5A_376/2024: Schranken des Ermessens bei der Festsetzung des Kostenvorschusses nach Art. 230 Abs. 2 SchKG (amtl. Publ.)

In diesem zur Publikation vorgesehenen Entscheid 5A_376/2024 vom 6. November 2024 setzte sich das Bundesgericht mit der Frage auseinander, wie der Kostenvorschuss bei einer Einstellung des Konkurses mangels Aktiven festzusetzen ist (Art. 230 Abs. 2 SchKG). Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass die Kosten der Verwertung von Pfandgegenständen (Kosten für die Inventur, Verwaltung und Verwertung von Pfandgegenständen) vorab aus ihrem Erlös gedeckt werden. Sie sind damit nicht von der Konkursmasse zu decken, weshalb das Konkursamt diese Kosten bei der Festsetzung des Kostenvorschusses gemäss Art. 230 Abs. 2 SchKG nicht berücksichtigen darf.

Dem Entscheid lag fol­gen­der Sachver­halt zugrunde:

Mit Entscheid vom 26. Sep­tem­ber 2023 bewil­ligte das Kan­ton­s­gericht Zug die defin­i­tive Nach­lassstun­dung für die C AG nicht und eröffnete über sie den Konkurs. Vom 26. Sep­tem­ber 2023 bis 6. Feb­ru­ar 2024 nahm das Konkur­samt Zug das Inven­tar über das zur Konkurs­masse gehörende Ver­mö­gen auf. In diesem Inven­tar bzw. in der zusät­zlichen Excel-Liste wur­den unter anderem 44 Grund­stücke bzw. Baupro­jek­te in Deutsch­land sowie Bar­mit­tel von ca. CHF 50’000 aufge­führt. Am 15. Feb­ru­ar 2024 pub­lizierte das Konkur­samt im Schweiz­erischen Han­del­samts­blatt SHAB die Ein­stel­lung des Konkursver­fahrens über die C AG man­gels Aktiv­en per 8. Feb­ru­ar 2024, falls nicht ein Gläu­biger innert zehn Tagen die Durch­führung ver­lange und für die Deck­ung der Kosten einen Vorschuss von CHF 200’000 leiste.

Gegen diese Ver­fü­gung erhoben zwei Gläu­bigerin­nen, die A AG und die B AG, am 23. Feb­ru­ar 2024 Beschw­erde beim Oberg­ericht des Kan­tons Zug (Vorin­stanz). Sie ver­langten, den im SHAB am 15. Feb­ru­ar 2024 pub­lizierten Entscheid des Konkur­samtes aufzuheben und den Kosten­vorschuss auf CHF 0, even­tu­aliter auf CHF 1, subeven­tu­aliter max­i­mal auf CHF 12’000 festzuset­zen. Sub­subeven­tu­aliter sei der Kosten­vorschuss auf ein angemessenes Mass zu reduzieren. Zudem ersucht­en sie um auf­schiebende Wirkung. Mit Ver­fü­gung vom 27. Feb­ru­ar 2024 erkan­nte das Oberg­ericht der Beschw­erde die auf­schiebende Wirkung zu. Mit Urteil vom 4. Juni 2024 hiess das Oberg­ericht die Beschw­erde teil­weise gut. Es set­zte die Sicher­heit i.S.v. Art. 230 Abs. 2 SchKG im Konkursver­fahren über die C AG auf CHF 100’000 fest, unter Vor­be­halt des Nach­forderungsrechts für zusät­zliche kün­ftige, den fest­gelegten Kosten­vorschuss über­steigende, Kosten.

Gegen dieses Urteil erhoben die A AG und die B AG (Beschw­erde­führerin­nen) am 14. Juni 2024 Beschw­erde in Zivil­sachen an das Bun­des­gericht und ver­langten, das ange­focht­ene Urteil aufzuheben und den Kosten­vorschuss auf CHF 0, even­tu­aliter auf CHF 1, subeven­tu­aliter max­i­mal auf CHF 12’000 festzuset­zen. Sub­subeven­tu­aliter sei der Kosten­vorschuss auf ein angemessenes Mass zu reduzieren. Allen­falls sei die Sache an das Oberg­ericht zurück­zuweisen. Zudem ersucht­en sie um auf­schiebende Wirkung, welche mit Prä­sidi­alver­fü­gung vom 26. Juni 2024 zuerkan­nt wurde.

Mit Urteil vom 6. Novem­ber 2024 hiess das Bun­des­gericht die Beschw­erde teil­weise gut, hob das Urteil der Vorin­stanz auf und wies die Sache zur neuen Entschei­dung an die Vorin­stanz zurück.

Zur Fest­set­zung des Kosten­vorschuss­es im Allgemeinen

Das Bun­des­gericht rief zunächst die Grund­sätze in Erin­nerung, die bei der Fest­set­zung des Kosten­vorschuss­es zu beacht­en sind (E. 5.2):

Die Sicher­heit gemäss Art. 230 Abs. 2 SchKG ist so hoch anzuset­zen, dass grund­sät­zlich alle zukün­fti­gen Kosten, auch solche, die nicht genauer abschätzbar sind, gedeckt wer­den kön­nen (…). Die Höhe der zu leis­ten­den Sicher­heit ist eine reine Ermessens­frage (…). Vor Bun­des­gericht kann nicht die blosse Unangemessen­heit, son­dern nur die geset­zwidrige Ermessens­betä­ti­gung, d.h. Über- oder Unter­schre­itung oder der Miss­brauch des Ermessens gel­tend gemacht wer­den. Das Bun­des­gericht greift dem­nach nur ein, wenn die kan­tonale Instanz grund­los von in Lehre und Recht­sprechung anerkan­nten Grund­sätzen abgewichen ist, wenn sie Gesicht­spunk­te berück­sichtigt hat, die keine Rolle hät­ten spie­len dür­fen, oder wenn sie umgekehrt recht­ser­he­bliche Umstände auss­er Acht gelassen hat. Das Bun­des­gericht hebt ausser­dem Ermessensentschei­de auf und kor­rigiert diese, die sich als im Ergeb­nis offen­sichtlich unbil­lig, als in stossender Weise ungerecht erweisen (…). Wenn Kosten berück­sichtigt wer­den, welche nach Sinn und Geist des Geset­zes nicht in die Berech­nung ein­be­zo­gen wer­den dür­fen, so liegt eine Geset­zwidrigkeit vor (…).
Nach dem Wort­laut von Art. 230 Abs. 2 SchKG umfasst die in dieser Norm vorge­se­hene Sicher­heit­sleis­tung “den durch die Konkurs­masse nicht gedeck­ten Teil der Kosten” des Konkursver­fahrens. Zu den in diesem Zusam­men­hang zu berück­sichti­gen­den Kosten zählen grund­sät­zlich auch die Kosten (Gebühren und Aus­la­gen) für die Ver­w­er­tung der Konkur­sak­tiv­en (vgl. Art. 262 Abs. 1 SchKG; …).”

Beson­der­heit­en i.Z.m. der Ver­w­er­tung von Pfandgegenständen

Das Bun­des­gericht set­zte sich in der Folge mit den Schranken bei der Ausübung des Ermessens auseinan­der: Bei der Fest­set­zung des Kosten­vorschuss­es dür­fen keine Kosten berück­sichtigt wer­den, die nicht von der Konkurs­masse zu deck­en sind.

Pfandge­gen­stände wer­den nur unter Vor­be­halt des den Pfandgläu­bigern gesicherten Vorzugsrechts zur Konkurs­masse gezo­gen (Art. 198 SchKG). Der Erlös aus der Pfand­ver­w­er­tung soll dem Pfandgläu­biger im genau gle­ichen Umfang zukom­men, wie wenn das Pfand unab­hängig von der Gen­eralex­eku­tion ver­w­ertet wor­den wäre. Erst ein allfäl­liger Über­schuss des Erlös­es über die pfand­gesicherten Forderun­gen hin­aus darf zur Deck­ung all­ge­mein­er Konkurskosten herange­zo­gen wer­den (Art. 39 Abs. 1 KOV, mit Ver­weis auf Art. 262 SchKG sowie Art. 85 KOV). Aus diesem Grund wer­den die Kosten für die Inven­tur, Ver­wal­tung und Ver­w­er­tung von Pfandge­gen­stän­den vor­ab aus ihrem Erlös gedeckt (Art. 262 Abs. 2 SchKG; Art. 85 KOV). Diese Kosten wer­den auss­chliesslich von den Pfandgläu­bigern getra­gen (E. 5.2).

Gemäss Art. 39 Abs. 1 KOV hat das Konkur­samt bei der Frage, ob der Erlös der inven­tarisierten Aktiv­en voraus­sichtlich zur Deck­ung der Kosten des ordentlichen Ver­fahrens hin­re­ichen werde, zu berück­sichti­gen, dass, soweit Pfan­drechte an den Ver­mö­gensstück­en haften, nur ein allfäl­liger Über­schuss des Erlös­es über die pfand­gesicherten Forderun­gen hin­aus zur Deck­ung der all­ge­meinen Konkurskosten ver­wen­det wer­den kann, wobei Art. 39 Abs. 1 KOV auf Art. 262 SchKG ver­weist. Die Kos­ten­tra­gungsregeln von Art. 262 SchKG sind damit bere­its beim Entscheid darüber, ob das Konkur­samt Antrag auf Ein­stel­lung des Konkurs­es man­gels Aktiv­en stellt (Art. 230 Abs. 1 SchKG), zu beacht­en. Diese Grund­sätze sind auch bei der Fest­set­zung des Kosten­vorschuss­es gemäss Art. 230 Abs. 2 SchKG zu beacht­en (E. 5.2):

Entsprechen­des gilt in der Folge bei der Fes­tle­gung der Höhe der Sicher­heit gemäss Art. 230 Abs. 2 SchKG, denn bei den durch die Konkurs­masse nicht gedeck­ten Kosten, die die Ein­stel­lung des Konkurs­es ver­an­lassen kön­nen, han­delt es sich um densel­ben Betrag, der sicherzustellen ist, um doch noch die Durch­führung des (sum­marischen) Konkursver­fahrens zu erwirken.
Nach dem Gesagten sind die Kosten der Ver­w­er­tung von Pfandge­gen­stän­den ger­ade nicht durch die Konkurs­masse zu deck­en. Die entsprechen­den Kosten gehören dem­nach nicht zu den durch die Konkurs­masse nicht gedeck­ten Kosten im Sinne von Art. 230 Abs. 2 SchKG. Die in Art. 230 Abs. 2 SchKG ange­sproch­enen ungedeck­ten Kosten sind vielmehr solche, die durch die Konkurs­masse zu deck­en wären. Fol­glich sind die Kosten der Ver­w­er­tung von Pfandge­gen­stän­den bei der Fes­tle­gung der Höhe der Sicher­heit­sleis­tung gemäss Art. 230 Abs. 2 SchKG nicht zu berück­sichti­gen. Falls das Konkursver­fahren weit­erge­führt wird, kann das Konkur­samt vom Pfandgläu­biger einen Vorschuss für die Pfand­ver­wal­tung und ‑ver­w­er­tung verlangen (…).

Am Gesagten ändert nichts, dass sich die Kosten­vorschussver­fü­gung gemäss Art. 230 Abs. 2 SchKG an alle Gläu­biger, also auch an die Pfandgläu­biger richtet. Es ste­ht ihnen frei, den Vorschuss zu leis­ten, wenn sie sich von der Durch­führung eines Konkursver­fahrens einen Vorteil erhof­fen, etwa weil sie zwar einen Pfan­daus­fall befürcht­en, aber eine Div­i­dende auf den ungedeck­ten Teil ihrer Forderung erwarten. Nur in diesem Fall müssen sie sich an den all­ge­meinen Kosten des Konkursver­fahrens beteili­gen, die durch den Vorschuss gemäss Art. 230 Abs. 2 SchKG gedeckt wer­den sollen. Im Übri­gen wer­den sie jedoch am Konkursver­fahren häu­fig kein Inter­esse haben, da sie auch bei Ein­stel­lung des­sel­ben ihre Rechte gel­tend machen kön­nen (Art. 230 Abs. 4 und Art. 230a Abs. 2 SchKG). Umgekehrt kann es sein, dass die nicht pfand­gesicherten Gläu­biger ein Inter­esse an der Ver­w­er­tung der Pfan­dob­jek­te haben, da sie sich daraus einen Über­schuss erhof­fen. Dies führt jedoch nicht zu ein­er Abwe­ichung von der Kosten­verteilung gemäss Art. 262 SchKG und Art. 85 KOV und damit auch nicht zu ein­er anderen Kosten­vorschuss­berech­nung im Rah­men von Art. 230 Abs. 2 SchKG.”

Da es sich aus dem ange­focht­e­nen Urteil nicht ergab, in welchem Umfang Pfan­drechte an den Grund­stück­en in Deutsch­land beste­hen, wies das Bun­des­gericht die Sache an die Vorin­stanz zur neuen Bes­tim­mung des Kosten­vorschuss­es zurück (E. 5.3).

Eröff­nung der Ver­fü­gung über die neu fest­ge­set­zte Sicher­heit an alle Gläubiger

Das Bun­des­gericht präzisierte, dass die Ver­fü­gung über die neu fest­ge­set­zte Sicher­heit nicht nur den Beschw­erde­führerin­nen, son­dern allen Gläu­bigern zu eröff­nen ist (E. 6.2):

Die Sicher­heit gemäss Art. 230 Abs. 2 SchKG ist dieselbe für alle Gläu­biger und alle haben ein Inter­esse, sich unter den geän­derten Umstän­den zu über­legen, ob sie diese bezahlen wollen. Dass die erfol­gre­iche Beschw­erde gegen eine Ver­fü­gung des Konkur­samts nicht nur dem beschw­erde­führen­den Gläu­biger zugutekommt, son­dern für alle Gläu­biger wirkt, kommt im Konkursver­fahren auch son­st vor.
Das Oberg­ericht bzw. das Konkur­samt wer­den fol­glich nach dem neuen oberg­erichtlichen Entscheid das Notwendi­ge vorzukehren haben, damit alle Gläu­biger Gele­gen­heit erhal­ten, den neu fest­ge­set­zten Vorschuss bezahlen zu können.”