft und die Gerichte anwe­send zu sein und ein­ver­nomme­nen Per­so­n­en Fra­gen zu stellen (Grund­satz der Parteiöf­fentlichkeit, Art. 147 Abs. 1 StPO). Dieses spez­i­fis­che Teil­nahme- und Mitwirkungsrecht fliesst aus dem Anspruch auf rechtlich­es Gehör (Art. 107 Abs. 1 lit. b StPO) und kann nur unter geset­zlichen Voraus­set­zun­gen  eingeschränkt wer­den. Beweise, die in Ver­let­zung von Art. 147 Abs. 1 StPO erhoben wor­den sind, dür­fen gemäss Art. 147 Abs. 4 StPO nicht zulas­ten der Partei ver­w­ertet wer­den, die nicht anwe­send war (4.2.1).

Gemäss Art. 6 Ziff. 2 lit. d EMRK hat die beschuldigte Per­son als Teil­ge­halt des Rechts auf ein faires Ver­fahren Anspruch darauf, den Belas­tungszeu­gen Fra­gen zu stellen. Eine belas­tende Zeu­ge­naus­sage ist grund­sät­zlich nur ver­w­ert­bar, wenn die beschuldigte Per­son wenig­stens ein­mal während des Ver­fahrens angemessene und hin­re­ichende Gele­gen­heit hat­te, das Zeug­nis in Zweifel zu ziehen und Fra­gen an den Belas­tungszeu­gen zu stellen (4.2.2). Auf die Teil­nahme resp. Kon­fronta­tion kann vorgängig oder auch im Nach­hinein aus­drück­lich oder stillschweigend verzichtet wer­den, wobei der Verzicht des Beschuldigten auch von seinem Vertei­di­ger aus­ge­hen kann. Der Beschuldigte kann den Behör­den nach ständi­ger Recht­sprechung grund­sät­zlich nicht vor­w­er­fen, gewisse Zeu­gen zwecks Kon­fronta­tion nicht vorge­laden zu haben, wenn er es unter­lässt, rechtzeit­ig und for­mgerecht entsprechende Anträge zu stellen (E. 4.2.3).

Im vor­liegen­den Ver­fahren wur­den bes­timmte belas­tende Auskun­ftsper­so­n­en von der Polizei zu einem Zeit­punkt befragt, als dieses noch gegen unbekan­nte Täter­schaft geführt wurde. Fol­glich galt der Beschuldigte noch nicht als Partei in diesen Ver­fahren, wom­it ihm auch kein Recht auf Teil­nahme an den stre­it­i­gen Befra­gun­gen zukam. Eine Ver­let­zung von Art. 147 Abs. 1 StPO war somit nicht erkennbar (E. 4.4.1). Kon­fronta­tion­sein­ver­nah­men mit den fraglichen Per­so­n­en wur­den in der Folge keine durchge­führt. Die Vorin­stanz nahm nach Ansicht des Bun­des­gerichts aber in zuläs­siger Weise einen stillschweigen­den Verzicht auf das Kon­fronta­tion­srecht an, da dieser spätestens im Beru­fungsver­fahren aus­drück­lich eine Wieder­hol­ung der stre­it­i­gen Befra­gun­gen hätte ver­lan­gen müssen. Der Beschuldigte behauptete auch nicht, entsprechende Beweisanträge gestellt zu haben, son­dern führt lediglich aus, vor der Vorin­stanz expliz­it nicht auf die Wieder­hol­ung unver­w­ert­bar­er Beweis­ab­nah­men verzichtet zu haben, wobei er ein­räumt, dass dies im Kon­text der gel­tend gemacht­en ungenü­gen­den Vertei­di­gung geschehen sei. Auch aus anderen Aus­führun­gen des Beschuldigten kon­nte jedoch kein hin­re­ichen­der Beweisantrag auf Wieder­hol­ung erblickt wer­den. Auf­grund dessen lag vor­liegend keine Ver­let­zung des Kon­fronta­tion­sanspruchs vor, weshalb das Bun­des­gericht die Beschw­erde neb­st anderen Vor­brin­gen des Beschuldigten abwies (E. 4.4.2).